Knauß kontert

Die Deutschen träumen von Solidarität und Weltoffenheit

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Freie Einwanderung überfordert den Sozialstaat

Natürlich weiß jeder vernünftige Mensch, dass Offenheit für jegliche Einwanderung und ein fürsorglicher Sozialstaat sich gegenseitig ausschließen. Muss man das wirklich belegen? Wenn man für diese in Deutschland ignorierte Banalität einen Ökonomen als Instanz zitieren will, so kann man Milton Friedman nehmen, der im Oktober 1977 in Chicago vor Studenten sagte: „… freie Einwanderung in Jobs ist das eine. Freie Einwanderung in Wohlfahrt ist etwas anderes. … es ist wirklich ein Ding der Unmöglichkeit.“ Friedman übrigens war eher gegen den Wohlfahrtsstaat als gegen Einwanderung.

Es ist natürlich kein Zufall, dass die USA, die bis 1914 jeden Einwanderer willkommen hießen (es sei denn er hatte eine schwere, ansteckende Krankheit), so gut wie keine soziale Absicherung kannten – weder für Amerikaner, noch für Einwanderer. Es ist natürlich ebenso wenig ein Zufall, dass soziale Sicherungssysteme vor allem in solchen Gesellschaften eingeführt wurden, die eben bis dahin keine oder nur sehr streng reglementierte Einwanderung kannten. Deutschland beispielsweise. 

Wenn ein Sozialstaat wie die Bundesrepublik, der fürsorglicher ist als die meisten anderen, seine Grenzen für Zuwanderer (de facto) bedingungslos öffnet und alle sofort zu Ansprüchen berechtigt, dann wirkt dies in einer Welt der krassen sozialen Ungleichheit natürlich anziehend, extrem auf Armutsmigranten. Und belastend für den Versorgungsstaat. Die Belastungsgrenze für Deutschland scheint dank Wirtschaftsboom noch fern. Dass es sie gibt, ist aber unbestreitbar.

In der Forderung nach völlig offenen Grenzen sind sich radikale Linke und Ultraliberale einig. Die einen träumen von weltweiter Solidarität, die anderen von der totalen Effizienz. Beides sind fatale Illusionen.
von Ferdinand Knauß

Der Politik der Aufnahmeländer stehen grundsätzlich zwei Instrumente zur Verfügung, um die drohende Überlastung ihrer Sozialsysteme zu verhindern: weniger Leistungen zahlen und die Grenzen weniger durchlässig für versorgungsuchende Zuwanderer machen. Beides sind unangenehme Maßnahmen, die mit menschlichen Härten und moralischen Dilemmata einhergehen.

Im deutschen Diskurs, zumindest auf parlamentarischer Bühne, ist man sich offenbar einig, dass die Frage – Einwanderung oder Sozialstaat - erst gar nicht aufkommen soll. Dafür sorgen zwei diskursive Tricks: Erstens wird die Sogwirkung des deutschen Sozialstaats ignoriert und stattdessen Migration nur als Flucht (vor Krieg und Armut) dargestellt. Dazu passend ruft die Kanzlerin neuerdings zum „Kampf gegen die Fluchtursachen“. Auf der anderen Seite werden konsequente Grenzschutzmaßnahmen als „Abschottung“ gebrandmarkt. Das klingt nach DDR und Engstirnigkeit - man will aber bekanntlich weltoffen sein.

Also behilft man sich mit einem typisch deutschen Trick: Augen und Ohren zuhalten vor der Wirklichkeit und stattdessen träumen: Solidarität und Weltoffenheit sind beides edle und gute Ziele, also müssen sie auch beide radikal und bedingungslos realisiert werden. Geht nicht? Wir Deutsche haben doch schon ganz anderes geschafft…

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