Konkurrenz für CDU und SPD AfD auf dem Weg zur Volkspartei?

Der Zuspruch für die AfD ist ungebrochen. Bei Wahlen fährt sie zweistellige Ergebnisse ein. Umfragen sehen die Partei im Osten sogar teilweise vor der CDU. Hat sie das Zeug, zur neuen Volkspartei aufzusteigen? Eine Analyse.

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Auf dem Weg zur Volkspartei? Die AfD-Parteivorsitzenden Jörg Meuthen und Frauke Petry. Quelle: dpa

Berlin Den Begriff Volkspartei vermeidet Thüringens AfD-Landes- und Fraktionschef Björn Höcke, wenn er über die Zukunft seiner Partei spricht. Die Bezeichnung nutzt er womöglich auch deshalb nicht, weil damit bisher die etablierten Parteien CDU und SPD beschrieben werden. Und diese gelten bekanntlich als verhasst in der AfD.

Höcke spricht deshalb lieber davon, die AfD als „Heimatpartei“ etablieren zu wollen. Strategisch richtig angepackt, so seine Vorstellung, könnte darin erhebliches Potenzial stecken. Eine Voraussetzung dafür sei aber, dass dieser Begriff immer wieder in der Öffentlichkeit erklärt und gelebt werde, sagte Höcke kürzlich bei einem Parteitag der Thüringen-AfD in Arnstadt. „Wenn wir das tun, dann reden wir 2019 bei der Landtagswahl nicht über 15 Prozent, (...) dann reden wir als neue Heimatpartei von 30 plus x Prozent.“ Und Höckes großer Traum hätte sich erfüllt, die AfD zu einer führenden Volkspartei zu machen.

Noch hat die AfD diesen Status nicht erreicht. Allerdings deuten Umfragen darauf hin, dass sie sich in großen Schritten in diese Richtung bewegt. Bemerkenswert ist etwa, dass Höckes Partei in Thüringen bei der vergangenen Landtagswahl 2014 schon knapp 10,6 Prozent der Wählerstimmen geholt hatte, zwischenzeitlich aber sogar das Zeug hat, diesen Wert mehr als zu verdoppeln. In einer aktuellen Umfrage von Infratest Dimap im Auftrag des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) käme die AfD jetzt auf 21 Prozent.

Ein ähnliches Bild zeigt sich in anderen ostdeutschen Bundesländern. So würde in Sachsen nach der MDR-Umfrage jeder Vierte die AfD wählen. Die Partei legt demnach um 15,3 Prozentpunkte auf nunmehr 25 Prozent zu. In Sachsen-Anhalt würde die Partei zwar leichte Verluste verbuchen müssen, wenn am Sonntag Landtagswahl wäre. Sie würde aber immer noch auf 22 Prozent kommen. Bei der Landtagswahl im Frühjahr holte sie noch 24,3 Prozent.

Auch in Brandenburg geht es für die AfD bergauf. Laut einer Forsa-Umfrage vom September erreicht die Partei mit Landeschef Alexander Gauland inzwischen 20 Prozent. Das ist ihr höchster bisher gemessener Wert in dem Bundesland – sie wäre damit zum ersten Mal zweitstärkste Partei. In Mecklenburg-Vorpommern gelang es der Partei bei der Landtagswahl Anfang September auf Anhieb ins Parlament einzuziehen. Mit knapp 21 Prozent ist sie sogar größte Oppositionspartei im Schweriner Landtag. Zweistellig schnitt auch die Berliner AfD bei der zwei Wochen später stattfindenden Abgeordnetenhauswahl statt. Sie zog mit 14 Prozent Hauptstadt-Parlament ein.

Experten werten die Möglichkeit, dass sich die AfD mit solchen Ergebnissen zu einer Volkspartei entwickelt, unterschiedlich. „In der deutschen Diskussion spricht man von einer Volkspartei, wenn eine politische Gruppierung Bürgerinnen und Bürger aus allen sozialen Schichten anspricht, damit signifikante Wahlerfolge erzielt und ein gemäßigtes, bewusst unideologisches Profil hat“, sagte der Politikwissenschaftler Kai Arzheimer von der Universität Mainz. Zumindest letzteres sei bei der AfD „ganz sicher nicht der Fall“, da diese ja gerade die Unzufriedenen anspreche. Die AfD sei zudem „immer noch eine neue Partei mit vielen inneren Konflikten, die sich früher oder später auf die Wahlchancen auswirken werden“, schätzt der Politikprofessor. „Ob sie sich bundesweit oder auch nur in Ostdeutschland dauerhaft etablieren kann, kann man momentan nicht seriös vorhersagen.“


„In Ostdeutschland teilweise bereits Volkspartei“

Zu einer anderen Einschätzung kommt Lothar Probst. „Die AfD ist in Ostdeutschland teilweise bereits Volkspartei“, sagte der Bremer Politikwissenschaftler dem Handelsblatt. „Sie hat ihre Wählerbasis keinesfalls nur unter prekär Beschäftigten oder Arbeitslosen, sondern auch unter Handwerkern, Kleingewerbetreibenden, Mittelständlern, Beamten und Angestellten.“ In Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern sei sie jedenfalls schon „in die Dimensionen einer Volkspartei vorgestoßen“.

Vor allem die Zusammensetzung ihrer Wählerschaft spricht aus Probsts Sicht dafür, dass die AfD sich mehr und mehr in der Parteienlandschaft etabliert. Zu den Anhängern der Partei zählt er eine „ideologische Kernwählerschaft“, die eindeutig rechte Einstellungen aufweise. Als weitere Gruppe nennt er die sogenannten Protestwähler, die mit denen anderen Parteien unzufrieden seien, sich aber noch nicht dauerhaft für die AfD entschieden hätten. Zudem neigten der AfD „verunsicherte Wähler“ zu. Das seien solche, die eigentlich eine andere Partei bevorzugten, aber aufgrund der Zuwanderung und der Unübersichtlichkeit, die mit Globalisierungsprozessen verbunden seien, aktuell die AfD als Wahlmöglichkeit sähen.

„Ostdeutschland ist in dieser Hinsicht für die AfD ein besonders gutes Terrain“, ist Probst überzeugt. „Es wirken alte autoritäre Einstellungsmuster aus der Zeit der SED-Diktatur nach.“ Auch nationale und nationalistische Einstellungen hätten im SED-Staat sehr viel besser überleben können als in Westdeutschland, wo sich durch die Proteste der 1968-er Jahre liberale und proeuropäische Einstellungen tiefer hätten in der Gesellschaft verwurzeln können. In der DDR, merkt der Politik-Professor an, habe es jedenfalls keinen vergleichbaren Generationenkonflikt und eine vergleichbare kulturelle Veränderung der Gesellschaft gegeben.

Mit der Folge, erläutert Probst weiter, das in der DDR ein Zusammenleben mit Menschen aus anderen Kulturen „nie eingeübt“ worden sei. Die wenigen Ausländer im Land - Vietnamesen, Angolaner und Studierende aus Mozambique – hätten abgeschottet vom Rest der Bevölkerung gelebt. Und nicht zuletzt werde der allgemeine Konflikt zwischen politischen Eliten und Bevölkerung, von dem die Populisten überall, wo sie erfolgreich seien, zehren, in Ostdeutschland noch einmal verstärkt durch den Ost-West-Gegensatz.

Als Eliten würden vor allem die westdeutsche Politiker, Wirtschaftsvertreter, Künstler und Medien gelten, so Probst. „Das in Ostdeutschland immer noch vorhandene Ressentiment gegen den Westen und seine Eliten drückt sich insofern auch in der Wahl einer Partei aus, die programmatisch und auch personell eindeutig einen ostdeutschen Stallgeruch hat.“ Mit wenigen Ausnahmen: Höcke etwa kommt ursprünglich aus Hessen, wo er als Lehrer tätig war. Und auch der frühere CDU-Politiker Gauland ist westlich sozialisiert.

Das alles bedeute aber nicht, betont Probst, dass die AfD nicht auch im Westen auf Wählerzuspruch in breiteren Teilen der Bevölkerung rechnen könne. „Aber in Westdeutschland sind die Gegenkräfte sehr viel stärker und die ganz rechten Positionen der AfD werden hier weniger stark geteilt“, gab der Politikwissenschaftler zu bedenken. Außerdem gebe es mehr Erfahrungen im Zusammenleben mit Menschen aus anderen Kulturen.


Trotz geringer Problemlösungskompetenz große Zustimmung

Interessant dürfte sein, wie sich langfristig der Befund einer aktuellen Umfrage auf die Weiterentwicklung der AfD auswirkt, wonach viele ihrer Wähler sie schlicht für politisch wenig kompetent halten. Auch wenn die anderen Parteien in der Erhebung von Infratest Dimap für die Bundesländer Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen bei der Problemlösungskompetenz schwächeln, so ist doch insbesondere bei der AfD die hohe Diskrepanz zwischen Wählervotum und Vertrauen bemerkenswert.  Offenbar trauen der AfD ihre eigenen Wähler überwiegend nicht zu, die Probleme des Landes zu lösen. Nur 3 Prozent tun das in Sachsen-Anhalt, in Thüringen sind es fünf Prozent und in Sachsen sieben Prozent.

Experten überraschen die Zahlen nicht. „Für mich zeigen diese Ergebnisse wieder, dass die AfD zum großen Teil nicht von wirklichen Überzeugungswählern, sondern von Protestwählern gewählt wird“, sagte der Berliner Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer dem Handelsblatt. „Überzeugungswähler messen ihrer Partei in wichtigen Politikbereichen in der Regel Problemlösungskompetenzen zu. Für Protestwähler ist das nicht so wichtig.“ Für sie zähle mehr, dass die Partei Probleme beim Namen nenne und eine Haltung vertrete, die mit der Haltung des Protestwählers übereinstimmte, also etwa gegen die liberale Flüchtlingspolitik zu sei. 

Kai Arzheimer von der Universität Mainz sagte: „Diese Kombination ist problematisch, aber nicht ungewöhnlich: Man konnte sie in der Vergangenheit schon bei anderen nicht-etablierten Parteien beobachten.“ Vielen Wählern werde einerseits klar sein, dass die radikalsten Forderungen der AfD überhaupt nicht umsetzbar seien und dass andererseits die AfD trotz ihrer parlamentarischen Präsenz auf absehbare Zeit keinen direkten Einfluss ausüben könne, weil sie nicht an der Regierung beteiligt werde. Aber, so Arzheimer: „Der Wunsch, der eigenen Unzufriedenheit Ausdruck zu verleihen, ist offensichtlich ein starkes Motiv für die Wahl der Partei.“

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