Knauß kontert

Merkel und Schulz - die eingebildeten Kämpfer

Ferdinand Knauß Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche
Ferdinand Knauß Reporter, Redakteur Politik WirtschaftsWoche Online Zur Kolumnen-Übersicht: Anders gesagt

Angesichts von Trump und Terror verkünden Angela Merkel und Martin Schulz Botschaften der Stärke. Darauf kann man nicht viel geben.

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Mit geballter Faust zum Wahlerfolg: Angela Merkel und Martin Schulz. Quelle: dpa Picture-Alliance

Jetzt ist wieder viel von „Stärke“ die Rede. Nach Donald Trumps denkwürdigem Auftritt in Taormina versprechen Angela Merkel und erst Recht Martin Schulz ein stärkeres Europa. Es lohne sich „für dieses Europa auch zu kämpfen“, sagte die Kanzlerin. „Ein starkes Europa ist entscheidend für unseren Frieden, für unseren Wohlstand und für unsere Sicherheit“, sagte Schulz.

Auch nach dem Anschlag in Kabul sprach Merkel von Kampf: „Wir alle gemeinsam, die wir an das Recht, die Freiheit und die Würde des Menschen glauben, in Europa, in Amerika, in Afrika ja und natürlich auch in Afghanistan, werden den Kampf gegen die Terroristen führen, und wir werden ihn gewinnen.“ In ihrer ersten Reaktion auf den jüngsten Anschlag in London sprach Merkel von "Entschiedenheit".

Ob Trump oder Terror, die Wortwahl der beiden Menschen, die Deutschland in den kommenden vier Jahren regieren wollen, ist ähnlich: Wir wollen stark sein, stärker werden,  kämpfen. Solche Worte sollen bei den Adressaten, also deutschen Wählern vermutlich den Eindruck von Schutz erwecken: Da rüstet sich jemand, um auf dem „campus“ – das lateinische Wort fürs (Schlacht-)Feld ist der Ursprung des deutschen Begriffs – für uns seine Knochen hinzuhalten, uns zu beschützen.  

Doch was soll das konkret heißen, ein „stärkeres“ Europa? Was soll das heißen, „kämpfen“?

"Es ist ein Fehler für die USA und für unseren Planeten.“
Barack Obama Quelle: REUTERS
Angela Merkel Quelle: dpa
Martin Schulz, Kanzlerkandidat und Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands Quelle: dpa
Jean-Claude Juncker, Quelle: AP
Pittsburgh Quelle: AP
Hillary Clinton Quelle: REUTERS
Elon Musk Quelle: AP

Merkel und Schulz und der gesamte politische Betrieb bieten im Wesentlichen zweierlei Konkretisierung – und unterscheiden sich nur in der Intensität, mit der sie eher das eine oder das andere betonen.

Für den sozialdemokratischen EU-Karrieristen und Ex-Präsidenten des Europäischen Parlaments ist die Priorität klar: „Eine stärkere Kooperation der europäischen Staaten auf allen Ebenen ist die Antwort an Donald Trump.“ Eine „gemeinsame Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik“ und ein gemeinsam beschlossenes Budget könnten „helfen, die notwendigen Wachstumsimpulse in der Euro-Zone zu schaffen“, verkündete Schulz. Mehr Brüssel bedeutet also stärker – glaubt Schulz.

Das andere Stärkungsmittel ist eng damit verwandt und erhielt durch die Staatsbesuche von Modi und Li Nahrung: eine Intensivierung der Bemühungen um Freihandel mit Indien und China. Darauf legt besonders Merkel, die von manchen Journalisten schon zur Führerin der freien Welt erklärt wird, besonderen Wert.

Beide Interpretationen bedeuten letztlich: Weiter so! Es sind Varianten des Allheilmittels der westlichen Politik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie stammen aus einer Welt, die die Konflikte und Bedrohungen von heute noch nicht kannte.

Das zentrale politische Motiv war damals nach den kriegerischen Gewaltexzessen der ersten Jahrhunderthälfte ein betont friedliches: Den Wohlstand für alle mehren. Ein Kampf ist das allenfalls in einem sehr übertragenen Sinne. Zu Kämpfen heißt, seine eigene Stärke einzusetzen, und einen Gegner oder gar Feind nieder zu ringen, ihm seinen Willen aufzuzwingen. In den Nachkriegsgesellschaften des Westens war es aber Sinn und Zweck der Politik, alte soziale und ideologische Feindschaften zu befrieden.  

Das Ur-Narrativ des Kapitalismus

Nicht Konfrontation und der Wille zum Sieg bestimmen seither den Erwartungshorizont der Politik, sondern die Win-Win-Situation. Sie ist eines der Ur-Narrative des Kapitalismus, seit David Ricardo 1817 demonstrierte, wie Portugal mit seinen Winzern und Großbritannien mit seinen Tuch-Fabrikanten gemeinsam reicher werden, wenn sie miteinander Handel treiben. Diese Theorie der komparativen Kostenvorteile liefert bis heute das beste Argument für den internationalen, möglichst freien Handel.     

Die wunderbare Win-Win-Erzählung bestimmte die innerwestliche Politik seit 1945: Gemeinsam reicher werden – und nicht mehr gegeneinander kämpfen (müssen). Da das Wachstum auch den Arbeitnehmern zugutekam, wurden diese gegen die kommunistische Versuchung geimpft, während man zugleich den Völkern des Ostens die konsumistischen Verlockungen des Westens subversiv vor die Nase hielt. Nebenbei reichte das Wachstum auch noch für ansehnliche Rüstungsausgaben, die allerdings nie in einem heißen Krieg eingesetzt werden sollten. Der friedliche Sieg im Systemwettkampf 1989 bestätigte, dass man unter den Bedingungen des Kalten Krieges eine an freiem Handel orientierte Wirtschaftswachstumspolitik mit gutem Recht als Politik der Stärke interpretieren konnte.

Die heutigen Führungspolitiker der EU sind durch diese Erfahrungen geprägt. Auch der „europäische Verteidigungsfonds“, den Jean-Claude Juncker jetzt in der WirtschaftsWoche vorschlug, ist letztlich ein Kind dieses Paradigmas der Win-Win-Situation durch grenzüberschreitende Kooperation und ökonomische Effizienzsteigerung: „gemeinsam Innovationen im Rüstungsbereich entwickeln und Ausrüstung gemeinsam beschaffen“. Wenn die Deutschen gut Panzer bauen können, warum sollen die Franzosen dann noch eigene entwickeln? „Jedes Jahr kostet uns die mangelnde Zusammenarbeit im Bereich der Verteidigung und der Sicherheit zwischen 25 und 100 Milliarden Euro“, behauptet Juncker – wohlweislich die Begriffe Kosten und Einsparmöglichkeiten verwechselnd.

Weder die „Stärkung“ der europäischen Kooperation, noch die „Stärkung“ des internationalen Handels sind gegen einen Gegner gerichtet. Die intensivierte Verbrüsselung der EU und die Versuche, mit Indien und China den Freihandel zu fördern, gehen ganz nach dem Politikmuster der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts grundsätzlich von einer „Win-Win-Situation“ aus. Alle gewinnen gemeinsam - durch Mehrung des Wohlstands, durch Klimaschutz, kurz: durch die Verbesserung der Welt.

Die Sache hat nur einen Haken: Es gibt heute Gegner, die nicht durch grenzüberschreitende Wohlstandsmehrungsinitiativen zu beeindrucken sind. Sie wollen nicht reich werden, sondern für ihren Gott töten. Und sie sind bereit zu sterben.

Die Stärke, die heute von Staaten und Gesellschaften gefragt wäre, ist daher nicht mit ökonomischer Produktivität gleichzusetzen  – zumindest nicht nur.    

Was wäre Stärke? Sie zeigt sich darin, dass der Staat sein Interesse durchsetzt. Das erste Interesse jedes Staates ist, die eigene Fortexistenz und die Sicherheit seiner Angehörigen zu bewahren. Und das besondere Interesse eines Rechtsstaates ist natürlich, das geltende Recht durchzusetzen. Gemessen an diesem Anspruch sind die europäischen Staaten und vor allem Deutschland ziemlich schwach.

Wenn die Kanzlerin im Bierzelt verkündet, dass es sich lohne zu kämpfen, dann darf man fragen: Wofür kämpfen sie und die anderen Regierenden denn?

Kämpfen heißt, etwas Eigenes riskieren. Wenn nicht das Leben, so zumindest etwas sehr wertvolles, zum Beispiel die eigene Machtstellung. Kämpfen heißt, sich nicht mehr treiben zu lassen, sondern Gegendruck zu erzeugen. Angst überwinden. Angst vor dem Wähler und dessen wechselhaften Gefühlen zum Beispiel.

Wenn es darauf angekommen wäre, für etwas zu kämpfen, hat unsere Bundeskanzlerin sich immer dahin treiben lassen, wo kein Kampf notwendig war und ihre Position ungefährdet blieb. Nicht vor waffenstarrenden Gegnern knickte sie ein, sondern vor Bildern und den durch sie ausgelösten Gefühlen. Zum Beispiel vor dem Bild des explodierenden Atomkraftwerks in Fukushima. Und – noch folgenschwerer – vor dem nur vorgestellten hässlichen Bild deutscher Polizisten, die Einwanderer an der Grenze zurückweisen. Seit der Journalist Robin Alexander den Hergang der versäumten Grenzschließung vom September 2015 exakt recherchierte, wissen wir, dass nicht Kämpfer, sondern „Getriebene“ (so der Titel seines Buchs) dieses Land regieren. Oder besser, wie Alexander selbst schreibt: „lavieren, jonglieren, taktieren“.

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