In der anstehenden Tarifrunde für die deutsche Metall- und Elektroindustrie will die IG Metall in erster Linie tarifungebundene Unternehmen unter Druck setzen. „Wir können jedem Arbeitgeber eine Forderung übermitteln, auch ohne Friedenspflicht“, sagte der Erste Vorsitzende der größten und mächtigsten deutschen Gewerkschaft, Jörg Hofmann. Die IG Metall will die Trendwende schaffen und endlich wieder mehr deutsche Arbeitnehmer in den Geltungsbereich von Tarifverträgen bekommen.
Die Tarifbindung liegt im Organisationsbereich der IG Metall seit Jahren stabil bei etwa der Hälfte der Beschäftigten, mit einem deutlichen West-Ost-Gefälle. Aus Sicht der Gewerkschaft liegen die Vorteile von Tarifverträgen auf der Hand: Die IG Metall verspricht den Arbeitnehmern höhere und gerechtere Gehälter, mehr Urlaub und einen besseren Schutz des Einzelnen. Der Schlüssel zum Erfolg ist es allerdings, in den Betrieben Gewerkschaftsmitglieder zu gewinnen. Die IG Metall hat daher eine Reihe von Arbeitsfeldern definiert, auf denen sie Mitglieder finden will.
Die neue Zweite Vorsitzende Christiane Benner spricht von strategisch wichtigen Zielgruppen, die man gewinnen müsse - von Frauen und Studenten, von Ingenieuren und technischen Experten. Stolz berichtet sie von ersten Haustarifverträgen der IG Metall bei großen Ingenieur-Dienstleistern, die ohne Tarifvertrag ihre hoch qualifizierten Leute häufig deutlich schlechter bezahlt hätten als Facharbeiter in einem regulären Metallbetrieb. Selbst solo-selbstständige Internet-Arbeiter, sogenannte Click-Worker, will die IG Metall nach einer Satzungsänderung nun organisieren.
Die (neuen) Köpfe der IG-Metall
Detlef Wetzel, 62, tut es vielen Facharbeitern gleich und geht nahezu pünktlich zum 63. Lebensjahr in Rente. Nur knappe zwei Jahre hat der bedächtige Siegerländer an der Spitze der größten deutschen Gewerkschaft gestanden, die er organisatorisch kräftig umgekrempelt hat. Trotz Kanzlerin-Besuch hat Wetzel im Herbst 2013 einen klassischen Fehlstart hingelegt. 75,5 Prozent Zustimmung beim Gewerkschaftstag in Frankfurt bedeuteten das zweitschlechteste Ergebnis, mit dem je ein IG-Metall-Chef ins Amt gewählt worden ist.
Gemeinsam mit seinem Vorgänger Berthold Huber hat der verheiratete Siegerländer den Apparat dezentralisiert und auf Kampagnenfähigkeit und Mitgliederwerbung eingeschworen. Seit vier Jahren kann die IG Metall wieder steigende Mitgliederzahlen präsentieren. Politisch hat Wetzel die Ernte der kooperativen Gewerkschaftstaktik eingefahren. Mit dem gesetzlichen Mindestlohn und der vorzeitigen Rente mit 63 Jahren nach 45 Beitragsjahren hat die große Koalition gewerkschaftliche Kernforderungen umgesetzt.
Jörg Hoffmann, 59, wirkt nur auf den ersten Eindruck mit seiner starken Brille und seinem sanften schwäbischen Tonfall etwas schüchtern. Wer sich mit dem Gewerkschafter über Arbeitnehmerrechte oder Tariffragen unterhält, lernt schnell den harten Verhandler und detailfesten Tariffuchs kennen. Als Tarifsekretär und langjähriger Bezirksleiter im traditionellen Pilot-Bezirk Baden-Württemberg hat der Diplom-Ökonom an zahlreichen Tarifverträgen maßgeblich mitgearbeitet, die weit mehr geregelt haben als die nächste Gehaltserhöhung für die Metallarbeiter.
Altersteilzeit, Sonderregeln für ertragsschwache Unternehmen oder die tarifliche Absicherung von Leiharbeitern sind einige der dicken und innovativen Tarifbretter, die Hofmann meist gemeinsam mit seinem Vorgänger Berthold Huber gebohrt hat. Der fest in seiner Heimat Baden-Württemberg verwurzelte Hofmann ließ sich zum Abgang Hubers in die Pflicht nehmen und ging als Stellvertreter des drei Jahren älteren Detlef Wetzel in das rote Vorstands-Hochhaus am Main. Der verheiratete Vater einer Tochter sitzt zudem in den Aufsichtsräten der Konzerne Daimler und Bosch.
Christiane Benner, 47, könnte die erste IG-Metall-Chefin in der Geschichte der Gewerkschaft werden. Sollte sie tatsächlich im Oktober auf dem Gewerkschaftstag als Nachfolgerin Hofmanns zur Zweiten Vorsitzenden gewählt werden, steht ihr auch der nächste Schritt an die Spitze offen. Zu den ungeschriebenen Gesetzen der IG Metall gehört, dass der Zweite Vorsitzende später Chef werden kann, wenn er denn will.
Die gebürtige Aachenerin hat in Darmstadt erste Betriebsratserfahrung gesammelt, später in Marburg, Frankfurt und Chicago studiert und dann diverse Funktionen innerhalb der IG Metall ausgefüllt. Im Oktober 2011 rückte sie in den geschäftsführenden Vorstand der Gewerkschaft auf. Zu Benners Arbeitsgebieten gehören die Digitalisierung der Arbeitswelt und die gezielte Ansprache spezieller Zielgruppen. Sie ist verheiratet und sitzt bei BMW und Bosch im Aufsichtsrat.
Stundenlöhne in der Spanne zwischen 15,70 Euro und dem gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro finde man in der Logistikbranche vor, empört sich Hofmann. Da diese Unternehmen gerade auch bei den Autoherstellern viele Aufgaben übernehmen, hat Hofmann in den vergangenen Monaten einen heftigen Konflikt mit der DGB-Schwester Verdi riskiert und letztlich gewonnen. Metallnahe Logistiker sollen ihre Verträge künftig nicht mehr mit Verdi, sondern mit der IG Metall abschließen: Es geht um ein Potenzial von bis zu 60.000 Beschäftigten.
„Wir haben keine schnelle Tarifrunde vor uns“
Auch von der Bundesregierung erwartet die Gewerkschaft bis zum Ende der Legislaturperiode noch Einiges. Sie müsse wie jeder Beschäftigte bis zum Schichtende arbeiten und die Zusagen aus dem Koalitionsvertrag etwa zur Entgeltgleichheit oder zum Rückkehrrecht aus Teilzeit einlösen, verlangt Hofmann. Man dürfe angesichts der Flüchtlingskrise nicht in eine „politische Schockstarre“ verfallen. „Es wäre politisch fatal, wenn der Eindruck vermittelt würde, durch die Flüchtlingskrise würden berechtigte Forderungen an die Politik unter den Tisch fallen.“
Für die Stammbelegschaften der Metall- und Elektroindustrie, zusammen rund 3,8 Millionen Beschäftigte unter anderem in den Schlüsselbranchen Auto und Maschinenbau, will sich die IG Metall in diesem Jahr allein auf Entgeltfragen konzentrieren und erneut ein deutliches Reallohnplus herausholen. Dass Arbeitgeber-Chef Rainer Dulger den Vorjahresabschluss von 3,4 Prozent über 15 Monate für nicht wiederholbar hält, beeindrucke ihn nicht, sagt Hofmann.
Wegen der gerade erst begonnenen Forderungsdiskussion innerhalb der Gewerkschaft vermeidet der Chef eine klare Aussage zur möglichen Forderungshöhe, die 2015 bei 5,5 Prozent gelegen hatte. Die Berechnungsgrundlage bleibe aber die selbe, führt Hofmann auf Nachfrage aus. Neben dem Inflationsausgleich müsse die gestiegene Produktivität berücksichtigt werden. Darüber hinaus sehe er angesichts der stabilen Konjunktur 2016 durchaus Spielraum für eine Umverteilungskomponente. Dass es „nur“ ums Geld gehe, mache die Sache nicht einfacher: „Wir haben keine schnelle Tarifrunde vor uns.“
Die IG Metall geht aus einer Position der Stärke in die Verhandlungen, deren erste Runde im März stattfinden sollen. Die Gewerkschaft ist das fünfte Jahr in Folge gewachsen. Über 120.000 Beitritte glichen die Abgänge mehr als aus, so dass am Jahresende 2015 eine Mitgliederzahl von 2.273.743 stand. Das waren 4462 Metaller (0,2 Prozent) mehr als ein Jahr zuvor. Die Beitragseinnahmen kletterten auf das Rekordniveau von 533 Millionen Euro, wie Hauptkassierer Jürgen Kerner berichtete. 80 Millionen davon wanderten in die Rücklagen und in die ohnehin prall gefüllte Streikkasse. Aus der wurden 2015 nur knapp 200.000 Euro an Streikende in kleineren Konflikten ausgezahlt.