Koalitionsverhandlungen Familien als Restposten der Politik

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Der Konflikt liegt zwischen Eltern und Kinderlosen

Die Streitpunkte zwischen CDU und SPD
Familien: Das gerade erst eingeführte Betreuungsgeld wollen die Sozialdemokraten abschaffen. Die CSU verteidigt es vehement, aber auch in der CDU wird die Familienleistung teilweise kritisch gesehen. Die Kinderbetreuung wollen alle ausbauen, die SPD will Kitagebühren schrittweise sogar ganz abschaffen. Das Ehegattensplitting will die SPD abschmelzen. Die Union plant einen Umbau zu einem Familiensplitting. Quelle: dpa
Mieten: Gegen drastische Mieterhöhungen schlagen Union und SPD Preisbremsen vor. Die SPD will bundesweit eine Erhöhungs-Obergrenze bei Wiedervermietungen von zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete und Maklerkosten künftig dem Vermieter aufbürden. Die Union will den Ländern für Gebiete mit angespanntem Markt die Möglichkeit zu einem Limit geben. Quelle: dpa
Arbeit: Beim Mindestlohn scheinen die Gräben überwindbar. Im Wahlkampf warb SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück gemeinsam mit Katrin Göring-Eckhardt von den Grünen für einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von mindestens 8,50 Euro. CDU und CSU setzen dagegen auf branchenbezogene Lohnuntergrenzen in erster Linie für Arbeitnehmer ohne Tarifbindung. Kompromisse wären aber vorstellbar, denn auch der CDU-Arbeitnehmerflügel will Dumpinglöhne stärker bekämpfen. Weiterer Streitpunkt ist die SPD-Forderung nach einer Frauenquote für Aufsichtsräte. Uneinigkeit besteht ebenso in der Bewertung von Leih- und Zeitarbeit sowie bei Werkverträgen. Quelle: dpa
Verkehr: Es ist ein brisantes Thema, das die CSU zur Bedingung einer Koalition erklärt hat: eine Pkw-Maut für Ausländer auf deutschen Autobahnen. Die Union ist selbst uneins darüber. Die SPD lehnt eine Pkw-Maut strikt ab. Quelle: dpa
Steuern: Die Union hat Steuererhöhungen am Wochenende kategorisch ausgeschlossen und will die Bürger bei der kalten Progression entlasten. Auch bei der von der SPD geforderten Vermögensteuer dürften CDU/CSU nicht mitziehen. Zumindest der Wirtschaftsflügel der Union fordert zudem Entlastungen beim Solidaritätszuschlag. Die SPD kritisiert solche Vorfestlegungen als „unseriös“. Sie will große Einkommen und Vermögen stärker belasten, um Schuldenabbau, Bildung und Infrastrukturausbau zu finanzieren. Dazu soll der Spitzensteuersatz auf 49 Prozent steigen, auch eine höhere Abgeltungsteuer für Kapitaleinkünfte ist geplant. Quelle: dpa
Rente: Im Ziel sind sich Union wie SPD einig: Wer Zeit seines Lebens gearbeitet, aber nur wenig verdient hat, soll im Rentenalter mindestens 850 Euro monatlich zum Leben haben und nicht zum Sozialamt gehen müssen. Einigen müssen sie sich über den Weg dahin. Für langjährig Versicherte fordern die Sozialdemokraten eine Solidarrente von mindestens 850 Euro. Die CDU diskutiert eine Lebensleistungsrente, die allerdings niedriger und regional unterschiedlich ausfallen dürfte. Außerdem will die Union Renten für ältere Mütter verbessern. Die Rente mit 67 hatten Union und SPD noch 2006 gemeinsam eingeführt. Inzwischen fordert die SPD deren Aussetzung, sollte der Anteil älterer Erwerbstätiger nicht deutlich steigen. Quelle: dpa
Energie: Offiziell bekennen sich Union und SPD zum Ausbau erneuerbarer Energien und zur Verminderung von Treibhausgasen. Allerdings setzte sich in der Union häufig der Wirtschaftsflügel durch, um Auflagen für die Industrie zu verhindern – aktuell beispielsweise bei EU-Abgasnormen für neue Autos. Die Förderung von Ökostrom will die Union zugunsten niedrigerer Strompreise stärker einschränken. Dem könnte auch die Kohlelobby in der SPD zustimmen. Quelle: dpa

Was müsste eine ressortübergreifende Familienpolitik, die den Namen verdiente, leisten? Sie müsste die Lasten und Risiken für Familien mit Kindern so senken und die Lasten für Kinderlose so anheben, dass ein Leben mit Kindern finanziell attraktiver ist als eines ohne Kinder. An Modellen dafür herrscht wahrlich kein Mangel. Der einfachste und bürokratieärmste Hebel wäre beispielweise ein Steuersystem, das, wie in Frankreich, radikale Erleichterungen für Eltern ab dem zweiten Kind vorsieht. Eine Französin bekommt im Durchschnitt rund 2 Kinder, was fast genügt, um die Bevölkerungszahl zu halten, während in Deutschland nur rund 1,4 Kinder auf eine Frau kommen.

Eine andere Möglichkeit, die der Ökonom Hans-Werner Sinn jetzt vorgeschlagen hat, wäre ein radikaler Umbau der Alterssicherung. Sinn will nur noch Eltern von mindestens drei Kindern die volle Rente auszahlen lassen, während Kinderlose gezwungen sein sollten, entsprechend stärker privat vorzusorgen. Sinn hatte das schon vor etwa zehn Jahren gefordert. Die damalige rot-grüne Koalition hatte diese Idee ignoriert. Doch auch jetzt gibt es kein Indiz dafür, dass in Union oder SPD jemand sich dafür interessiert.

Kinder haben für Merkel keine Priorität

Ein bedenkenswerter Vorschlag kam im Februar 2012 auch aus den Reihen der Union: Der Chemnitzer Marco Wanderwitz und einige andere Bundestagsabgeordnete schlugen vor: Kinderlose, die älter als 25 Jahre sind, sollten eine Abgabe für eine solidarische Demografierücklage – etwa ein Prozent des Einkommens – zahlen, Eltern mit einem Kind die Hälfte, mit mehr Kindern nichts. Die Bundeskanzlerin bügelte den Vorschlag umgehend ab. „Schon eine Einteilung in Menschen mit und ohne Kinder ist nicht zielführend“, sagte die kinderlose Kanzlerin. Mehr, zum Beispiel ein nachvollziehbares Argument für ihre Ablehnung, hatte sie nicht zu bieten. Aber die Botschaft war eindeutig: Eltern und Kinder haben im Kanzleramt keine Priorität.

Doch genau das, was Angela Merkel mit einem Machtwort zu ignorieren befahl, ist die brisante Konfliktlinie in der schrumpfenden deutschen Gesellschaft: Nicht, wie oft dargestellt, zwischen den wenigen Jungen und den vielen Alten verläuft sie, sondern zwischen Eltern und Kinderlosen. Junge Menschen werden sich nicht gegen ihre Eltern wenden und Großeltern nicht gegen ihre Kinder und Enkel. Es ist daher auch nicht entscheidend für die Vertretung der Interessen junger Menschen oder künftiger Generationen gegenüber älteren Empfängern von Solidarleistungen, ob im Bundestag mehr weniger junge Abgeordnete sitzen. Ein siebzigjähriger Abgeordneter mit Kindern und Enkeln wird keine bedenkenlose Interessenpolitik für Rentenempfänger und gegen junge Beitragszahler machen.

Die wachsende Gruppe der kinderlosen älteren Menschen – also jene 30 Prozent kinderlose Akademikerinnen, die das Statistische Bundesamt meldet – wird sich bald mit ihren Ansprüchen den wachsenden Unwillen derjenigen zuziehen, die sie finanziell versorgen und pflegen sollen, während es ihnen gleichzeitig an Zeit und Geld für ihre eigenen Kinder mangelt.

Vielleicht wird erst, wenn dieser unvermeidbare Interessenkonflikt nicht mehr zu übertünchen ist, die demografische Frage endlich den politischen Rang einnehmen, der ihr eigentlich längst gebührt. Die deutschen Wähler hätten, so Hans-Werner Sinn, die Brisanz des Themas noch nicht erkannt. Leider hat er damit ebenso recht, wie mit der Feststellung, dass wer das Thema tabuisiere – wie fast die gesamte politische Klasse – sich „schuldig an der Zukunft der Deutschen“ macht.

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