Kompromiss der Union Unklarheit wird zum Prinzip der Zuwanderungspolitik

Der Kompromiss zwischen CDU-Chefin Merkel und CSU-Chef Seehofer ebnet den Weg zu einer Jamaika-Koalition. Doch statt Lösungen für Probleme bietet er nur Formulierungen an, die jeden Beteiligten das Gesicht wahren lassen.

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Union will Zuwanderung von maximal 200.000 Flüchtlingen

Das ist keine Botschaft an die Flüchtlinge und Versprengten, die in der Hoffnung auf ein besseres Leben in Richtung Europa unterwegs sind. Das ist auch keine Botschaft an die vielen Wähler, die verunsichert sind, sich nicht mehr gehört fühlen und die manchmal sogar denken, Flüchtlinge bekämen mehr Unterstützung als ihnen zu Teil wird.

CDU und CSU haben sich gestern nach zehn Stunden wohlinszenierter Verhandlung in Berlin auf einen Kompromiss geeinigt, wie sie mit der Zuwanderung nach Deutschland umgehen wollen. Dabei hat CDU-Chef Horst Seehofer sogar die von ihm geforderte Obergrenze von 200.000 Flüchtlingen im Jahr durchbekommen. Zumindest ein bisschen. Beim zweiten Blick auf die gefundenen Unions-Formeln wird klar: Wenig ist für die Probleme der Zuwanderung und für die Integration oder gar die Sicherheit getan. Unklarheit als Prinzip.

CDU und CSU haben sich am Sonntagabend grob auf  Vereinbarungen zur Zuwanderungs- und Flüchtlingspolitik geeinigt. Die Spitzen beider Parteien einigten sich auf eine Formulierung, nach der jedes Jahr nicht mehr als 200.000 Menschen aus humanitären Gründen neu nach Deutschland kommen sollen. Das konkrete Wort Obergrenze taucht nicht auf, gegen das FDP und vor allem Grüne sich wehren. Zudem vereinbarten CDU und CSU, dass es ein Zuwanderungsgesetz für Fachkräfte geben soll.

Erreicht haben beide Seiten unter Führung von Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel, dass jeder der potenziell Beteiligten an einer Jamaika-Koalition sein Gesicht wahrt. Die CSU kann erklären, sie habe die Obergrenze durchbekommen. FDP und Grüne als mögliche Koalitionspartner können darauf verweisen, dass die Begrenzung der Zahl nur ein Ziel ohne zugehörige Schritte ist und dass sogar mehr Zuwanderung von Qualifizierten möglich werden soll.

Die Einigung zwischen CDU und CSU  ist leider nur eine Botschaft an die Parteigänger und Anhänger der Union: Seht her, wir sind regierungsfähig. Es ist aber auch eine Botschaft an die beiden kleineren Parteien FDP und Grüne, die als einzige mögliche Partner für eine Bundesregierung dastehen.

Dieser Regierungsstil unter Kanzlerin Merkel funktioniert unter Politikprofis. Nach den Einbrüchen für die etablierten Parteien bei der Bundestagswahl sorgen aber solche Ergebnisse erneut dafür, dass sich Wähler nicht ernst genommen fühlen und denken, dass die Probleme in ihrem Alltag drittrangig sind. Das gilt für die knappen Ressourcen in vielen Kitas und Schulen ebenso wie für die Wohnungsnot in größeren Städten. Die Situation wird durch die neu Zugewanderten nicht einfacher – vor allem für jene, die wenig Geld haben. 

Angela Merkel und Horst Seehofer haben einmal mehr taktische Politik betrieben, ohne erkennen zu lassen, was sie tatsächlich bewegen wollen und was das für die Gesellschaft bedeutet. Sie haben einen klapprigen Kompromiss ausgehandelt, der Obergrenze meint, aber keine entsprechenden Schritte dazu festzurrt und sie im nächsten Moment dadurch hinfällig macht. Der Kompromiss funktioniert nur, wenn sich die Flüchtlinge daran halten. Das ist ungewiss, also spricht vieles dafür, dass Abschreckung und immer neue Abgrenzungen wiederkehrenden Streit in der nächsten Bundesregierung erzeugen.

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