Knauß kontert Weltbürgertum oder Nationalstaat? Das ist die Frage

Der Riss, der durch die westlichen Gesellschaften geht, verläuft nicht zwischen Guten und Bösen, sondern zwischen Globalisten und Verteidigern der Nationalstaaten. Deutschland ist - mal wieder - ein Sonderfall.

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Globalismus kontra Nationalismus: Ein deutsches Problem? Quelle: Getty Images, imago-images

Ein Riss geht durch Deutschland. Er ist unübersehbar. Viele Deutsche, vielleicht die meisten, erfahren ihn auch selbst. Denn er verläuft durch die gesamte Gesellschaft, trennt Familien und Freundeskreise.

Vordergründig geht es vor allem um die Einstellung zur so genannten Flüchtlingspolitik. In zeitgemäßer Personalisierung sprach das Magazin „Stern“ kürzlich auf seinem Titel von einem „Kampf“ zwischen Merkel und Petry als Protagonisten auf beiden Seiten. Wer es analytischer verpacken, aber nicht weniger vereinfachen mag, spricht von „Demokraten“ auf der einen Seite und „Rechtsextremisten“ oder „Autoritären“ auf der anderen. Für wen solche Analysen Partei ergreifen, liegt auf der Hand.

Sonderlich erkenntnisfördernd sind diese Zuweisungen nicht. Schließlich könnte man mit einiger Evidenz ein Ereignis wie die Klatschorgie auf dem CDU-Parteitag in Karlsruhe als Anzeichen wenig demokratischer Strukturen in der Kanzlerinnenpartei deuten und die offensichtlichen Schwierigkeiten von Frauke Petry, sich in ihrer AfD gegen allerlei interne Gegner durchzusetzen, sprechen nicht gerade für einen großen Hang zur Autorität in der neuen Partei.

Nein, die deutsche Zerrissenheit ist anders zu deuten. Verstehen kann man sie nur, indem man sie als internationales, zumindest gesamt-westliches Phänomen deutet, bei dem Deutschland allerdings eine zentrale Sonderrolle spielt. Die entscheidende politische Frontlinie der Gegenwart – zumindest innerhalb der westlichen Gesellschaften – verläuft zwischen Globalisten und Antiglobalisten. Zwischen denen, die sich als Weltbürger sehen, und denen, die den Nationalstaat so lange wie möglich erhalten möchten. Wer diesen Gegensatz moralisch auflädt und zum Kampf guter Demokraten gegen böse „Rechte“ erklärt, erschwert nur das, was in Demokratien doch stets das Ziel sein sollte: Kompromiss und Ausgleich der Interessen.

„Globalismus“, ein Begriff den der verstorbene Soziologe Ulrich Beck prägte, bezeichnet eine politische Vorstellung, die – vereinfacht gesagt – von der Unausweichlichkeit des Endes des Nationalstaates und damit auch der hergebrachten Nationen überzeugt ist. Diesen wird allenfalls eine untergeordnete, stetig abnehmende Rolle in einer durch weltweite Vernetzung von Wirtschaftsprozessen bestimmten Weltordnung zugebilligt, in der universelle ökonomische Unvermeidlichkeiten den Spielraum der herkömmlichen nationalen Politiken immer kleiner werden lassen. Egal, wo ein Problem, eine Krise, ein Krieg auftritt – niemand ist mehr nicht betroffen. Das Leben wird zu einem dauernden Rendezvous mit dem Rest der Welt. Politik wird zur Weltinnenpolitik. Politiker sind nicht mehr nur ihren Staatsvölkern, sondern allen Menschen verantwortlich.  

Ideengeschichtlich kann man entsprechende Vorstellungen bis in die Antike zurückverfolgen, zu Denkern wie Antisthenes, der den „Weltbürger“ (kosmopolites) erfand. Deutschland hatte zum Kosmopolitentum stets ein besonders intensives Verhältnis. Die politische Zerrissenheit vor 1870 und die Denktraditionen des Idealismus machten deutsche Eliten entweder zu begeisterten Anhängern oder fanatischen Ablehnern. Vermutlich kein Zufall, dass der „Weltgeist“ in einem deutschen Kopf, nämlich dem von Hegel entdeckt wurde. Natürlich gehört auch der Kommunismus in diese deutsch-globalistische Ideengeschichte.  

Die politischen und erst Recht die ökonomischen Eliten in der westlichen Welt haben seit langem verinnerlicht, dass die Weltgeschichte eine globalistische Entwicklungstendenz hat. Eine Tendenz, die man vermutlich nicht völlig aufhalten kann und die sogar zu begrüßen ist. Aber das heißt nicht, dass man es für geboten hält, diese Tendenz aktiv zu beschleunigen. Globalismus ja, aber bitte in Maßen. In den Hauptstädten außerhalb Deutschlands hat man nichts dagegen, dass die Nationen und ihre Staaten noch ein wenig erhalten bleiben – nicht zuletzt um die eigenen Bürger nicht zu überfordern.

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