Wie soll man das nennen, was die Europäische Kommission der Öffentlichkeit zumutet? Sie behauptet, der Flüchtlingsdeal mit der Türkei sei ein Erfolg. Man will das gerne glauben, doch dann schaut man auf die aktuellen Zahlen: Demnach, so berichtet die dpa, wurden im Zuge der Vereinbarung bis zum 27. September 578 Menschen wieder in die Türkei zurückgebracht. Aber, so dieselbe Meldung, täglich kommen im Schnitt 85 Einwanderungswillige von der Türkei nach Griechenland. Zur Erinnerung: Der Deal gilt seit dem 20. März, also 193 Tage. Das heißt: Nur jeder 28. Ankömmling wird zurückgebracht. Damit ist das Abkommen mit der Türkei also ähnlich ineffizient wie die deutsche Abschiebepraxis. Und dennoch hält man es in Brüssel und Berlin für einen Erfolg - oder behauptet das zumindest.
Zu erklären wäre die Schere zwischen Realität und Botschaft nur dadurch, dass man in der Europäischen Kommission offenbar davon ausgeht, dass die Empfänger dieser Botschaft, Journalisten inklusive, nicht rechnen können – oder wahrscheinlicher: dass sie so „postfaktisch“ verwirrt sind, dass diese Diskrepanz gar nicht als der Skandal erfasst wird, der er sein könnte. Die Annahme scheint zuzutreffen. Jedenfalls gab es keinen großen medialen Aufschrei.
Verwirrung ist ein dominantes Merkmal der Gegenwart. Sie ist zum dauernden Begleiter geworden. Alltäglich wird man mit Ereignissen und Lagen konfrontiert, die selbst der vernünftigste Mensch (vielleicht gerade der) nicht verstehen, geschweige denn vernünftig darauf reagieren kann.
Definitionen und Zusammenhänge
In Asien nannte man sie „amucos“ - Krieger, die den Feind ohne Angst vor dem Tod angreifen und vernichten. Heute beschreibt der Begriff in der Regel blindwütige Aggressionen – mit und ohne Todesopfer. Die meisten Amokläufer sind männlich und eigentlich unauffällig, in vielen Fällen ledig oder geschieden. Neben psychisch kranken Tätern gibt es auch Amokläufer, die aus banalen Gründen plötzlich ausrasten. Angst, Demütigung oder Eifersucht haben sich oft lange aufgestaut, bevor es zur Katastrophe kommt. Teils werden Taten auch im Kopf durchgespielt. „Amok“ kommt aus dem Malaiischen und bedeutet „wütend“ oder „rasend“.
Attentate sind politisch oder ideologisch motivierte Anschläge auf das Leben eines Menschen, meistens auf im öffentlichen Leben stehende Persönlichkeiten. Der Ausdruck „Attentäter“ wiederum wird auch für Menschen verwendet, die einen Anschlag auf mehrere Menschen begehen. Terroristische Attentäter zielen etwa auf Angehörige eines ihnen verhassten Systems oder einer Religion ab. Mit Anschlägen auf öffentlichen Plätzen, in Verkehrsmitteln oder auf Feste versuchen sie, in der Bevölkerung Angst und Schrecken zu verbreiten. Der Begriff „Attentat“ leitet sich vom lateinischen attentare (versuchen) im Sinne eines versuchten Verbrechens ab.
Terrorismus ist politisch motivierte, systematisch geplante Gewalt, die sich gegen den gesellschaftlichen Status quo richtet und auf politische, religiöse oder ideologische Veränderung ausgerichtet ist. Dass Terroristen töten und zerstören, ist Mittel zum Zweck. Sie wollen vor allem Verunsicherung in die Gesellschaft tragen. Terrorakte richten sich oft gegen die Zivilbevölkerung oder symbolträchtige Ziele.
Terror geht auf das lateinische Wort „terrere“ zurück, was „erschrecken“ oder „einschüchtern“ bedeutet. Terror und Terrorismus werden oft gleichbedeutend verwendet. Im Unterschied zum Terrorismus bezeichnet der Begriff „Terror“ aber eher das Machtinstrumentarium eines Staates. Der „Terror von oben“ steht für eine Schreckensherrschaft, die willkürlich und systematisch Gewalt ausübt, um Bürger und oppositionelle Gruppen einzuschüchtern. Auch in die Umgangssprache hat der Begriff Eingang gefunden - etwa für extreme Belästigung, zum Beispiel Telefonterror.
An ein und demselben Tag kann man lesen, dass in Aleppo nur noch 35 Ärzte 250.000 Menschen versorgen müssen, während gleichzeitig im Deutschlandfunk eine Sendung zu hören ist, in der sich ein aus Aleppo stammender Chirurg namens Alnouri darüber empört, dass man ihm in Neumünster keine Approbation gewährt. Aber ist es nicht der Sinn und Zweck unserer Flüchtlingspolitik, an Leib und Leben bedrohten Menschen zu helfen? 19 Milliarden Euro fürs nächste Jahr allein plant der deutsche Finanzminister für die Versorgung von „Flüchtlingen“ in Deutschland ein. Ein Vielfaches von dem, was er für die Versorgung derjenigen Syrer aufwendet, die sich die Reise aus dem Libanon oder der Türkei nach Deutschland nicht leisten können.
Wenn man dann einmal mit den hier Angekommenen im Flüchtlingsheim spricht, lernt man einen jungen Iraner aus dem friedlichen Isfahan kennen, der nach Deutschland kam, weil es eben möglich war. Man hört von einer christlichen Familie, die für einen jungen Pakistaner ihr Gästezimmer freiräumt und ihm mit allerlei Tricks hilft, die Rückführung nach Italien zu verhindern. Ist ein EU-Land, in dem die Deutschen gerne Urlaub machen, eine inakzeptable Zumutung für einen Flüchtling? Die christliche Familie, so höre ich, versucht nicht, ihren pakistanischen Gast zu missionieren. Dessen Freunde aber empören sich über ihn, weil er bei „Schweinefleischfressern“ am Tisch sitzt.
Was soll man da anderes denken als: It’s a mad world!
Nicht nur Ereignisse verwirren. Auch Meinungen und Überzeugungen anderer Menschen, die den eigenen so fremd und entgegengesetzt sind, dass man sie gar nicht verstehen will. Weil die Welt- und Menschenbilder, auf denen diese Meinungen beruhen völlig unverständlich sind. „Volksverräter“ – „Hetzer“. Was soll man auf solche Vorwürfe entgegnen? Die meisten derart Titulierten suchen nicht bei jenen, die sie angreifen Verständnis, sondern bei denen, die ohnehin derselben Ansicht sind.
Ein mediales Schauspiel des wachsenden Unverständnisses in unserer Gesellschaft war auch das wohl größte Kulturereignis der vergangenen Woche, beziehungsweise die medialen Reaktionen darauf: Michel Houellebecqs Dankesrede zur Verleihung des Schirrmacher-Preises, in der er den „Selbstmord“ Europas im Angesicht eines expandierenden Islams diagnostiziert. Daraufhin wurde er - meist ohne auf seine Argumente (die Demographie nämlich) einzugehen - wüst beschimpft.