Knauß kontert

Die große Verwirrung

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Verwirrung und politischer Größenwahn

In der „Zeit“ schreibt Robin Detje sarkastisch über Houellebecqs „große Männeroper“ und „altmännergeile Weltdeutung“: „Dabei sind Potenzprobleme doch kein Weltuntergang, liebe Männerkinder!“ Männer - vor allem „alte(rnde)“ und natürlich nur „weiße“ - pauschal und mitunter unflätig zu beschimpfen, ist seit einiger Zeit eine beliebte Reaktion auf ungeliebte Ansichten. Dass ausgerechnet einer der miesesten Nazi-Schergen, nämlich Roland Freisler, der berüchtigte Vorsitzende des „Volksgerichtshofs“, den Widerstandsgeneral Erwin von Witzleben als „Sie schmutziger alter Mann“ anschrie, sei nur nebenbei erwähnt in einem Land, das sonst mit gutem Grund empfindlich auf sprachliche Entgleisungen mit NS-Bezug reagiert. Dem Gegenüber sein Altmännerdasein vorzuwerfen, ist nicht nur ein „argumentum ad hominem“, also eine persönliche Diffamierung, die jegliche Verständigungsmöglichkeit in der Sache zerstört. Alte Männer pauschal in den Dreck zu ziehen, könnte man durchaus auch als „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ verstehen, wozu laut Definition der Amadeu-Antonio-Stiftung auch Sexismus gehört.

Vor allem aber ist es verwirrend, wenn solche Gehässigkeiten von einem eindeutig weißhäutigen und laut Wikipedia 1964 geborenen, also selbst nicht mehr ganz blutjungen Mann kommen. Wen will Robin Detje mit solch einem Text erreichen? Will er überhaupt von denen, die anderer Meinung sind, verstanden werden?

Verwirrung zu stiften ist keine Lappalie. Denn Verwirrung zersetzt Gesellschaften und stärkt – zumindest kurzfristig – die Regierenden. Verwirrte Bürger, die ihre Interessen nicht mehr kennen oder zumindest nicht mehr artikulieren und organisieren können, sind keine mündigen Bürger mehr. Ihre diffusen Befindlichkeiten äußern sich vielleicht in Schimpfen und Murren, doch lähmen sie den Willen, politisch aktiv zu werden. Verwirrten Bürgern können Regierungen auch das offensichtliche Scheitern durch stures Behaupten zum Erfolg erklären.

Das Phänomen ist vermutlich so alt wie die Menschheit. Nicht viel jünger sind auch die Mahnungen vor der Verwirrung. Das deutsche Wort Teufel kommt vom griechischen „Diabolos“, wörtlich übersetzt: der „Durcheinanderwerfer“ im Sinne von Verwirrer, Faktenverdreher, Verleumder. Der Philosoph Arnold Gehlen bezieht sich darauf im berühmten letzten Abschnitt seines Werkes „Moral und Hypermoral“: „Der Teufel ist nicht der Töter, er ist Diabolos, der Verleumder, ist der Gott, in dem die Lüge nicht Feigheit ist, wie im Menschen, sondern Herrschaft. Er verschüttet den letzten Ausweg der Verzweiflung, die Erkenntnis, er stiftet das Reich der Verrücktheit, denn es ist Wahnsinn, sich in der Lüge einzurichten."

Die Frage nach den tieferen Gründen für die Verwirrung wird schon im Alten Testament beantwortet. Der Turmbau von Babel (Gen 11,7-8), jener mythische Versuch der Menschheit, Gott gleichzukommen, wird nicht zufällig von Gott unblutig zum Stillstand gebracht, indem er ihre Sprache verwirrte, so dass das Weiterbauen schließlich unmöglich wurde.  

Die klugen alten Israeliten wussten, dass Verwirrung eine Folge von Hybris, also der Ignoranz von Begrenzungen ist. Der Irrglauben, alle irdischen Grenzen überwinden zu können, die Welt zu retten und gleichzeitig in den Himmel wachsen zu können, vernebelt den Verstand. Nicht nur König Nimrod, der die Idee zum Turmbau von Babel hatte, sondern auch heutige Regierende und Mächtige verlieren bisweilen die Bodenhaftung. Und die Menschen, die ihre hybriden, anmaßenden Werke ausführen sollen, verstehen daraufhin buchstäblich die Welt nicht mehr.

Vermutlich hat Nimrod seinen babylonischen Maurern zuvor aufmunternde Worte wie „Wir schaffen das!“ zugerufen.

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