Kriminalität Deutschlands Zollbeamte rüsten auf

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Auf den Spuren von Sherlock Holmes

Ein bisschen Sherlock Holmes hilft ebenfalls. „Wenn die EU Antidumpingzölle erhebt“, erklärt Risikoanalyst Stolle, „überlegen wir uns schon im Vorfeld, wie Lieferanten diese Zusatzabgabe umgehen könnten.“ Angesichts von Strafzöllen, die zum Teil so hoch wie der eigentliche Warenwert sind, ist die Versuchung groß, bei der Zollanmeldung einfach eine andere Warengruppe oder ein anderes Herkunftsland anzugeben.

Als Brüssel chinesische Alufelgen mit einem Antidumpingzoll von 22,3 Prozent belegte, schnellten plötzlich die Importe von Felgen aus Malaysia in die Höhe. Dabei war das südostasiatische Land hier nie zuvor in Erscheinung getreten. Bei Vor-Ort-Ermittlungen stellten Zollfahnder fest, dass die chinesische Ware im Hafen von Port Klang an der viel befahrenen Straße von Malakka umgeladen wurde und dabei neue Ursprungszeugnisse erhielt. Nebenbei erwiesen sich die angeblichen VW-, Audi-, BMW-, Mercedes- und Porsche-Felgen als Fälschungen mit zum Teil gefährlichen Produktionsfehlern.

Hinweise kommen oft von Konkurrenten, die sich ärgern, wenn sich zum Beispiel eine Baumarktkette besonders günstig mit Felgen, Schrauben oder Energiesparlampen eindeckt. Oder der Zoll wird selbst stutzig, wenn nach Verhängen von Antidumpingmaßnahmen plötzlich Newcomer am Markt auftauchen. Hinweise liefert das elektronische Zollabfertigungsregister, das alle Anmeldungen über Jahre speichert. Risikoanalysten müssen die Computer nur mit entsprechenden Parametern füttern, und schon spuckt das System eine Reihe von potenziellen Hinterziehern aus.

Für solche Verdachtsfälle hält Bundesfinanzminister Schäuble eine eigene Truppe von 1500 Betriebsprüfern bereit. Die Zoll-BPler sind erheblich besser geschult als ihre Kollegen von den Finanzämtern der Bundesländer. Und sie sind weniger kompromissbereit, berichtet Frank-Peter Ziegler, Global Trade Partner beim Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen EY und früher selbst Zollbetriebsprüfer. Wenn sie kommen, wird es für die betroffenen Unternehmen unangenehm.

Die Prüfer nisten sich oft über Wochen ein und durchflöhen Rechnungen, Verträge, Warenanmeldungen, Reiseunterlagen und natürlich auch die Verrechnungspreise, die in der Regel die Grundlage für den Zollwert bilden. Sie vergleichen die Betriebsunterlagen mit den Atlas-Daten, die Steuererklärungen mit den Zollanmeldungen. In 95 Prozent der Unternehmen stoßen die BPler auf Ungereimtheiten, sagt Ziegler. Meist kommt es zu steuerlichen Nacherhebungen. Manche Unternehmen geraten zwangsläufig auch in den Verdacht von Hinterziehung oder Hehlerei, wenn sie Waren zu ungewöhnlich niedrigen Preisen beziehen.

Entdecken die Prüfer strafrechtliche Hinweise, brechen sie sofort ihre Arbeit ab. Dann rücken am nächsten Morgen bis zu 100 Zollfahnder an, beschlagnahmen Computer und rekonstruieren gelöschte E-Mails. Mit wachsendem Erfolg: Schäubles Prüfer konnten im vorigen Jahr 608 Millionen Euro unterschlagene Steuern und Zölle eintreiben, ein Anstieg um mehr als 80 Prozent gegenüber 2012.

Gerade der europäische Binnenmarkt ist zum Tummelplatz für Fiskalverbrecher geworden. Während die Zollschranken gefallen sind, herrscht bei Steuern immer noch europäische Kleinstaaterei. Sowohl kleine Ganoven als auch organisierte Verbrecher nutzen die fehlenden physischen Grenzkontrollen zwischen den Mitgliedstaaten konsequent aus. Bekannt sind Umsatzsteuerbetrügereien, um Vorsteuern für Geschäfte zu kassieren, die nur auf dem Papier existieren.

Eine weniger bekannte, aber ausgesprochen profitträchtige Variante sind Kaffeekarusselle. Deutschland ist davon betroffen, weil es als eines von wenigen EU-Ländern Verbrauchsteuern auf die braunen Bohnen erhebt. Pro Kilo Röstkaffee fallen 2,19 Euro Verbrauchsteuer an, bei löslichem Kaffee sind es sogar 4,78 Euro (plus 19 Prozent Umsatzsteuer in beiden Fällen). Ein einziger 25-Tonnen-Laster bringt der Zollmafia fast 55 000 Euro Gewinn ein.

Mit 166 Lkw-Fuhren kam ein Spediteur aus Jüchen binnen eines Jahres auf 7,9 Millionen Euro Profit. Die Masche ist simpel: Der Kaffee wird im deutschen Großhandel erworben und in andere EU-Länder gekarrt, wobei die deutsche Verbrauchsteuer rückerstattet wird. Anschließend fahren die Laster wieder nach Deutschland. Hier bescheinigten Zwischenhändler auf den Rechnungen fälschlicherweise „Kaffeesteuer entrichtet“. Das sind nur kurz genutzte Firmen (Missing Trader), zum Teil mit Obdachlosen als Geschäftsführern, die für ein paar Flaschen Schnaps Namen und Unterschrift hergeben.

90 Prozent der DHL Express-Lieferungen aus China, welche am Leipziger Flughafen ankommen, sind unter Wert fakturiert. Quelle: dpa

Anfälliger EU-Markt

Die so nur angeblich versteuerte Ware gelangte im Fall der Jüchen-Connection anschließend über Broker unter anderem als Jacobs Krönung in den Lebensmitteleinzelhandel bis nach Berlin, meist zu supergünstigen Preisen. Doch offenbar gab es in der Lieferkette einen Verräter, der den Behörden einen Tipp gab.

Auf diese Weise kam das Zollfahndungsamt Essen auch an 23,8 Tonnen Dallmayr-Kaffee, den Beamte in Bochum beim Entladen eines bulgarischen Sattelzuges, der aus Belgien kam, sicherstellten. Bei einer anderen international vernetzten Bande, die rund 800 Tonnen Kaffee geschmuggelt hatte, stießen die Fahnder auf ein beachtlich diversifiziertes Sortiment, das auch Wodka, Bier und Wasserpfeifentabak umfasste. Alles, was sich als gewinnträchtig erweist, bietet das organisierte Verbrechen an. Die Mafia erweist sich in dieser Hinsicht als ausgesprochen kreatives und profitorientiertes Unternehmen.

Erschreckend leicht

Bleibt die Frage, ob die legale oder die illegale Wirtschaft besser floriert? Die fortschreitende globale Vernetzung kommt jedenfalls auch dem organisierten Verbrechen zugute. Im anschwellenden Strom der Warenlieferungen suchen (und finden) kleine und große Gauner ihre Chancen. Besonders kommt ihnen dabei zugute, dass der Anteil der superschnellen Fracht rasant anwächst. „Die Überwachung von immer mehr Sendungen in äußerst knapper Zeit gelingt nur durch Nutzung moderner

Risikomanagementinstrumente“, sagt Schäubles Staatssekretär Meister. Deshalb baue der Zoll zusätzlich spezialisierte Arbeitseinheiten auf, zum Beispiel die „Zentrale Internetrecherche“ in Frankfurt/Oder.

Doch es bleibt ein ungleicher Kampf – bei dem die Betrüger immer schon einen Schritt weiter sind. Daran ändert auch die IT-Aufrüstung nichts, die eher ein Hinterherrüsten ist. In einem vertraulichen Bericht räumt das Zollkriminalamt ein, „mit welcher erschreckenden Leichtigkeit der Missbrauch des (elektronischen Zollanmelde-)Verfahrens durchgeführt werden kann“.

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