Knauß kontert

Theresa May zeigt, wie Realpolitik geht

Ferdinand Knauß Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche
Ferdinand Knauß Reporter, Redakteur Politik WirtschaftsWoche Online Zur Kolumnen-Übersicht: Anders gesagt

Während Deutschlands neuer Außenminister von „verlorenen Partnern“ spricht, buhlt die britische Premierministerin um Donald Trump. Recht hat sie.

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Theresa May bei ihrem Antrittsbesuch in den USA. Quelle: AP

Theresa May brachte bei ihrem Antrittsbesuch in Washington – als erste ausländische Regierungschefin – dem neuen Präsidenten ein symbolisches Geschenk mit: Eine alte Trinkschale aus Schottland. Trumps Mutter stammte aus dem nördlichen Teil des Vereinigten Königreichs, wo man mit einem gemeinsamen Trunk aus solchem Behältnis unverbrüchliche Freundschaft schloss.

In der Rede, die May zuvor in Philadelphia vor Politikern der Republikaner hielt, stehen einige Sätze, die zeigen, um was es bei ihrem Besuch ging: „Mit der Beendigung unserer Mitgliedschaft in der EU haben wir die Chance, unseren Glauben an ein selbstbewusstes, souveränes und globales Britannien neu zu stärken. Indem wir beide unsere Selbstsicherheit wiederentdecken und Sie Ihre Nation so erneuern wie wir die unsrige, haben wir die Gelegenheit, ja die Verantwortung, unsere besondere Beziehung für dieses neue Zeitalter zu erneuern.“ May buhlt also bei Trump nicht nur konkret um ein bilaterales Handelsabkommen für die Zeit nach dem Brexit. Es geht ihr generell um die Erneuerung der „special relationship“, also der kulturgeschichtlich begründeten und in zwei Weltkriegen und dem Kalten Krieg geschmiedeten Sonderbeziehung der englischsprechenden Staaten.

Was für ein Gegensatz zur deutschen Bundesregierung!

Noch vor Merkels ersten Telefonat mit Trump nach Amtsantritt fliegt ein Ex-Minister und Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages namens Norbert Röttgen nach Washington, um "neue Formen von Allianzen" zu schmieden - gegen Donald Trumps Politik. Und das verkündet der auch noch weltöffentlich im "heute journal"! Dass Trumps Aussagen über die angeblich veraltete NATO, die angeblich bedeutungslose EU und nicht zuletzt seine Aussagen über das Foltern für einen verantwortlichen deutschen Politiker nicht akzeptabel sein können, steht außer Frage. Aber glaubt man denn ernsthaft, dass es sinnvoll ist, sich schon in der ersten Woche offen auf die Seite der parlamentarischen Gegner des neuen Präsidenten zu stellen? Kann man das nicht wenigstens im Verborgenen versuchen?

Theresa May hat mit ihrer Charme-Offensive immerhin geschafft, dass Trump sich zur NATO bekennt. Im Telefonat mit Merkel am Samstag bestätigte Trump nun die "fundamentale Bedeutung" der NATO.

Was das Ausland von Trump erhofft und erwartet

Sigmar Gabriel dagegen, der neue deutsche Außenminister, sprach in seiner letzten Regierungserklärung als Wirtschaftsminister von den USA und Großbritannien zumindest indirekt als „verlorenen Partnern“. Bezeichnenderweise gab es darauf keine entsetzten Reaktionen in Deutschland. Solange es gegen Trump geht, gibt es offenbar keine Fettnäpfchen in Berlin.

Wie er sich die Rückkehr zu einem „inklusiven“ Wirtschaftswachstum für alle vorstellt, ließ Sigmar Gabriel bei seinem letzten Auftritt als Wirtschaftsminister offen. Stattdessen stellte er klar, wo der Feind steht.
von Ferdinand Knauß

Natürlich kann man sagen: Trump hat angefangen. Stimmt. Nochmals: Was Trump tut und sagt, ist höchst kritikwürdig. Seine Persönlichkeit ist offensichtlich die eines Narzissten und seine Methodik die eines knallharten Geschäftemachers. Er hat schon in der ersten Woche im Weißen Haus deutlich gemacht, dass er bei der Umsetzung seiner Maxime „America first“ wenig Rücksicht auf andere Länder zu nehmen gewillt ist.

Wie viele Deutsche Trumps Vorschläge auch bei uns gerne verwirklicht sähen

Aber was haben wir Deutsche davon, wenn nicht nur Journalisten, sondern auch unsere Regierung Trump-USA als vom rechten Weg abgekommenen Sünder verurteilt? Vielleicht das gute Gefühl, gut zu sein. Doch das ist, wenn es ernst wird, nicht mehr viel wert. Amerika ist nicht irgendein Partner und sein neuer Präsident ist kein Victor Orban, den man in die Ecke stellen kann. Wenn Trump damit droht, die Sicherheit der europäischen Verbündeten nicht mehr uneingeschränkt garantieren zu wollen, dann muss es doch das Ziel der Regierenden in Europa und Deutschland sein, diese Androhung nicht real werden zu lassen.

Wie? Indem man tut, was May tut. Indem man sich den erhobenen Zeigefinger verkneift und  – notgedrungen – auf den Präsidenten des mächtigsten Landes der Welt zugeht. Indem man Gemeinsamkeiten betont – und nicht die ideologischen Gegensätze. Indem man Realpolitik statt moralisierenden Gesinnungsfundamentalismus betreibt - und seinem Lande damit einen größeren Dienst erweist als mit der Beschwörung von Werten, für deren Verteidigung man ohnehin nicht viel zu bieten hat.

Deutschland und der Fluch der reinen Gesinnungsethik

Niemandem ist damit gedient, wenn die Regierung des mittelgroßen (sicherheitspolitisch eher ziemlich kleinen) Deutschland das große Amerika schulmeistert. Dass er sich durch moralische Stigmatisierungen nicht sonderlich beeindrucken lässt, hat Trump schon im Wahlkampf bewiesen. Er ist ein rücksichtsloser Dealmaker. Man wird ihn vermutlich nur zu Zugeständnissen bewegen, wenn man ihm klar macht, wie Amerika vom Bündnis mit Deutschland handfest profitiert.

Was Trump von Deutschland will, kann man aus der gemeinsamen Presseerklärung nach dem Telefonat mit Merkel deutlich herauslesen: "eine gemeinsame Verteidigung" erfordere "angemessene Investitionen in die militärischen Fähigkeiten und einen fairen Beitrag aller Verbündeten zur kollektiven Sicherheit". 

In Handelsfragen kann Deutschland sehr selbstbewusst auftreten. Aber es geht im deutsch-amerikanischen Verhältnis eben zuallererst um etwas noch Wichtigeres: Sicherheit. Amerika schützt Deutschland und nicht umgekehrt. Deutschland hat etwas sehr Wertvolles zu verlieren. Es wäre die erste Aufgabe verantwortungsvoller deutscher Außenpolitik, den drohenden Schaden für das eigene Land zu vermeiden oder zumindest zu minimieren.

Die Alternative scheinen sich die Deutschen mit und ohne Regierungsverantwortung noch gar nicht wirklich klar zu machen: Aufrüsten. Das muss Deutschland ohnehin, aber ohne Amerikas Schutzgarantie müsste es in einem Maße rüsten, das der pazifistischen Mentalität in den dominierenden Milieus hierzulande unappetitlich wäre. Letztlich müssten Deutschland und die EU, wenn die transatlantische Entfremdung fortschreiten sollte, sich um Ersatz für den nuklearen Schutzschirm der Amerikaner kümmern. Sofern Deutschland im Angesicht Russlands und anderer internationaler Unwägbarkeiten nicht zu einer quantité negligeable werden will. Die Atommächte Großbritannien und Frankreich muss diese Sorge übrigens sehr viel weniger umtreiben.

Der SPD-Mann, der polarisiert
Sigmar Gabriel Quelle: dpa
Neben der SPD ist seine niedersächsische Heimat Goslar Gabriels Fixpunkt. Dort ist der frühere Lehrer mit einer Zahnärztin verheiratet. Das Paar hat eine gemeinsame Tochter und erwartet im Februar noch ein Kind. Quelle: dpa
1999 wird Gabriel im Alter von 40 Jahren in Niedersachsen jüngster Ministerpräsident. Quelle: dpa Picture-Alliance
Bei der Landtagswahl vier Jahre später steht Gabriel als großer Verlierer da. Er stürzt in ein tiefes Karriereloch, macht als Musikbeauftragter der SPD Schlagzeilen („Siggi-Pop“). Quelle: AP
Der damalige SPD-Chef Franz Müntefering verhilft ihm 2005 zum Comeback. Gabriel wird in der schwarz-roten Koalition Bundesumweltminister. Er kniet sich rein, glänzt mit Fachwissen, treibt den Klimaschutz voran. Quelle: dpa/dpaweb
2009 übernimmt er nach der desaströs verlorenen Bundestagswahl den Parteivorsitz und richtet die SPD auf. Hier ist der frisch Gewählte an der Seite von Franz Müntefering zu sehen. Quelle: REUTERS
Seit nunmehr sieben Jahren führt Gabriel die älteste deutsche Partei - so lange war seit Willy Brandt niemand SPD-Vorsitzender. Quelle: dpa

Auf existentielle Sicherheitsfragen, bei denen man die Frage nach Atombomben nie ausklammern kann, ist Deutschlands politische Kultur nach sieben Jahrzehnten unter Amerikas Schutz überhaupt nicht vorbereitet. Uns fehlt derzeit so ziemlich alles, was ein Land braucht, das seine Sicherheit selbst garantieren will. Nicht nur materiell, das ließe sich ändern, sondern vor allem mentalitätsmäßig. Umso wichtiger wäre es daher, es gar nicht erst so weit kommen zu lassen. Gerade die politischen Kräfte in Deutschland, die mit einer Aufrüstungsdebatte nichts zu gewinnen haben, weil in ihren Milieus jeder Gedanke an Militärisches unappetitlich ist, sollten ein Interesse daran haben, dass uns der Schutzschirm der USA erhalten bleibt.

Seit Trumps Wahlsieg wird Deutschland und Angela Merkel von manchen Übereifrigen die Rettung des Westens überantwortet. Das ist ein schlechter Witz der Weltgeschichte.
von Ferdinand Knauß

Deutschlands Politik scheint immer noch unter dem jahrhundertealten Fluch der reinen Gesinnungsethik zu stehen. Das könnte jetzt, wo sich vermeintliche Gewissheiten der Weltordnung grundlegend verändern, wieder verheerende Folgen haben. Die Regierenden und die gesamte politische Klasse Deutschlands können von May und den Briten in dieser Hinsicht noch einiges lernen. May ist, was Merkel nur in den ersten Jahren ihrer Kanzlerschaft zu sein schien: eine nüchterne Realpolitikerin. Sie steht damit in bester britischer Tradition. Auch May hatte, als sie noch Innenministerin war, Wahlkampfforderungen Trumps kritisiert. Aber seit sie selbst und Trump an der Spitze stehen, hat sie sich um versöhnliche Töne bemüht - zum Wohle ihres Landes. Noch wäre es nicht zu spät, auch in Deutschland endlich die Wirklichkeit zu akzeptieren: Trump ist Präsident der Weltmacht USA und wir müssen uns auf ihn einstellen, weil wir von Amerika abhängig sind.

 

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