Kölner Aleppo-Demonstrationen Wie ich lernte, Empörung zu zeigen!

Wo ist der Aufstand gegen den Krieg in Syrien? Aleppo stirbt. Wir schauten lange zu. Endlich verwandelt sich Lethargie in Aktionismus. London, Kopenhagen, Berlin, Köln: überall zeigen Menschen Anteilnahme und Empörung.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Aufgerufen von der Kinderrechtsorganisation „Save the children“ fanden im Oktober in in Aleppo, Genf, New York, Toronto und Berlin Mahnwachen statt, um an die getöteten Kinder in Syrien zu erinnern. Quelle: dpa

Köln Endlich regt sich was. Es ist Mittwoch der 14. Dezember und während einige meiner Facebook-Freunde gerade noch bestürzt feststellen, dass Weihnachtsgeschenke und Nordmanntanne besorgt werden müssen, brennt mein Gesicht. Brennen meine Wangen. Der Tisch an dem ich sitze: ganz nass. Ich weine und lese geschockt die neuesten Schlagzeilen aus Aleppo. Die Lage könnte dramatischer nicht sein.

Die „Syrische Armee richtet Zivilisten hin“ (Zeit Online), die Uno berichtet über Massaker an Frauen und Kindern, unschuldige Menschen werden offenbar exekutiert. Ein UN-Sprecher sagt: „Es gibt einen kompletten Kollaps der Menschlichkeit in Aleppo.“ Wie ein kleines Kind weine ich und denke darüber nach, was ich tun soll. Ob ich mich schützen muss vor all den furchtbaren Nachrichten, die mich seit Wochen teilweise ungefiltert über Twitter und Facebook erreichen – das Internet macht's möglich. Krieg ist auch nicht mehr das, was er früher war. Er sitzt jetzt mit mir auf dem Sofa, wenn ich essen will, am Schreibtisch, wenn ich arbeiten will, er liegt neben mir, wenn ich schlafe und ploppt immer wieder grell auf mitten in der Nacht.

Über die Sozialen Netzwerke, die in diesen Tagen ihrem Namen leider kaum eine Ehre machen, strömen grausame Videobilder direkt in meine Seele, tief in mein Herz. „Anna, ich halte das nicht mehr aus!“, schreibe ich einer Freundin, die sich in den Niederlangen engagiert, die sich seit Wochen auf- und wund reibt, aber wenigstens etwas tut. Die laut ist und wütend. Auch meine Arbeitskollegin aus Wuppertal schreibt mir hilflos per Whatsapp: „Carina, ich weine. Es ist kaum zu ertragen.“ Was mich besonders fassungslos macht: Warum gehen Hunderttausende gegen das transatlantische Freihandelsabkommen auf die Straße, aber nicht gegen den Syrien-Krieg? Was ist das los? Und wo sind eigentlich die anderen Konsorten, die sonst immer so schnell für den Frieden auf die Barrikaden gehen?

Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich bis jetzt ein passiv politischer Mensch gewesen bin. Hier als Journalistin sitze ich im Unternehmensressort, um die Politik kümmern sich die Kollegen. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin nicht unpolitisch – ganz im Gegenteil. Aber oft eben auch einfach nur absolut ohnmächtig und erdrückt von all dem Leid, dass es da draußen auf der Welt gibt. Gerade, als ich mich wieder gefangen und aufgehört habe, dicke Tränen zu vergießen in meiner kleinen, sicheren Kölner Altbauwohnung, werde ich von einer Bekannten, die ich erst einmal im letzten Sommer live gesehen habe, in eine neue Facebook-Gruppe eingeladen. „Soli-Demo für Aleppo“. Wir sind zu viert. Zwei Frauen, zwei Männer aus Köln, die wie so viele Menschen gerade gar keine Antwort haben auf die Frage, wie sich das Grauen in Syrien beenden lässt, die aber eins vereint: Wut und Fassungslosigkeit. Steffi postet: „Wir organisieren für Freitagabend eine Demonstration in Köln gegen die Angriffe auf Aleppo“ und für mich ist es wie eine Erlösung. Endlich. Auch in anderen Städten regt sich Protest und werden Demonstrationen geplant.

Fest steht an diesem frühen Mittwoch erstmal nur so viel: Wir wollen und können nicht länger nichts tun, während Aleppo stirbt. Wir können nicht mehr weiter zuschauen, wie Schulen und Krankenhäuser zerbombt und Kriegsverbrechen begangen werden. Innerhalb von wenigen Stunden füllt sich die geschlossene Gruppe mit weiteren Menschen. Martin, Steffi, Daniel und ich fangen an, einen Schweigemarsch für die Menschen in Aleppo zu organisieren. Wie das geht? Keine Ahnung! Ich gebe bei Google ein: „Demonstration organisieren“. Jeder macht, was er kann. Die Polizei anschreiben. Lokale Politiker um Unterstützung bitten. Ein Event bei Facebook erstellen, zu dem wir die Menschen einladen können. Ein Hashtag für Twitter – #CologneForApello. Ein kurzer Text, der informiert, wer hier warum was macht und am Ende ist sogar Albert Einstein mit im Boot: „Die Welt ist viel zu gefährlich, um darin zu leben – nicht wegen der Menschen die Böses tun, sondern wegen der Menschen, die daneben stehen und sie gewähren lassen.“

Knapp 24 Stunden später, am Donnerstagmittag, geht das erste Mailing an die Lokalpresse raus: „Sehr geehrte Damen und Herren, für Freitag haben wir aus privater Initiative heraus einen Schweigemarsch aus Solidarität mit den Menschen in Aleppo geplant. Die Demo ist von der Polizei mittlerweile genehmigt.“ In der Gruppe postet Daniel, dass uns jemand ein Profi-Megaphon zur Verfügung stellt und inzwischen ist auch die Übersetzung unseres Aufrufes auf arabisch da. Um 15:30 Uhr steht über unserem Event: „2.014 Personen sind interessiert · 871 Personen haben zugesagt.“ Steffi schreibt: „Krass. Dann rocken wir das jetzt.“


Freitag 19:30 Uhr auf der Domplatte: es geht los!

Nur eine Stunde, bevor es los geht, lernen wir vier uns zum ersten Mal richtig live kennen. Wir gehen den Ablauf durch. Wir sind hochkonzentriert und haben gar keine Zeit dafür, Angst vor dem zu haben, was uns erwartet. Unsere einzige Sorge in diesem Moment: dass zu wenige Teilnehmer kommen.

Am Ende wird der Einsatzleiter der Kölner Polizei die Menschenmenge, die sich uns angeschlossen hat, auf bis zu 1.500 schätzen. Was an diesem Abend in Köln zustande gekommen ist, hat unsere Erwartungen völlig übertroffen - in mutigen Augenblicken hatten wir mit 500 Teilnehmern gerechnet. Sogar die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker ist zu uns gekommen, um ihre Solidarität zu zeigen.

Die vielleicht größte Herausforderung: das Schweigen. Schon bevor wir mit der Ansprache auf der Domplatte begonnen haben, okkupierte eine Gruppe mit Transparenten und lauten Sprechchören unsere Veranstaltung. Von den arabischen Rufen konnten wir nur das Wort "Aleppo" und ab und zu "Putin" verstehen und uns dämmerte, wie naiv wir auch in den letzten 48 Stunden an die Sache herangegangen sind. Was, wenn die Stimmung hier plötzlich kippt? Wenn das alles eskaliert? Immerhin haben wir auch zwei syrische Freunde dabei, die übersetzen können und uns permanent versichern, dass das alles gerade okay und der Tenor friedlich ist. Trotzdem gibt es auch einige Teilnehmer, die den Domvorplatz wieder verlassen und uns nachher enttäuscht schreiben, dass ihr Schweigen nicht zu hören war.

Aber kann man es Menschen, die gerade aus Aleppo vor Grauen und Kriegsverbrechen geflohen sind, verübeln, wenn ihre Emotionen überkochen? Dass sie laut werden, wo sich endlich jemand für ihre Freunde, für ihre Familie engagiert? Dass sie laut weinen, schreien, dass sie wütend sind?

Was uns allen klar geworden ist an diesem Tag: Es gibt so viele verschiedene Möglichkeiten, sein Mitgefühl auszudrücken. Dass es, ob laut oder leise, erst einmal wichtig ist, überhaupt die eigene Komfortzone zu Hause auf dem Sofa zu verlassen, um gemeinsam eine kleine Wegstrecke mit vielen fremden Menschen zu gehen, die ein gemeinsames Anliegen verbindet. "Selbst wenn ich nicht jede der Forderungen und Parolen verstanden habe, war die gemeinsame Bewegung doch eine ganz besondere Erfahrung", fasst es ein Teilnehmer zusammen.

Einziger Wermutstropfen ist die Tatsache, dass die Menschen am Ende unseres Marsches auf die andere Rheinseite nach Deutz nicht mehr unter einen Hut zu bringen waren. Geplant war zum Abschluss eine Ansprache von Navid Kermani, deutsch-iranischer Schriftsteller und Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels. Kermani war gerade mit seiner kleinen Tochter in der Stadt und hatte uns kurzfristig seine Unterstützung zugesagt. Doch als er dann bei uns stand und wir ihn mit dem Megaphon ankündigten, kam es zu Protesten von einigen wenigen aufgebrachten Teilnehmern der iranischen Opposition. Navid Kermanis Rede scheiterte an Menschen, die nicht zuhören wollten. Zu viele Menschen mit zu vielen Emotionen.


Friedlich und störungsfrei

Gegen 22 Uhr beenden wir unsere Aktion, die weitgehend friedlich und störungsfrei verlaufen ist. Niemand, der sich geprügelt hat. Niemand, der von außen provoziert hat. Wir lösen die Klettverschlüsse unserer gelben Warnwesten und plötzlich ist das große Beben da. Die Knie: weich. Unsere Hände zittern. Jetzt fällt die Anspannung ab und wir fangen langsam an zu realisieren, was wir da zustande gebracht haben - sogar die Tagesschau hat über unsere Aktion berichtet.

Das Adrenalin schüttelt uns auch dann noch durch, als wir vier uns in einer ruhigen Ecke eines Kölner Brauhauses aufwärmen und die letzten Tage und Stunden nochmal Revue passieren lassen. Es grenzt an ein Wunder, dass wir das organisieren konnten, trotz Vollzeitjob. Dass alles gut gegangen ist. Dass wir dieses Zeichen setzen konnten. Dass wir gehört und gesehen wurden von so vielen Menschen.

Als ich am nächsten Morgen aufwache, ploppt ein neuer Gruppenchat auf meinem Smartphone auf: "Guten Morgen, Yve aus der Nähe von Düsseldorf will dort aktiv werden. Kann einer von euch ihr mit Infos und Know-how weiterhelfen? Das wäre super. Danke! Liebe Grüße, Anna."

Die Chaosforschung sagt: Auch der Flügelschlag des Schmetterlings bewegt das Universum. Wo auch immer sich jetzt irgendwer für mehr Menschlichkeit und gegen die Kriegsverbrechen in Aleppo und für Menschlichkeit engagiert: Alles ist besser als Nichtstun. Bitte weitermachen!

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%