Knauß kontert

Franco A. und der wunde Punkt der deutschen Politik

Ferdinand Knauß Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche
Ferdinand Knauß Reporter, Redakteur Politik WirtschaftsWoche Online Zur Kolumnen-Übersicht: Anders gesagt

Über Probleme der Bundeswehr zu klagen, ist für Politik und Öffentlichkeit recht bequem. Den Kern der Affäre um den Oberleutnant, der zum Syrer wurde, übersieht man lieber. 

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Ministerin bedauert öffentliche Kritik. Quelle: dpa Picture-Alliance

Der Fall des Oberleutnants Franco A. wird vielleicht für spätere Geschichtsschreiber der Regierungszeit von Angela Merkel einen willkommenen erzählerischen Einstieg bieten. So wie der als „Hauptmann von Köpenick“ verkleidete Landstreicher bis heute den verheerenden Militarismus der wilhelminischen Epoche entlarvt hat, offenbart diese Affäre beispielhaft, wie die politisch-publizistischen Reflexe des heutigen Deutschland funktionieren. Wie man sich mit Hingebung bestimmten Problemen widmet, während andere schnell unter den Teppich gekehrt werden. 

Der Fall selbst erscheint wie eine Posse. Ein Bundeswehr-Offizier gibt sich bei deutschen Behörden als Syrer „David Benjamin“ aus. Er wird unter diesem Namen als Flüchtling anerkannt, obwohl er kaum arabisch, sondern französisch spricht, und seine Behauptungen mit keinem einzigen Dokument, nicht einmal einem gefälschten, belegen kann. Er fliegt erst auf, als er in Wien mit einer Schusswaffe erwischt wird, mit der er offenbar Attentate plante.

Die Baustellen der Verteidigungsministerin
Die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen steht wegen der Affäre um den rechtsextremen Offizier Franco A. unter Druck. Während sie von Seiten der Opposition und der SPD harte Kritik einstecken muss, sichert ihr die Kanzlerin "volle Unterstützung" zu. Und von der Leyen kündigt umfangreiche Aufklärung an. Doch der Fall "Franco A." ist nicht die einzige Baustelle der Verteidigungsministerin. Quelle: dpa
Bundeswehr-Personal Quelle: dpa
Skandale Quelle: dpa
Ausrüstung Quelle: dpa
Mängel Quelle: REUTERS
Das größte Sorgenkind ist das Transportflugzeug „A400M“ - rund neun Jahre ist dessen Auslieferung verzögert. Bislang besitzt die Bundeswehr acht von insgesamt 53 beim Hersteller Airbus bestellte Maschinen. Doch ist selbst deren Einsatz nicht uneingeschränkt möglich. Quelle: dpa
Einsätze Quelle: dpa

So richtig Fahrt nimmt die Geschichte aber in der Presse erst auf, als bekannt wird, dass er an der französischen Offiziersakademie St. Cyr eine rassistische Abschlussarbeit vorgelegt hatte und trotzdem Offizier werden durfte. Spätestens als Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen vor laufender Kamera daraufhin pauschal über „Probleme mit Haltung und Führung“ in der Bundeswehr klagt, wird daraus eine Medien-Debatte (wenn man das so nennen mag, denn kontrovers diskutiert wird eigentlich nichts) über zwei Themen: Ursula von der Leyens Führungsstil und den Rechtsextremismus in der Bundeswehr.

Von dem ursprünglichen Anlass der Aufregung ist kaum noch die Rede. Stattdessen hat der politische und mediale Betrieb es in wenigen Tagen geschafft, aus einem ganz neuartigen, noch bis vor kurzem wohl für unglaublich gehaltenen Fall zwei altbekannte Muster-Affären werden zu lassen. Rechte Umtriebe in der Bundeswehr und eine möglicherweise nicht mehr lange haltbare Ministerin. Auf dem Terrain kennen sich Politiker und Journalisten seit Jahrzehnten bestens aus.

Bundeswehr im Fadenkreuz

Die Bilder von alten Wehrmachtswaffen, die Fotografen im Tross der Ministerin in der Kaserne von Franco A. in Illkirch (in Frankreich!) machten, haben längst Hunger nach mehr gemacht. Vermutlich werden angesichts des wach gewordenen Medien-Interesses an altem Schießgerät in diesen Tagen die Kompaniefeldwebel in der gesamten Truppe die Kameradschaftskeller säubern. Und hoffentlich werden auch rassistische Äußerungen künftig schärfere Folgen für Soldaten und erst recht Offiziere haben.

Doch ist der Kampf gegen rechts bei der Bundeswehr wirklich die wichtigste und dringendste Lehre aus diesem Fall? Vermutlich ist es vor allem die bequemste für die politische Klasse. Denn das Problem wird bei anderen lokalisiert, eben bei den Soldaten. Und dass man Soldaten ohnehin moralisch nicht so recht trauen kann, darin ist man sich in den tonangebenden Teilen der Gesellschaft einig. Die sind schuld, nicht wir, können alle sagen. Auch Journalisten.  

Durch den medialen Wirbel um die Bundeswehr und die Verteidigungsministerin ist der eigentliche Kern der Affäre fast schon in Vergessenheit geraten. Da geht es um nichts anderes als das wichtigste Feld der gegenwärtigen Politik: die Einwanderung. Franco A. hat, indem er sich zu Benjamin David machte, die Folgen der „Flüchtlingspolitik“ der Bundesregierung, nämlich den zeitweiligen Kontrollverlust des deutschen Staats offen gelegt. Er hat mit sich selbst gezeigt, dass buchstäblich jeder in Deutschland zum Flüchtling werden kann, wenn er eine entsprechende Geschichte erzählt - sogar ein Deutscher, der nicht einmal arabisch spricht.

Der Kern der Affäre offenbart den wunden Punkt des gegenwärtigen Deutschland: die Haltlosigkeit des Asyl- und Flüchtlingssystems. Der Bundesinnenminister versucht die Wunde zu schützen, indem er statt politischer Fehler ein punktuelles Verwaltungsversagen im Bundesamt für Asyl und Migration unterstellt. „Jedes einzelne Verfahren, an dem die Verantwortlichen im Fall Franco A. beteiligt waren“, soll nun neu untersucht werden, „von langjährigen Mitarbeitern des Bundesamtes“, wie das Bundesamt mitteilt. Man tut also so, als ob einzelne Übersetzer versagt hätten, und als ob nicht längst klar wäre, dass der deutsche Staat monatelang in der Hochphase der „Flüchtlingskrise“ die Überprüfung der Zuwanderer bestenfalls simuliert hat.

Die Regierungsparteien, die Opposition und die große Mehrheit der berichtenden Journalisten haben offensichtlich kein großes Interesse daran, diesen wunden Punkt zu problematisieren. Es ist eben sehr viel angenehmer, altbekannte Probleme von anderen immer wieder anzugehen, als eigene Fehler einzugestehen oder gar zu korrigieren.  

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