Kommentar zum Export-Rekord Wenn Stärke zur Schwäche wird

Deutschlands Exportstärke wirkt ein wenig wie die Muskeln eines Bodybuilders: Zum Gewichte heben mögen sie taugen, aber zuhause die Decke streichen – dafür reicht das einseitige Training nicht. Ein Kommentar.

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Es ist die Einseitigkeit, die schadet. Quelle: dpa

Die deutsche Industrie hat 2016 das dritte Jahr in Folge wieder erheblich mehr exportiert als importiert. Die Exporte sind dabei ebenso wenig das generelle Problem, wie starke Muskeln bei einem Menschen. Es ist die Einseitigkeit, die schadet: Denn würden die Importe einigermaßen mithalten, dann dürften wir uns wirklich freuen über die Weltmarktstärke der Industrie.

Mit den starken Exporten geht automatisch Kapitalexport einher; Mittel, die in Deutschland für Investitionen fehlen. Hätte der Staat in den letzten drei Jahren mehr in die öffentliche Infrastruktur investiert, hätte dies auch private Investitionen befördert, das Ungleichgewicht wäre kleiner ausgefallen.

Allerdings sind öffentliche Investitionen nicht das Allheilmittel. Damit mehr nach Deutschland importiert wird, müssten wohl auch die Löhne noch stärker steigen als in den letzten zwei Jahren. Ja, irgendwann könnte dies dann wieder die internationale Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen – allerdings vermutlich nicht sofort, sondern erst in einigen Jahren.

Schämen für die Exportüberschüsse muss sich Deutschland allerdings auch nicht. Denn diverse Sondereffekte haben dazu beigetragen, die nicht in der Hand deutscher Politiker und Unternehmer liegen: Allein schon der bis vor kurzem extrem niedrige Ölpreis hat die Importrechnung deutlich gedrückt. Hinzu kommt der im Vergleich zum Dollar schwache Euro und die niedrigen Zinsen.

Alles zusammen wirkt auf die Industrie wie ein Konjunkturprogramm – das die starke deutsche Wirtschaft aktuell wirklich nicht braucht. Den schwächeren übrigen Euro-Ländern hat das aber sehr geholfen, sodass sie in diesem Jahr, dem siebten seit Beginn der Euro-Krise, endlich wieder mit einem guten Wachstum rechnen dürfen.  

Im Dezember verzeichnete Deutschland trotz des Jahresrekords eine Exportschwäche. Löst sich das Überschussproblem nun also ganz von selber in Luft auf? Wohl kaum. Nach übereinstimmenden Meinungen der Konjunkturprognostiker war dies nur eine Delle. Der Welthandel legt wieder zu, die Exporterwartungen der Industrie sind laut DIHK-Umfrage für dieses Jahr hoch. Allerdings wird bisher ein noch stärkeres Anziehen der Importe erwartet, etwa wegen des höheren Ölpreises. Ein wenig sinken dürfte der Überschuss zwar von selbst, aber nicht genug.

Für die Bundesregierung heißt dies, dass sie sich noch stärker als sie es bisher tut, auf den Binnenmarkt konzentrieren muss. Es reicht zum Beispiel, die Schuldenbremse einzuhalten, man muss sie nicht mit der Schwarzen Null permanent übererfüllen. Als Signal für solide Haushaltspolitik hatte die Schwarze Null vor drei Jahren ihre Berechtigung. Aber gerade weil sie zulasten der Investitionen erreicht wurde, heißt es nun gegensteuern: Die Investitionen müssen auf einem höheren Niveau verstetigt werden. Der Wert der Straßen und öffentlichen Gebäude muss mindestens erhalten werden. In den letzten Jahren sank er mangels Reparaturen stetig.

Öffentliche Investitionen alleine werden den Exportüberschuss nicht sofort beseitigen, aber sie werden Unternehmen zum Investieren im Inland motivieren. Maß und Mitte sind Lieblingsbegriffe von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Das muss auch für die Leistungsbilanz der Volkswirtschaft gelten und nicht nur für den Bundeshaushalt. Nicht der Gewichtheber ist das athletische Ideal, sondern eher der Langstreckenläufer, der seine Muskeln ergänzend durch Yoga flexibel hält.

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