Kommentar zur Flüchtlingskrise Nur noch Chaos – mitten in der Hauptstadt

Matsch, Chaos, Überforderung: Beim Besuch des Berliner Lageso, wo Flüchtlinge betreut werden, landet unser Autor Johannes Steger im Betroffenheitsjournalismus – aber nur fast. Ein Kommentar über die Zustände vor Ort.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Asylsuchende wärmen sich in einem Zelt. Quelle: ap

Berlin Als Journalist habe ich gelernt, dass die eigene Emotion und Bericht nicht zusammen gehören. Sonst landet man ganz schnell im Betroffenheitsjournalismus. Solche Texte sind nicht nur ob der emotionalen Schwere anstrengend zu lesen, sondern oft auch maßlos übertrieben.

Nun allerdings kam auch mir die Betroffenheit: Bei einem Besuch des Berliner Landesamts für Gesundheit und Soziales, kurz Lageso. Das ist dieses Amt, dass im vergangenen Jahr immer wieder Schlagzeilen machte wegen chaotischer Zustände und Missständen in der Betreuung der Asylsuchenden. Vieles soll besser geworden sein.

Bei meinem Besuch auf dem Gelände frage ich mich allerdings, was. Wenn alles nicht so traurig wäre, hätte ich mich beim Betreten des Geländes an einen meiner wenigen Festivalbesuche erinnert gefühlt. Zwischen den Zelten strömen Menschen hin und her, der Boden ist nur noch Matsch, und für alles heißt es permanent Schlange stehen. Alles irgendwie chaotisch.

Nur ist das hier kein Festivalgelände irgendwo im Nirgendwo, sondern eine deutsche Behörde – mitten in Berlin. Und die Menschen sind nicht hier, um ein bisschen Spaß zu haben, sondern auf der Suche nach einem besseren Leben und Sicherheit. Immerhin laufen Menschen umher, die den Müll einsammeln. Ordnung muss schließlich sein.

Im Gespräch mit Wartenden und einer ehrenamtlichen Helferin erfahre ich, dass man mitunter tagelang warten muss, damit zum Beispiel Leistungen ausgezahlt werden. Das wird zum Problem, wenn das Geld dann nicht mehr für das Bahnticket reicht, um am nächsten Tag zurück zu kommen. Wenn dann noch Kontrollen an der nächstgelegenen Haltestelle durchgeführt werden, wie eine Ehrenamtlerin berichtet, wird die Frage erlaubt sein, was genau da schiefläuft.

Und nicht nur ausbleibende Leistungen sind ein Problem. Um ja nicht zu spät zu kommen, übernachten viele auf dem Gelände, das dafür nur unzureichende Kapazitäten hat. Ganz zu schweigen von den vielen Polizisten, Behördenmitarbeitern, Ehrenamtlern und Sicherheitsleuten, die beim Lageso versuchen, der schwierigen Situation Herr zu werden.

Nicht nur nach den schrecklichen Vorfällen von Köln muss Deutschland über alles diskutieren: Obergrenzen, härtere Asylgesetze, schnellere Abschiebung und wer Asyl bekommen soll und wer nicht. Die Diskussion darüber ist wichtig.

Doch dabei sollten wir nicht vergessen, dass wir auch an den Umgang mit den Flüchtlingen Standards anlegen sollen, die wir für uns selbst erwarten würden. Die Zustände am Lageso stehen uns nicht gut zu Gesicht.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%