Knauß kontert

Deutschland soll die Welt retten? Lächerlich

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Ziehen wir die richtigen Lehren aus der Vergangenheit?

Wir Deutschen haben mit guten Gründen verinnerlicht, aus der Geschichte Lehren für die Gegenwart und Zukunft zu ziehen. Nur leider ziehen wir allzu oft allzu platte und vordergründige Lehren, die dazu verleiten, das Gute so heißblütig zu wollen, dass sie das Schlechte bewirken. Wir Deutschen sind vielleicht immer noch das zu Extremen neigende Volk, das seine Nachbarnationen immer wieder zum Staunen, Fürchten oder einfach nur zum unsympathisch Finden veranlasst. Wir Deutsche können vielleicht wirklich alles – nur das rechte Maß, das finden wir einfach nicht. Der politische Pragmatismus, das einfach nur „durchkommen Wollen“ in einer gefährlichen Welt, bleibt uns fremd.

Alle für den kleinen Mann
Er war hier eigentlich noch nie zu Gast und doch ist er beim Weltwirtschaftsforum 2017 so präsent, wie kein anderer Zeitgenosse: der kleine Mann. Oder genauer: Der weiße Mittelschichtsmann mit mittlerem Berufsabschluss und mittelprächtigem Job. Jener Typ, den der ehemalige US-Präsident Bill Clinton mal als „hart arbeitend, sich an die Regeln haltend“ beschrieb. Dem Unmut dieses kleinen Mannes über die wirtschaftlichen Zustände auf der Welt jedenfalls wird in Davos der Siegeszug der  so genannten Populisten in der Industrieländerwelt zugeschrieben. Oder, anders gesagt: Der kleine Mann hält sich nicht mehr an die ihm gesetzten Regeln. Und das sorgt die Anführer in Wirtschaft und Politik. So einheitlich wie man sie in dieser Sorge ist, desto konfuser sind die genannten Gründe und damit auch die angedachten Lösungen für das Phänomen. Nur, dass es angegangen werden soll, darüber herrscht Einigkeit. Oder, wie Großbritanniens Premierministerin Theresa May am Donnerstagmorgen sagte: „Wir alle, in Wirtschaft und Politik, müssen auf jene eingehen, die glauben, den Anschluss verloren zu haben.“ Sonst drohe eine nicht endende Stärkung der politischen Ränder links und rechts. Nur: Wie soll das gehe. Ein Überblick über die gewichtigsten Positionen. Quelle: REUTERS
Theresa May, Premierministerin Großbritannien"Wir brauchen eine aktive, starke Regierung. Wir können die wirtschaftliche Teilhabe aller nicht den freien Kräften der internationalen Märkte überlassen. Und wir müssen sicherstellen, dass alle nach den gleichen Regeln spielen; Bürger genauso wie multinationale Konzerne – auch beim Bezahlen von Steuern." Quelle: REUTERS
Joseph Stiglitz, Ökonomie-Nobelpreisträger"Wenn es Trump gelingt, in der ersten Phase seiner Amtszeit Erfolge, und seien sie auch nur symbolisch, vorzuweisen, wird sich seine Art des Politikmachens wie eine Seuche in den Industrieländern des Westens ausbreiten.  Politische Ideen überschreiten Grenzen, wenn sie eine kritische Masse an Anhängern erreicht haben. So könnte es auch mit Trumps Lügen-Populismus sein. Zumindest so lange, wie seine Anhänger zu Recht auf Probleme des Wirtschaftssystems hinweisen, die einfach nicht zu leugnen sind: Die wachsende Ungleichheit in allen westlichen Ländern zum Beispiel. Die verheerende Wirkung der Euro-Politik. Oder der fehlende politische Wille, die Digitalisierung zu gestalten. Da hat der Kapitalismus bisher versagt." Quelle: AP
Lawrence Summers, US-Ökonom"Das als reines Problem der Ungleichheit darzustellen ist nicht die ganze Wahrheit. Die Amerikaner haben gerade erst das Symbol schlechthin für einen zur Schau gestellten Konsum zu ihrem Präsidenten gewählt. Eine Menge der Leute, die für Trump und den Brexit gewählt haben, glauben, dass zu viel dafür getan wurde, den Armen zu helfen. Es gibt vor allem einen Wunsch nach mehr nationaler Stärke und Einigkeit." Quelle: REUTERS
Joe Biden, US-Vizepräsident"Die Ängste der Menschen sind legitim. Viele haben nicht mehr das Gefühl, dass sich ihr Leben und das ihrer Kinder verbessern wird. Die Mittelklasse wird ausgehöhlt und die soziale Stabilität gefährdet. Und das oberste eine Prozent der Einkommenspyramide trägt nicht die Lasten,die es tragen könnte." Quelle: AP
Ana Botin, Vorstandschefin Banca Santander"Wenn Europa eine große Reform angehen sollte, dann eine kraftvolle und einheitliche Bildungspolitik. Wir werden den Großteil der Menschen nur in Arbeit bringen, wenn er bestens und besser als bisher ausgebildet ist." Quelle: REUTERS
Pier Carlo Padoan, Finanzminister Italien"Es gibt in Europa praktisch kein Land, in dem nicht eine hohe Unzufriedenheit zu finden ist. Viele Menschen in der Mittelschicht sind desillusioniert über die Zukunft, über die Jobperspektiven für ihre Kinder und die Sicherheit. Das ist bitter, denn eigentlich habe Europas Integration ja mal als die richtige Antwort auf den entfesselten Kapitalismus gegolten." Quelle: dpa

„Deutsch sein heißt eine Sache um ihrer selbst willen tun“, sagte Richard Wagner. Er fand das gut. Solange es ums Komponieren, Dichten, Denken und Erfinden geht, ist das sicher auch eine Erklärung für den Wohlstand und die kulturelle Größe des Landes. Aber ins Politische gewendet, wurde es der Welt und den Deutschen im vergangenen Jahrhundert zum schrecklichen Verhängnis. 

Noch so ein nur oberflächlich verstaubter Spruch: „Deutsch sein heißt treu sein - Dem Worte, dem Freunde, der Fahne“. Das stand im Ersten Weltkrieg auf Feldpostkarten, die zwischen Front und Heimat verschickt wurden. Nun ja, mit der Fahne im engeren Sinne haben es die meisten Deutschen abseits des Fußballstadions nicht mehr so. Die Gegenstände der Treue haben sich zwar radikal verändert, aber offenbar nicht die grundsätzliche Neigung der Deutschen dazu: Die Trump wählenden Amerikaner, die spalterischen Briten, vielleicht bald die Le Pen wählenden Franzosen mögen den westlichen Idealen untreu werden, aber die Deutschen bleiben treu und verteidigen sie.

 

Barack Obamas Zeit als US-Präsident ist vorbei. Sein letzter Anruf im Amt ging an Angela Merkel - als Zeichen der Freundschaft.

Unsere Kanzlerin übrigens schien bis vor wenigen Jahren – nicht zufälligerweise die Jahre, in denen die AfD und der „Hass“ und die „Hetzer“ ihren großen Aufstieg erlebten – einmal die Inkarnation des Gegenteils zu sein. Sie schien für Maß, Mitte und bescheidene, aber erreichbare politische Ziele zu stehen. Es wäre sicher nicht das schlechteste für Deutschland und das, was vom Westen übrig ist, wenn sich Angela Merkel auf diese ihre alte Tugend und Regierungsweise zurückbesinnen würde. Und bitte zunächst einmal das, was man liberale Ordnung nennt, im eigenen Land stärkte, statt auf Konfrontationskurs ausgerechnet zu den Ländern zu gehen, die diese Ordnung erfunden haben.

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