Koalitionspoker Wie Jamaika funktionieren könnte

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Flüchtlinge und Familienpolitik

4. Zuwanderung

Für die CSU ist die Obergrenze ein Schlüsselthema. Zwar sind führende Politiker aus Bayern davon abgerückt, eine unverrückbare Obergrenze von 200.000 Flüchtlingen pro Jahr als rote Linie zu definieren. Aber sie fordern Maßnahmen, die Einwanderung de facto auf dieser Höhe begrenzen. Die Grünen warnen davor, dass das grundgesetzliche Recht auf Asyl nicht eingeschränkt werden dürfe. Und sie fordern den Familiennachzug.

CSU und Grüne liegen hier also noch weit auseinander. Möglicherweise könnten die Liberalen als Schlichter agieren. Sie liegen nämlich mit ihrer Position in etwa in der Mitte. Das Asylrecht wollen sie im Prinzip aufrechterhalten und wie die Grünen fordern sie ein Einwanderungsgesetz. Gleichzeitig halten sie „ein System der Begrenzung und Kontrolle“ (so FDP-Chef Christian Lindner) für eine Voraussetzung. Erst dann könne man beim Familiennachzug offener sein.

von Marc Etzold, Max Haerder, Elisabeth Niejahr, Thomas Schmelzer

Die FDP-Position könnte der Fahrplan für die nächste Sondierungsrunde zum Thema Migration sein: Staatliche Kontrolle als Voraussetzung, um eine humane Asylpolitik zu ermöglichen. Auch schnellere Asylverfahren dürfte bei allen Parteien unstrittig sein. Wenn man das europäische Dublin-System konsequent auslegt, müssten Flüchtlinge dort bleiben, wo sie ihren ersten Asylantrag gestellt haben. Dies sind Eckpunkte, auf die sich alle Parteien ohne Gesichtsverlust verständigen könnten. Sie fordern im Prinzip die Einhaltung und Durchsetzung geltenden Rechts. Die Einwanderung würde deutlich reduziert.

Gleichzeitig behielte Deutschland ein soziales Antlitz, wenn man jenen, die hierzulande berechtigt Schutz suchen, die Möglichkeit gibt, ihre Familienangehörigen nachzuholen. Und wenn eine Begrenzung mit einer konkreten Zahl nicht Teil des Koalitionsvertrages würde.

Auf nach Jamaika - und mit welchen Leuten?
Nach dem Wahl-Beben gibt es nur zwei mögliche Regierungen: die große Koalition oder Jamaika. Doch die SPD hat einem erneuten Bündnis mit der Union schon eine Absage erteilt. Mal sehen, ob SPD-Chef Martin Schulz hart bleibt. Aber sollte es mit CDU, CSU, FDP und Grünen klappen, wer würde dann Deutschland im Kabinett Merkel IV regieren? Eine Übersicht. Quelle: dpa
Angela Merkel (CDU/63): Bleibt Kanzlerin. Auch wenn ihre CDU über acht Prozentpunkte gegenüber 2013 einbüßte. Merkel dürfte pragmatisch sein. Kohle-Ausstieg? Könnten die Grünen bekommen. Ausstieg aus Diesel und Benziner? Eher nicht. Da würden ihr CSU-Chef Horst Seehofer und die Autolobby aufs Dach steigen. Apropos Seehofer. Er stürzte in Bayern unter 40 Prozent mit der CSU ab. Ein Jahr vor der Landtagswahl könnte es ihm besonders schwerfallen, mit den Grünen in Berlin zu regieren. Das schränkt Merkels Beinfreiheit ein. Aus dem CDU-Präsidium verlautet, Merkel wolle auf jeden Fall die neue Regierung in ruhiges Fahrwasser führen. Vielleicht leite sie zur Mitte der Wahlperiode einen Wechsel ein oder gebe den Parteivorsitz 2020 ab und mache den Weg frei für die Nachfolge zur nächsten Wahl. Quelle: REUTERS
Wolfgang Schäuble (CDU/75): Die FDP dürfte in Koalitionsverhandlungen Anspruch auf das Finanzministerium erheben. Die Lammert-Nachfolge als Bundestagspräsident dürfte für Schäuble eine ernsthafte Option sein. Der dienstälteste Abgeordnete gilt als leidenschaftlicher Parlamentarier. Von den vielen Spitzenämtern, die Schäuble in der Vergangenheit ausgeübt hatte, dürfte ihm der Fraktionsvorsitz bei der Union am meisten Spaß gemacht haben. Schäuble ist aber auch jemand, der gern regiert und gestaltet. Und der Umbau der Euro-Zone ist in den nächsten Jahren eine schwierige und reizvolle Aufgabe. Quelle: dpa
Ursula von der Leyen (CDU/58): Ihr PR-getriebener Umgang beim Bundeswehr-Skandal um rechte Umtriebe in der Truppe hat ihr Macherin-Image angekratzt. Seitdem begegnen ihr viele in der Bundeswehr mit Misstrauen, sie würde trotzdem gern Verteidigungsministerin bleiben. Eine wichtige Rolle dürfte sie jedenfalls auch in Zukunft spielen. Quelle: dpa
Peter Altmaier (CDU/59): Merkels Allzweckwaffe. Auch bei den Verhandlungen über ein Jamaika-Bündnis und darüber hinaus dürfte er eine wichtige Rolle spielen dürfte. Ihm wird jederzeit ein Ministerposten zugetraut. Quelle: REUTERS
Joachim Herrmann (CSU/61): Bayerns Innenminister war der Spitzenkandidat der CSU für die Bundestagswahl. Ziel von CSU-Chef Horst Seehofer ist es, für Herrmann das Bundesinnenministerium zu „erobern“. Unklar ist, ob das gelingt. Da Herrmann nun trotz seines ersten Listenplatzes kein Bundestagsmandat erhält, dürfte es für ihn noch schwieriger werden. Quelle: dpa
Thomas de Maizière (CDU/63): In der Flüchtlingskrise geriet der Innenminister unter Druck, weil es im zuständigen Bundesamt nicht rund lief. Sollte Finanzminister Schäuble doch seinen Posten räumen, könnte de Maizière das Haus der Zahlen reizen. In Sachsen war er von 2001 bis 2002 Finanzminister. Ansonsten vielleicht wieder Manager im Kanzleramt? Quelle: dpa

5. Familienpolitik

Auch beim Thema Familie wird es schwierig. Zwar wollen alle beteiligten Parteien Eltern und Kinder stärker unterstützen - aber nicht alle denken dabei an die gleichen Haushalte, und auch über den richtigen Weg gibt es sehr unterschiedliche Auffassungen. Die Union will mit einem Baukindergeld diejenigen Familien unterstützen, die Immobilien erwerben, wohingegen die Grünen Geld für Armutsbekämpfung ausgeben wollen und vor allem an Alleinerziehende und Hartz-IV-Kinder denken.

Besonders umstritten ist der Wunsch der CSU, die Mütterrenten zu erhöhen - für Frauen, deren Kinder vor 1992 geboren wurden. Das kostet Milliarden und nützt zudem vielen, die im Alter gut versorgt sind. Auch das Ehegattensplitting, das steuerliche Vorteile für Verheiratete mit unterschiedlichen Einkommen bringt, ist ein Streitthema. Die Grünen wollen Reformen und Steuervorteile stärker auf Familien mit Kindern ausrichten. Union und FDP wollen keine Änderungen - obwohl die CDU selbst schon auf vielen Parteitagen die Einführung eines Familiensplittings gefordert hat.

Ein Kompromiss könnte aus zwei Teilen bestehen: Eine künftige Jamaika-Koalition müsste mehr Geld in hochwertige Ganztagsbetreuung investieren, auch in Personal für Kitas mit langen Öffnungszeiten. Das ermöglicht mehr Alleinerziehenden, berufstätig zu sein.

Bei diesem Ziel könnten sich die Grünen vermutlich schnell verständigen mit der FDP, die Bildung ja im Wahlkampf zum wichtigsten Thema erklärt hatte. Und dann müssten in verschiedene Projekte weitere Mittel fließen: Der künftige Finanzminister könnte das Baukindergeld für Einkommensschwache zahlen - und gleichzeitig den sogenannten Unterhaltsvorschuss für Alleinerziehende erhöhen. Das ist Geld, das Eltern bekommen, deren Partner keinen Unterhalt zahlt.

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