Knauß kontert

Der blinde Fleck des bedingungslosen Grundeinkommens

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Restlos überfordert

Interessanter und pikanter als die Standardgegenargumente sowohl von Marktliberalen als auch von Gewerkschaftern – es drohe eine allgemeine Leistungsentwöhnung einerseits und der Verrat am Versprechen des sozialen Aufstiegs durch Lohnarbeit andererseits – ist aber die Frage danach, wer genau denn nun jene „alle“ sein sollen. An dieser Frage entscheidet sich nämlich, ob das Konzept eine realistische politische Option oder nur eine Fantasterei sein kann. Und diese Frage wäre auch der empfindliche Berührungspunkt mit der Fachkräftemangel-Behauptung: Wie passen Grundeinkommen und Einwanderung zusammen?

Die meisten, die das Grundeinkommen fordern, blenden diese Frage einfach aus. Sie sprechen von „allen“ und „bedingungslos“, ohne zu hinterfragen, ob das nun alle deutschen Staatsbürger sein sollen, einschließlich aller EU-Bürger oder schlicht wirklich alle Menschen, die in Deutschland leben. Die aktivsten Befürworter, die sich im „Netzwerk Grundeinkommen“ zusammengeschlossen haben, fordern: „Das Grundeinkommen ist ein Menschenrecht, nicht ein Recht, das an eine bestimmte Nationalität gebunden ist. Das Ziel des Netzwerks ist die europa- und weltweite Einführung des Grundeinkommens und der Zugang aller Menschen zu einem Grundeinkommen, egal wo sie leben.“

Damit hängen sie ihr Ziel so hoch, dass es letztlich unerreichbar wird. Ein aus den Steuern der Kapitalbesitzer finanziertes und vom Staat verwaltetes Einkommen ist schließlich nichts anderes als ein radikal reformierter, vereinfachter, aber in seinen Zahlungsvolumina noch deutlich vergrößerter Sozialstaat. Und der ist nicht nur historisch, sondern auch gegenwärtig an den Nationalstaat gebunden. Jedes System der Solidarität setzt, wenn es nachhaltig sein soll, voraus, dass die Gruppe der potentiellen Nehmer beschränkt bleibt und im Großen und Ganzen identisch ist mit der Gruppe der Einzahler.

Nettoeinkommen bei verschiedenen Grundeinkommens-Modellen

Die Debatte um die Zukunft der Arbeit und erst recht die Debatte um den Sozialstaat muss aber, wenn sie mehr als Traumtänzerei fabrizieren will, endlich ehrlich geführt werden. Das heißt sie muss unter Einbeziehung der Zuwanderungsrealität geführt werden. Und diese Realität ist entgegen eines sentimentalen Vorurteils von Zuwanderern geprägt, die in der großen Mehrzahl zwar „Flüchtlinge“ genannt werden, es aber streng genommen nicht sind. Denn sie kommen, wie die geringen Asyl-Anerkennungsquoten zeigen, selten wegen Verfolgung in ihrer alten Heimat nach Deutschland, sondern werden vielmehr angezogen von ökonomischen Möglichkeiten und, ja, auch de facto bedingungslos gezahlten Staatsleistungen, die es in ihren Heimatländern so nicht gibt.

Ein in Deutschland eingeführtes Grundeinkommen, das jedem Erdbewohner zustünde, der es irgendwie schafft, Deutschlands Grenzen zu überschreiten, würde die Sogwirkung, die ohnehin vom deutschen Sozialstaat ausgeht, extrem verstärken. 1000 Euro im Monat sind in den meisten Herkunftsländern ein kaum durch Arbeit zu erzielendes Einkommen. Der Grundeinkommensstaat wäre, wenn er sich nicht konsequent gegen ausländische Empfänger abschließt, schnell restlos überfordert.

Wer den Sozialstaat langfristig erhalten oder ihn gar zu einer Instanz für die Auszahlung eines bedingungslosen Einkommens umwandeln will, muss sich also klarmachen, dass das kein Grund- oder Menschenrecht sein kann. Je nachhaltiger und zahlungskräftiger man den Sozialstaat machen will, desto konsequenter muss die Abgrenzung gegen nicht Anspruchsberechtigte sein. Andersherum formuliert: Wer von No-Borders und One-World sprechen will, sollte vom bedingungslosem Grundeinkommen lieber schweigen.

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