Köln und die Silvester-Übergriffe Mehr Polizei heißt nicht mehr Sicherheit

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Gefühlte Sicherheit sinkt

Das zeigt vor allem: Vernünftige Schlüsse lassen sich aus den Zahlen nur ziehen, wenn man sie ins Verhältnis zur Bevölkerungsdichte setzt. Kriminalität ist ein Großstadtphänomen, deshalb muss hier auch die Dichte an Polizisten höher als auf dem Land sein, um das gleiche Maß an Sicherheit erreichen zu können. Umso schockierender ist daher der Blick auf den hintersten Platz der Statistik: Mit 272 Polizisten pro 100.000 Einwohner ist ausgerechnet Nordrhein-Westfalen, das am dichtesten besiedelte Flächenland, am dünnsten mit Polizisten besetzt. Auch die verhältnismäßig dicht besiedelten Bundesländer Baden-Württemberg und Hessen weisen eine sehr geringe Abdeckung mit Polizeibeamten auf. Ein wenig entlastet wird das Schlusslicht Nordrhein-Westfalen, wenn man die Veränderung in den vergangenen Jahren mit in den Blick nimmt. Denn seit 2002 hat sich nur in sechs Ländern die Polizistenabdeckung erhöht und Nordrhein-Westfalen machte dabei den größten Sprung.

Die Statistik ist das eine, die gefühlte Sicherheit jedoch etwas völlig anderes. So konzentrieren sich die Geschichten über kommunale Streifendienste wie in Thale und Bürgerwehren bisher auf ostdeutsche Bundesländer, wo die Abdeckung mit Polizeibeamten mit Ausnahme Thüringens deutlich höher als in Westdeutschland ist. Die Ursachen haben aber mit Ost und West wenig zu tun und liegen eher in der Politik der vergangenen Jahre. Da hat es in allen ostdeutschen Bundesländern große Polizeireformen gegeben, bei denen die Zahl der Polizisten zum Teil deutlich gesenkt werden sollte.

Feldjäger werden zu Polizisten umgeschult

So gibt es in Mecklenburg-Vorpommern aktuell knapp 6000 Polizisten, bis 2020 sollten es nur noch 5500 sein. In Brandenburg sollte die Zahl von 8100 auf 7800 reduziert werden. In Sachsen sollte die Zahl der Beamten von 13.000 auf gut 10.000 verringert werden. Auch in Thüringen und Sachsen-Anhalt war ein Abbau von mehr als zehn Prozent der Stellen vorgesehen. Im Zuge der Flüchtlingskrise aber hat sich der Wind gedreht. Ende vergangenen Jahres wurden die Abbaupläne in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Thüringen gestoppt, in den anderen Ländern wird ähnliches diskutiert. Stattdessen macht jetzt das „Brandenburger Modell“ die Runde. Dort hat man eilig begonnen, Feldjäger zu Polizisten umzuschulen, um die Belastungen durch die Flüchtlingskrise irgendwie in den Griff zu bekommen.

In Sachsen geht man noch einen Schritt weiter und führt die Wachpolizei wieder ein. Nach einer Kurzausbildung von drei Monaten werden jetzt Bürger fit gemacht, um dann beim Objektschutz vor Flüchtlingsheimen eingesetzt zu werden. 550 Hilfspolizisten sollen so zügig rekrutiert werden.

Das alles dokumentiert vor allem die wachsende Hilflosigkeit des Sicherheitsapparats. Denn mehr Polizisten allein können nicht für mehr Sicherheit sorgen. Das zeigen die oft martialischen Einsätze der Polizei in brasilianischen Favelas, die zwar kurzfristig für Ruhe sorgen, aber dauerhaft die Gewalt nicht eindämmen können. Auch internationale Vergleiche belegen, dass man Sicherheit kaum durch mehr Personal erkaufen kann. So ist innerhalb Europas die Abdeckung mit Polizisten in Skandinavien und der Schweiz am niedrigsten - das sind zugleich die Länder mit der geringsten Quote schwerster Gewaltdelikte. In anderen Ländern wie Bulgarien, Belgien, Griechenland oder der Türkei gibt es hingegen trotz einer hohen Zahl von Polizeibeamten extrem viele schwere Gewalttaten.

Sicherheit ist offenbar eine Frage der zivilen Kultur. Wo Gewalt ausreichend tabuisiert ist, da kommt die Polizei auch mit relativ wenig Personal ihrer Verantwortung nach. Ist Gewalt hingegen einmal Normalität geworden, hilft auch die schärfste Aufrüstung wenig. Die tagelange Aufregung nach den Vorfällen in Köln zeigt einerseits, dass diese Tabuisierung in Deutschland funktioniert. Steigende Umsatzzahlen der Hersteller von Pfefferspray und die wachsende Nachfrage nach Waffenscheinen in einigen Teilen des Landes weisen andererseits darauf hin, dass diese Kultur schnell in Gefahr gerät.

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