Knauß kontert

Fatale Signale der Schwäche

Ferdinand Knauß Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche
Ferdinand Knauß Reporter, Redakteur Politik WirtschaftsWoche Online Zur Kolumnen-Übersicht: Anders gesagt

Ob sich Angela Merkel nun von der Armenien-Resolution offiziell distanziert hat oder nicht. Schon der Eindruck, dass der Kotau erwogen wurde, vermittelt eine Botschaft der Schwäche. Es ist nicht das erste Mal.

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Unterwerfung. Quelle: Getty Images

Wenn Katzen oder Hunde merken, dass sie schwächer sind als ein anderes Tier, werfen sie sich auf den Rücken. So zeigen die Tiere einem Artgenossen oder dem Menschen, dass sie dessen Überlegenheit akzeptieren, sich dessen Willen beugen. Der Überlegene bleibt hoch aufgerichtet und zeigt üblicherweise Gnade – die berühmte Beißhemmung. Den Unterwürfigen töten – das tut ein Säugetier in aller Regel nicht.

Beim Menschen sind die Signale der Schwäche oder Stärke nicht immer ganz so eindeutig. Menschen können täuschen. Politiker und deren Pressesprecher im Besonderen. Hat sich die Kanzlerin nun von der Bundestagsresolution distanziert, in der der Völkermord im Osmanischen Reich an den Armeniern als solcher bezeichnet wird? Ihr Sprecher Steffen Seibert hat das vermeintlich dementiert. Aber in einer Weise, die in Ankara sicher mit Wohlwollen registriert wurde.

Und sicher nicht nur dort. Im Gegensatz zu Tieren und Privatmenschen senden Politiker ihre Gesten der Über- oder Unterlegenheit nicht nur an das Gegenüber. Dass diese Gesten für alle sichtbar sind, wird in der Politik sogar zum Hauptzweck der Geste – zumindest für den Überlegenen. Das hat Recep Tayyip Erdogan erreicht.

Nun sieht also buchstäblich alle Welt, dass die deutsche Bundeskanzlerin sich den Wünschen des türkischen Präsidenten im „Weißen Palast“ von Ankara fügt. Das ist durchaus ein ungeheuerlicher Vorgang. Früher nannte man in der Türkei Deutschland manchmal den „großen Bruder“. Möglicherweise wird man bald eher von der „kleinen Schwester“ sprechen.

Angela Merkels fatales Signal der eigenen und damit der deutschen Schwäche reiht sich ein in eine lange Liste solcher Signale aus Deutschland. Mit ihrer Kommunikationsstrategie der Verwirrung, in der sich unklares, schlechtes Deutsch – ihr gerne verwendetes Wort „Angang“ gibt es zum Beispiel gar nicht – mit egozentrischer Gefühlsduselei („mich irritiert die Freude am Scheitern“) mischt, könnte es Merkel schaffen, sogar ihren Kotau vor Erdogan noch irgendwie als positive Botschaft der Realpolitik, der Vernunft, der Milde oder Verständigungsbereitschaft zu verschleiern.

Aber so eine Botschaft dürfte allenfalls bei ihren treusten Fans in Deutschland ankommen. Die Deutschen sind vermutlich eines der unsensibelsten Völker für Signale der Stärke und Schwäche, da sie Stärke grundsätzlich für unmoralisch halten. Internationale Signale eines Politikers erreichen aber unvermeidbar auch externe Empfänger, deren kulturelle Antennen dasselbe Signal in andere Botschaften umsetzen.

Wie wirkt der Ausnahmezustand in der Türkei über die Grenzen hinaus?

„Man kann nicht nicht kommunizieren“. Paul Watzlawicks berühmter Satz ist unwiderlegbar, eine Banalität eigentlich – dennoch wird seine Bedeutung oft gerade von jenen unterschätzt, deren bewusste oder unbewusste Signale die größten Wirkungen erzeugen. In einer immer enger verzahnten Welt und vor allem in immer heterogeneren Einwanderungsländern wird das Signalisieren von Botschaften allerdings auch nicht einfacher. Eine Bundeskanzlerin spricht heute nicht mehr nur zu den Deutschen, sondern, wenn es um Einwanderung geht, zu Milliarden armen Menschen in der ganzen Welt. Und in den Slums von Kairo oder Kabul werden ihre Worte und Gesten anders interpretiert als in der evangelischen Kirchengemeinde von Düsseldorf-Oberkassel.

Der krasseste Fall dieser Art war Merkels einsame Entscheidung genau vor einem Jahr. Dieses Signal – es gab offenbar keinen Verwaltungsakt, sondern wirklich nur Kanzlerinnenworte, was die Angelegenheit durchaus gespenstisch machte – kam bei den meisten Deutschen damals als humanitäre Botschaft an: Wir müssen jetzt in einem besonderen Fall einfach einmal fremden Menschen in Not helfen.

Das Problem der unterschiedlich aufgenommenen Botschaften

Aber in allen Auswanderungsländern rund ums Mittelmeer und bis ins hinterste Tal des Hindukusch kam eine andere Botschaft an: Das Tor nach Deutschland ist offen! Merkel heißt alle willkommen! Deutschlands Willkommenskultur – ein Wort, das es in anderen Einwanderungsländern aus gutem Grund nicht gibt – wird von Deutschen als Aufforderung zur Hilfe verstanden, doch von Millionen Menschen südlich und östlich des Mittelmeers als Einladung nach Deutschland.
In Deutschland selbst setzt sich das Problem der fatalen Diskrepanz von Innen- und Außenwirkung der Signale fort. Der Chef der deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, hat im Gespräch mit WirtschaftsWoche Online darauf hingewiesen, dass zum Beispiel eine Haftstrafe auf Bewährung für einen Straftäter aus Nordafrika, der dieses Rechtsinstrument nicht kennt, eine völlig andere Botschaft bedeutet als für einen einheimischen Bürgersohn. Was letzteren vielleicht zurückführt auf den Pfad der Tugend, hinterlässt bei ersterem den Eindruck, man könne in Deutschland Straftaten begehen, ohne unangenehme Konsequenzen fürchten zu müssen.

Mit Moral hat das nichts zu tun. Aber viel mit sozialen Ungleichheiten und den Unterschieden der kulturellen Prägung von Menschen durch ihr Umfeld. Wer den Rechtsstaat und den gesellschaftlichen Frieden als selbstverständliche Normalität kennt, und Kriminalität als eine Art soziale Krankheit betrachtet, die durch die Pflegedienste des Sozialstaates geheilt werden kann und muss, betrachtet Urteile eines Strafgerichts als Teil dieser Heilung, schlimmstenfalls als kleine Schocktherapie. Wer aber in einer Gewaltkultur aufwächst, die den Staat nur als drakonische Herrschaftsmethode einer verhassten Macht-Elite kennt, der kann vermutlich auch nur das „Recht“ der Stärke. Eine Bewährungsstrafe oder Ermahnung nach mehrfachen Straftaten kann da nur als Eingeständnis der Schwäche des deutschen Rechtsstaates erscheinen. Einer Schwäche, die man ausnutzen muss, wenn man nichts zu verschenken hat.
Vor dem Gesetz sind alle gleich. Aber das heißt nicht, dass ein und dasselbe Urteil für alle dieselbe Wirkung hat. Für Franz Beckenbauer ist die Aussicht auf eine Anklage vermutlich schon eine Strafe, weil sie seinen Ruf zerstört. Für den entwurzelten Afrikaner, der sich mit Drogendeals im Görlitzer Park seinen Anteil am Wohlstand erhandelt, ist die Festnahme durch die Polizei nur eine lästige Unterbrechung seiner Arbeit. Er hat vermutlich vor den Schleusern, denen er noch Geld schuldet, deutlich mehr Respekt als vor dem Richter, der ihn ermahnt.

Das Problem der unterschiedlich aufgenommenen Botschaften staatlichen Handelns bei Menschen unterschiedlicher Herkunft wird in dem multikulturellen Deutschland der Zukunft vermutlich nicht kleiner werden. Die Ehrfurcht, mit der Zigtausende in Deutschland lebende Türken und türkischstämmige Deutsche die Stärkesignale der AKP und Erdogans nach dem Putsch feierten, gibt einen Eindruck von dem, was auf uns zukommen könnte. Außerhalb der friedliebenden und glücklicherweise gewaltentwöhnten deutschen Gesellschaft, hat man ein sehr viel sensibleres Gespür für die Stärke oder Schwäche von Institutionen als hierzulande. Auch das gehört zur Globalisierung.

Umso wichtiger wird es sein, dass verantwortliche Politiker die Signalwirkung ihrer Worte und Taten bei allen wichtigen Empfängern bedenken. Niemand, der für diesen Rechtsstaat Verantwortung trägt, schon gar keine Bundeskanzlerin, darf eine Botschaft der Schwäche verbreiten.

Auf die Beißhemmung der Stärkeren zu vertrauen, ist vielleicht in der Tierwelt manchmal eine gute Strategie, aber nicht in der von Ordnungsverlust und neuen Bedrohungen geprägten Menschenwelt. Eine Bundeskanzlerin und staatliche Institutionen, die vor aller Welt Schwäche demonstrieren, sind untragbar für Deutschland.

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