Koalitionen Von Kiel über Jamaika nach Berlin

CDU, FDP und Grüne haben sich in Schleswig-Holstein auf einen Koalitionsvertrag verständigt, in NRW kommt es zu Schwarz-Gelb. Die Bündnisse erweitern für die CDU auch die Optionen bei der Bundestagswahl.

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Für Angela Merkel könnte die Botschaft aus den Bundesländern kaum besser sein: In Nordrhein-Westfalen, dem Stammland der Sozialdemokraten, hat sich ihr Stellvertreter Armin Laschet mit FDP-Chef Christian Lindner auf eine schwarz-gelbe Koalition verständigt. In Schleswig-Holstein ist es der junge Daniel Günther, der es geschafft hat, eine Wechselstimmung zwischen Nord- und Ostsee zu erzeugen und nun einen Koalitionsvertrag mit Grünen und FDP geschmiedet hat. Damit kann die Kanzlerin in den kommenden Wahlkampf-Monaten auf diese Bündnisse verweisen und sie zugleich als Aussicht einer Koalition jenseits der Großen Koalition im Bund präsentieren. SPD-Herausforderer Martin Schulz indes muss zwei Regierungsverluste verkraften und hat als Option allein ein rot-rot-grünes Bündnis - oder ein weiter so in der Großen Koalition.

Merkel hatte schon lange vor der Wahl ein Auge auf den 43-jährigen Eckernförder Günther gerichtet, der trotz seiner jungen Jahre schon ein alter Hase in der CDU Schleswig-Holstein ist (er war lange Landesgeschäftsführer und Oppositionsführer) und kommt ihr mit seiner norddeutschen Attitüde und nüchternen, sachlichen Art entgegen. Er redete sogar auf ihren Wunsch beim Versöhnungstreffen mit der CSU, um für Geschlossenheit zu werben und so die Grundlage für den überraschenden Wahlerfolg zu reden.

Nun also eröffnet Schleswig-Holstein neue Fantasien im Bund. "Wir haben aufgezeigt, wie man Ökologie und Ökonomie verbinden kann", sagte Günther. "Bewegt und anstrengend", seien die Verhandlungen gewesen.

500 Millionen Euro mehr will die Regierung ausgeben und trotzdem einen soliden Haushalt vorlegen. Es ist das erste Jamaika-Bündnis, nach dem aus der Not geborenen Versuch im Saarland, der nur nach kurzer Zeit angesichts einer für CDU-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer unzuverlässigen FDP gescheitert war. Nach Rücksprache mit der Kanzlerin hatte sie 2012 das Bündnis nach nicht einmal drei Jahren aufgekündigt und mit einer Großen Koalition weiter regiert, die sie sich im März, wenige Wochen vor dem Wahlsieg der CDU in Kiel, bestätigen ließ. innerhalb der Union galt der Sieg als Basis, um den Schulz-Effekt zu brechen und auch in Kiel und Düsseldorf zu gewinnen.

Nun ist es an Günther zu zeigen, dass „Jamaika“ eine realistische Option für die CDU ist. Solide Arbeit von Schwarz-Grün demonstriert seit 2014 Volker Bouffier (CDU) in Hessen und Winfried Kretschmann (Grüne) in Baden-Württemberg. Bewährt sich das Nord-Bündnis in den ersten Monaten, dann könnte es nach der Bundestagswahl am 24. September eine Option werden. Schwarz-Gelb in Düsseldorf ist es ohnehin für viele in der CDU.

Anfang des Jahres hätte Günther nicht darauf gewettet, dass er am 28. Juni zum Ministerpräsidenten gewählt werden würde. Von Anbeginn wusste er, dass er SPD, Grüne und den Südschleswigschen Wählerverband nur würde ablösen können, wenn er zum einen stärker als die SPD würde und zugleich ein schwarz-gelb-grünes Bündnis möglich wäre. Dazu hat er seine Partei inhaltlich klar ausgerichtet, der Partei den Fetisch des G8-Gymnasiums genommen und wieder auf G9 gesetzt, sich auch für eine ökologischere Landwirtschaft eingesetzt, Investitionen in die Infrastruktur und einen kontrollierten Ausbau der Windenergie. Nur so war es möglich, in nur drei Wochen den Koalitionsvertrag auf den Weg zu bringen. Das war schon heikel genug, besteht dabei doch die Gefahr, dass die Arbeitsgruppen sich zwar in ihren Fachthemen verständigen, die dort vereinbarten Maßnahmen aber nicht in das Gesamtkonzept passen. Entsprechend krachte es auch einmal, als es um den Wirtschafts- und Investitionsteil des Programms ging. Die Grünen wollen nicht unbedingt mehr Straßen bauen, CDU und FDP sehr wohl, allen voran hat Günther im Wahlkampf versprochen, die A20 zügig auszubauen. Auch den Bau der Fehmarn-Belt-Querung nach Dänemark will Jamaika unterstützen werden. Kurzzeitig drohten die Verhandlungen gar zu platzen, was nur durch ein vierstündiges Krisengespräch der Spitzenvertreter der Parteien gekittet werden konnte. Nun sollen in den kommenden fünf Jahren 210 Millionen Euro zusätzlich in die Wirtschaft und Infrastruktur investieren. 50 Millionen davon sollen in die digitale Infrastruktur fließen.

Der "Hänger", wie Günther den Streit in den Verhandlungen habe "zusammengeschweißt". Grünen-Chefin Monika Heinold sagte, dass das reinigende Gewitter "gutgetan" habe. "Wir betreten Neuland, aber es fühlt sich gut an", sagte sie. FDP-Chef Heiner Garg sagte, es sei "etwas Neues" gefunden im Ausgleich der unterschiedlichen Positionen. "Das soll uns erst einmal nachmachen", sagte er.

Am Dienstagabend hatte es noch einmal neun Stunden gedauert, bis alle Programpunkte geeint waren. So will Jamaika kleineren Betrieben die Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen erleichtern und mit Kirchen und Kammern über flexiblere Sonntagsöffnungszeiten reden. Hinzu kommt das G9, mehr Schutz der Anwohner beim Bau von Windrädern, aber auch das Ziel, Rückführungen von Flüchtlingen durchzusetzen, was die letzte Regierung vehement ablehnte. Allerdings soll bei unübersichtlichen Zielländern wie Afghanistan eine Prüfung „nach humanitären Gesichtspunkten“ erfolgen. Auch der eingeführte „Landes-Mindestlohn“ soll abgeschafft werden. Themen von bundesweiter Bedeutung finden sich auch: So will Jamaika ein bürokratiefreies Jahr für Start-Ups einführen, was im Bundestag auch diskutiert wird. Auch will die Koalition über den Bundesrat für ein Einwanderungsgesetz werben. Bei kritischen Fragen hält sich das Vertragswerk im Allgemeinen, so dass es noch zu Auseinandersetzungen innerhalb der Koalition kommen dürfte. Allerdings gibt es eine komfortable Mehrheit von 56 der 73 Sitze im Landtag.

Wie gut der Jamaika-Kitt klebt, wird sich erst in einigen Monaten zeigen. Am Freitag werden die Verhandlungsführer das Vertragswerk unterzeichnen. Danach werden zwar die Grünen-Frontleute Monika Heinold und Robert Habeck sowie FDP-Frontmänner Wolfgang Kubicki und Heiner Garg ihre Mitglieder befragen, die Zustimmung aber ist gewiss. Daniel Günther wird sich von den CDU-Delegierte auf einem Parteitag am 23. Juni das OK geben lassen. Danach wird das Bündnis an den Start gehen – und ganz sicher bis zur Bundestagswahl gut zusammenarbeiten: Zum einen will die FDP den Schwung nutzen und so auch im Bund mit einem guten Ergebnis wieder in den Bundestag einziehen. Zum anderen wollen die Grünen ihren Sympathieträger Habeck weiter in der Politik halten. Er hat kein Landtagsmandat und scheiterte bei dem Versuch ganz knapp, Spitzenkandidat für die Bundestagswahl zu werden. Umso wichtiger ist er, dass er weiter Minister in Kiel bleibt. Auch Heinhold wird Finanzminister bleiben . Die FDP wird das Wirtschafts- sowie das Sozialressort erhalten. Insgesamt sollen von Männer und drei Frauen das Kabinett bilden.

Ähnlich stabil wird das Bündnis in Nordrhein-Westfalen arbeiten. Zwar kann sich der designierte Ministerpräsident Armin Laschet gemeinsam mit FDP-Chef Christian Lindner nur auf eine Ein-Stimmen-Mehrheit stützen. Weil aber alle wissen, dass es letztlich um den Erfolg bei der Bundestagswahl geht, werden die Koalitionspartner diszipliniert arbeiten. Bereits bei den Koalitionsverhandlungen liefen die Verhandlungen schnell und ohne größere Konfrontationen.

Nach der Bundestagswahl dann wird sich zeigen, ob neben dem Klassiker des bürgerlichen Lagers, Schwarz Gelb, aus dem neuen Farbenspiel Schwarz-Gelb-Grün eine stabile Option für die Zukunft entsteht - und ob der Wähler so ein Bündnis auch auf Bundesebene eine Mehrheit gegeben hat. In Schleswig-Holstein etwa gibt es auch Neues: Das Jamaika-Bündnis will in einem Modellprojekt die Haschisch-Ausgabe via Coffeeshops wie in den Niederlanden testen.

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