Wir Deutschen haben mit guten Gründen verinnerlicht, aus der Geschichte Lehren für die Gegenwart und Zukunft zu ziehen. Nur leider ziehen wir allzu oft allzu platte und vordergründige Lehren, die dazu verleiten, das Gute so heißblütig zu wollen, dass sie das Schlechte bewirken. Wir Deutschen sind vielleicht immer noch das zu Extremen neigende Volk, das seine Nachbarnationen immer wieder zum Staunen, Fürchten oder einfach nur zum unsympathisch Finden veranlasst. Wir Deutsche können vielleicht wirklich alles – nur das rechte Maß, das finden wir einfach nicht. Der politische Pragmatismus, das einfach nur „durchkommen Wollen“ in einer gefährlichen Welt, bleibt uns fremd.
„Deutsch sein heißt eine Sache um ihrer selbst willen tun“, sagte Richard Wagner. Er fand das gut. Solange es ums Komponieren, Dichten, Denken und Erfinden geht, ist das sicher auch eine Erklärung für den Wohlstand und die kulturelle Größe des Landes. Aber ins Politische gewendet, wurde es der Welt und den Deutschen im vergangenen Jahrhundert zum schrecklichen Verhängnis.
Noch so ein nur oberflächlich verstaubter Spruch: „Deutsch sein heißt treu sein - Dem Worte, dem Freunde, der Fahne“. Das stand im Ersten Weltkrieg auf Feldpostkarten, die zwischen Front und Heimat verschickt wurden. Nun ja, mit der Fahne im engeren Sinne haben es die meisten Deutschen abseits des Fußballstadions nicht mehr so. Die Gegenstände der Treue haben sich zwar radikal verändert, aber offenbar nicht die grundsätzliche Neigung der Deutschen dazu: Die Trump wählenden Amerikaner, die spalterischen Briten, vielleicht bald die Le Pen wählenden Franzosen mögen den westlichen Idealen untreu werden, aber die Deutschen bleiben treu und verteidigen sie.
Unsere Kanzlerin übrigens schien bis vor wenigen Jahren – nicht zufälligerweise die Jahre, in denen die AfD und der „Hass“ und die „Hetzer“ ihren großen Aufstieg erlebten – einmal die Inkarnation des Gegenteils zu sein. Sie schien für Maß, Mitte und bescheidene, aber erreichbare politische Ziele zu stehen. Es wäre sicher nicht das schlechteste für Deutschland und das, was vom Westen übrig ist, wenn sich Angela Merkel auf diese ihre alte Tugend und Regierungsweise zurückbesinnen würde. Und bitte zunächst einmal das, was man liberale Ordnung nennt, im eigenen Land stärkte, statt auf Konfrontationskurs ausgerechnet zu den Ländern zu gehen, die diese Ordnung erfunden haben.