Krafts neuer Energiewende-Kurs Grüne warnen SPD vor „rückwärtsgewandter Industriepolitik“

Wird die SPD wieder mehr Kohlepartei? Aussagen von NRW-Regierungschefin Kraft legen das nahe. Sie ist für die Energiewende – aber für die Interessen der Industrie. Das sorgt für Ärger in anderen Bundesländern.

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Die Energiewende wird zum Zankapfel zwischen SPD und Grünen. Quelle: dpa

Berlin Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) stößt mit Äußerungen zur Energiewende auf deutliche Kritik bei Grünen-Landesministerin in Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg. „Frau Kraft macht einen falschen Gegensatz auf: Die Energiewende ist nicht der Feind von Arbeitsplätzen und Industrie. Im Gegenteil, sie schafft tausende neuer Jobs und neuer Wertschöpfungen“, sagte der Kieler Energiewendeminister Robert Habeck (Grüne) Handelsblatt Online.

Die Frage sei einzig und allein, ob Jobs durch die klimaschädliche Verbrennung von Kohl und Gas gesichert werden sollen, oder durch eine nachhaltige, neue Produktion. „Vergangenheit oder Zukunft von Deutschland als Industriestandort, das ist die Frage“, sagte Habeck. „Frau Kraft sollte sich nicht für die Vergangenheit entscheiden.“

Der Stuttgarter Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) warnte vor einer Abkehr von der Energiewende. „Ich bin bisher davon ausgegangen, dass die Energiewende auch der SPD am Herzen liegt“, sagte Untersteller Handelsblatt Online. „Von diesem Glauben und der damit verbundenen Zuversicht würde ich mich nur ungern verabschieden müssen.“

Kraft hatte sich am Wochenende hinter Forderungen von Industrie und Stromkonzernen gestellt und erklärt, dass der Erhalt von Arbeitsplätzen Vorrang haben müsse vor einer schnellen Energiewende. Entscheidend sei, dass wir neben der Versorgungssicherheit auch die Preise für Verbraucher und Unternehmen im Blick behalten“.


„Gerade die stromintensive Industrie profitiert“

Zur Debatte stehen derzeit Extra-Prämien für fossile Kraftwerke, die sich wegen des steigenden Solar- und Windstromanteils kaum noch rechnen. NRW-Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD) fordert dies, sehr zum Ärger von Umweltminister Johannes Remmel (Grüne). Viele NRW-Kommunen sind Anteilseigner beim Energieunternehmen RWE. Große Energie- und Stahlkonzerne aus NRW hatten zuletzt direkt oder indirekt mit dem Abbau von Arbeitsplätzen gedroht. Bei RWE waren Überlegungen lanciert, aber von RWE-Chef Peter Terium dementiert worden, den Braunkohletagebau Garzweiler II vorzeitig einzustellen. Thyssen-Krupp pocht auf den Erhalt der reduzierten Ökostrom-Umlage.

Bei diesen Industrierabatten sind Union und SPD aber die Hände gebunden – zunächst muss eine Entscheidung der EU-Kommission hierzu abgewartet werden. Trotz 25 Prozent Ökostrom-Anteil waren wegen des weiter hohen Kohlestrom-Anteils 2012 die CO2-Emissionen in Deutschland wieder gestiegen – ein Grund ist der Preisverfall der CO2-Verschmutzungsrechte, das macht die Kohleverstromung billiger. Der amtierende Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU), der die am Donnerstag erstmals tagende Arbeitsgruppe Energie mit Hannelore Kraft leitet, setzt sich für eine Zertifikate-Verknappung und damit höhere Preise ein.

Die Vize-Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Bärbel Höhn, sprach mit Blick auf Kraft von einer nicht nachvollziehbaren Argumentation. „Gerade die stromintensive Industrie profitiert von der Energiewende. Dort sind in den letzten Jahren laut Statistischem Bundesamt viele neue Arbeitsplätze entstanden. Auch weil die Erneuerbaren deren Strompreise gesenkt haben“, sagte Höhn Handelsblatt Online.

Deutschland brauche extra Prämien für einige Gaskraftwerke, damit sie die fluktuierenden Erneuerbaren Energien besser ausgleichen können, fügte Höhn hinzu. Zuschüsse für alte Kohlekraftwerke von Eon und RWE hülfen dagegen nur bei der „Gewinnstabilisierung“ dieser Konzerne. „Das wäre rückwärtsgewandte Industriepolitik.“


Greenpeace warnt vor Klientelpolitik für RWE

In dieser Richtung äußerte sich auch der Stuttgarter Umweltminister Untersteller. Es sei wichtig, die Erneuerbaren Energien „sukzessive“ in den Markt zu integrieren. Parallel seien noch „eine ganze Weile“ fossile Kraftwerke nötig, die sich in einem „Kapazitätsmarkt“ durchaus rechnen können. „Großzügige Geschenke in Form von Prämien oder neuen Subventionen brauchen wir da nicht“, betonte der Minister.

Mit Blick auf die Kosten der Energiewende erklärte Untersteller weiter, das Problem seien vor allem die steigenden Rohstoffpreise für Heizung und Mobilität. Er plädiere daher nicht erst seit gestern für die Einführung eines „Kapazitätsmarktmechanismus“, um die Versorgung über 2022 hinaus zu gewährleisten. Der Umbau des Energiesystems zu regenerativen Energiequellen sei „nicht umsonst zu haben“, räumte Untersteller ein. „Aber er schafft größere Unabhängigkeit und wird die ansonsten zu erwartenden Kostensteigerungen dämpfen“, fügte der Grünen-Politiker hinzu. „Unterm Strich ist er somit der kostengünstigere Entwicklungspfad.“ Bis dahin sei eine „faire Kostenverteilung“ bei der Energiewende nötig. „Die Balance in diesem Punkt wieder hinzu kriegen, ist eine der vordringlichen Aufgaben jetzt.“

Auch RWE brauche Verlässlichkeit, betonte dagegen Kraft. „Wir haben bei der Energiewende derzeit keinen klaren Kurs, um Investitionssicherheit zu bieten.“ SPD-Politiker wie Erhard Eppler, Volker Hauff, Gesine Schwan und Ernst-Ulrich von Weizsäcker forderten in einem offenen Brief, den Ausbau von Wind- und Solarenergie und den Klimaschutz zu stärken: „Subventionen für klimaschädliche Energieträger müssen konsequent abgebaut werden.“

Greenpeace betonte, Kraft dürfte in der Arbeitsgruppe keine Klientelpolitik für RWE betreiben. „Ein Festhalten an der klimaschädlichen Kohle wird die Bürger und den Wirtschaftsstandort Deutschland deutlich teurer zu stehen kommen, als die konsequente Umsetzung der Energiewende“, meinte Energieexperte Andree Böhling.

Die neue Bundesregierung muss nach Ansicht von Eon-Chef Johannes Teyssen die Energiepolitik völlig neu regeln. „Wir brauchen den großen Wurf. Die Hütte brennt“, sagte der Vorstandsvorsitzende des größten deutschen Energiekonzerns der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Die Energiewende vernichte Milliarden, weil sie Versorger zwinge, moderne Kraftwerke aus wirtschaftlichen Gründen vom Netz zu nehmen, so Teyssen.

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