Knauß kontert

Die zwei großen Ängste der Gegenwart

Ferdinand Knauß Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche
Ferdinand Knauß Reporter, Redakteur Politik WirtschaftsWoche Online Zur Kolumnen-Übersicht: Anders gesagt

Nie zuvor in der modernen Geschichte waren Untergangsängste politisch so stark wie heute. Das Versprechen des Fortschritts hat es immer schwerer.

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Angst: Klimawandel kontra kultureller Wandel Quelle: Illustration

Dass „Angst kein guter Ratgeber“ sei, gehört zu den wohl meistgeäußerten Phrasen der Gegenwart. Ob Bundespräsident oder Bundeskanzlerin – gegen Angst zu sein, gehört derzeit offensichtlich zum guten Ton. Die Angst, die gemeint ist, ist meist diejenige vor Einwanderung, vor Terror, vor Geldentwertung, vor dem großen Crash, kurz: vor dem Kollaps hergebrachter staatlicher, gesellschaftlicher und nicht zuletzt ökonomischer Ordnung.

Ein Abtprimas namens Notker Wolf hat nun sogar ein Buch geschrieben, das „Schluss mit der Angst!“ heißt. Der Untertitel: „Deutschland schafft sich nicht ab“. Er spielt damit auf Thilo Sarrazins Skandal-Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ an, der als Prototyp der Angstmache gilt. Und wer Angst schürt, der betreibt das Geschäft der Populisten, so zumindest eine weitverbreitete Interpretation.

Eine andere Angst vor einem anderen Kollaps wird dagegen von der Bundeskanzlerin und vielen weiteren selbsternannten Anti-Angst-Kämpfern durchaus als guter politischer Ratgeber akzeptiert: nämlich die vor dem Klimawandel. In Bonn auf der Weltklimakonferenz befassten sich in der vergangenen Woche die Vertreter fast aller Regierungen mit der Frage, wie eine globale Katastrophe verhindert oder abgemildert werden kann. Vor ihr zu warnen – man könnte auch sagen: Angst zu schüren – ist ein einträgliches Geschäft für eine ganze Industrie von NGOs und Vereinen, die personell und auch finanziell oft eng mit politischen Parteien verbunden sind.

Welche Auswirkungen der Klimawandel jetzt schon hat
Geht die Erwärmung der Erde ungebremst weiter, werden extreme Unwetter mit schweren Stürmen und Überschwemmungen häufiger auftreten, warnen Klimaforscher Quelle: dpa
Auf Klimaveränderungen reagieren Tiere, Pflanzen und Menschen empfindlich. Quelle: dpa
Pollen: Menschen, die ein Leben lang beschwerdefrei waren, bekommen vermehrt Allergien. Quelle: AP
Die Erderwärmung lässt Gletscher und das Eis der Pole schmelzen Quelle: dpa
Die Meereisdecken an den Polen waren im März so klein wie nie in einem solchen Monat seit Beginn der Messungen 1981. Quelle: dpa
Das weltgrößte Korallenriff, das Great Barrier Reef, vor Australien ist nach Expertenmeinung massiv vom Klimawandel betroffen. Quelle: REUTERS
Wegen der wärmeren Wassertemperaturen siedeln sich zum Beispiel in der Nordsee mittlerweile Sardinen, Anchovis und Pazifische Austern an. Quelle: dpa

Aus Sicht vieler Politiker scheinen nur die Ängste legitim zu sein, die man selbst gerne lösen möchte. Das gilt für Grüne, die durch das Verbot von Verbrennungsmotoren und die Begrenzung von Emissionsrechten die Klimakatastrophe zu verhindern versprechen, während sie gleichzeitig jegliche Obergrenze für Einwanderung zum „absoluten No-Go“ (Simone Peter) erklären. Das gilt aber ebenso für die AfD, die Deutschland vor der Selbstabschaffung durch Einwanderung und EU retten will, während sie den anthropogenen Klimawandel in ihrem Grundsatzprogramm in Frage stellt. Die Ängste der jeweils anderen werden auf beiden Seiten als irrational und von miesen Hintermännern aufgebauscht dargestellt.

Darum geht es beim Weltklimagipfel in Bonn

Während die einen untragbare ökonomische Belastungen und letztlich den Kollaps der Nation durch Zuwanderung fürchten, aber den Klimawandel für ein abstraktes oder gar erfundenes Pseudoproblem halten, betrachten die anderen Einwanderung uneingeschränkt als Bereicherung, vielleicht sogar als willkommenes Schlusskapitel einer deutschen Geschichte, die als zutiefst schuldhaft und daher belastend empfunden wird. Die einen fürchten sich als Deutsche, die anderen als Weltbürger vor dem Verlust einer gewohnten Behausung: der Nation hier, der natürlichen Lebensgrundlagen dort.

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