Kriminalität und Innere Sicherheit Der Staat muss wieder lernen, Zähne zu zeigen

Die ursprüngliche Aufgabe des Staates wird wieder seine wichtigste: der Schutz des Bürgers und seines Eigentums. Versagt die politische Klasse bei dieser Bewährungsprobe, sind Freiheit und Wohlstand in Gefahr.

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Sechs goldene Verhaltensregeln zum Schutz vor Einbrechern
Abschließen Quelle: dpa
Fenster zu! Quelle: Initiative ‚Nicht bei mir!‘
Fußmatte Quelle: dpa
Schlüssel weg, Schlösser tauschen!Wenn ein Schlüssel verloren geht – auch wenn es nur der Schlüssel ist – dann auf jeden Fall Schlösser tauschen. Denn man kann sich nie sicher sein, wie oder wo der Schlüssel weg gekommen ist und im schlimmsten Fall wurde er geklaut. Also: sicher ist sicher – Schließzylinder wechseln. Quelle: dpa
nachbar Quelle: ZB
Urlaub Quelle: Initiative ‚Nicht bei mir!‘

Einem Flüchtling aus Syrien, Afghanistan oder anderen gescheiterten Staaten dürfte ziemlich bekannt vorkommen, was Thomas Hobbes als Situation der Menschen ohne Staat beschrieb: „In einer solchen Lage findet sich kein Fleiß, weil kein Vorteil davon zu erwarten ist; es gibt keinen Ackerbau, keine Schifffahrt, keine bequemen Wohnungen, keine Werkzeuge höherer Art, keine Länderkenntnis, keine Zeitrechnung, keine Künste, keine gesellschaftlichen Verbindungen; statt dessen ein tausendfaches Elend; Furcht gemordet zu werden, stündliche Gefahr, ein einsames, kümmerliches Leben, roh und kurz.“  

Für Hobbes war „klar, dass die Menschen während der Zeit, in der sie ohne eine allgemeine, sie alle im Zaum haltende Macht leben, sich in einem Zustand befinden, der Krieg genannt wird“. Dieser „Krieg eines jeden gegen jeden“ ist für Hobbes der Naturzustand, der „nicht nur in Schlachten oder Kampfhandlungen besteht, sondern in einem Zeitraum, in dem der Wille zum Kampf genügend bekannt ist.“ Die Macht, die diesen omnipräsenten Dauerkrieg überwindet, ist der Staat, auf den sich die Menschen aus Angst voreinander einigen – Hobbes nennt ihn (und sein berühmtes Hauptwerk von 1651) „Leviathan“ nach einem biblischen Monster.

Hobbes gilt ähnlich wie Macchiavelli als dunkler, pessimistischer Denker. Im Gegensatz zu Rousseau glaubt er nicht, dass der Mensch von Geburt an eigentlich lieb und gut ist. Ohne Staat ist nach Hobbes berühmter Metapher der „Mensch des Menschen Wolf“. Vermutlich ist dies auch dadurch zu erklären, dass Hobbes im Gegensatz zu Rousseau einen Bürgerkrieg, nämlich den englischen (1642-49), miterlebt hat. Solch eine Erfahrung prägt das Menschenbild.

Das sind die Geheimcodes der Einbrecher
Am Fensterbrett, der Türklingel oder der Hauswand: Einbrecher, Betrüger oder Bettler benutzen gerade in Städten mit hohen Wohnungseinbruchzahlen häufig diese Art der Kommunikation. So teilen Diebesbanden ihresgleichen mit, wo etwa nichts zu holen ist, wo ein bissiger Hund das Grundstück bewacht oder wo nur Frauen im Haus sind. In den vergangenen Monaten werden vermehrt diese aus dem 12. Jahrhundert stammenden „Gaunerzinken“ in deutschen Städten, etwa Berlin entdeckt, teilt die Deutsche Polizeigewerkschaft mit. Quelle: dpa
„Hier gibt es Geld“ Quelle: Handelsblatt
„Achtung, bissiger Hund“ Quelle: Handelsblatt
„Abhauen“ Quelle: Handelsblatt
„Leute rufen Polizei“ Quelle: Handelsblatt
„Nur Männer im Haus“ Quelle: Handelsblatt
„Gefährlich; Hände weg“ Quelle: Handelsblatt

Die meisten deutschen Hobbes-Leser haben den Krieg aller gegen alle als theoretisches Konstrukt aufgefasst. Allein, wer zu der wachsenden Gruppe jener Bürger gehört, die einmal unkontrollierte Gewalt am eigenen Leib erlebten, wer sich zum Beispiel in der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof aufhielt, oder wer zu den 167.136 Einbruchsopfern des Jahres 2015 (plus 9,9 Prozent gegenüber 2014) oder zu den 127.395 Opfern „schwerer Körperverletzung“ (plus 1,3 Prozent) gehört, die die aktuelle „Polizeiliche Kriminalitätsstatistik“ ausweist, der wird den Leviathan des Thomas Hobbes vermutlich mit anderen Empfindungen lesen. Neben schwerer Körperverletzung ist auch Diebstahl keine Bagatelle. Jeder Diebstahl bedeutet ein Scheitern des Rechts auf Eigentum. Auf diesem beruht unsere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung.

Ein Staat, der keine Zähne mehr zeigt

Die meisten Deutschen haben, das zeigte die Silvesternacht, keine Erfahrung, wie man sich in solchen Grenzsituationen benimmt, wenn der Staat unsichtbar ist. Das unterscheidet sie von einem großen Teil der Zuwanderer vielleicht noch stärker als Kultur und Religion. Die jungen Männer, die in Millionenstärke ins gewaltentwöhnte Mitteleuropa drängen, kommen zum großen Teil aus einer Erfahrungswelt, in der man sich nicht auf den Schutz eines mächtigen Leviathans verlassen kann, der Frieden, Freiheit und Eigentum garantiert. Sie kommen aus von Gewalt zersetzten Gesellschaften, in denen das Recht des Stärkeren herrscht. In denen der „Mensch des Menschen Wolf“ ist. Den „Willen zum Kampf“ zu demonstrieren, ist da unter Umständen eine unverzichtbare Überlebensstrategie.     

Zollbilanz

Die deutschen Männer haben in jener gewalttätigen Nacht die Gewalt der meist arabischen Täter nicht erwidert. Sie vertrauten auf Leviathan in Person der Polizei – wie das für den zivilisierten Bürger eines funktionierenden Staates normal ist.

Doch Leviathan zog den Schwanz ein. Die Polizei hielt sich zurück, griff nicht mit der Härte ein, die notwendig gewesen wäre, um die massenhafte sexuelle Gewalt und den massenhaften Raub zu verhindern. Die Opfer, hauptsächlich junge Frauen, berichteten später von ihrer Verzweiflung angesichts des totalen Ausgeliefertseins an die Täter.

Definitionen sicherheitstechnischer Begriffe

In den drei vergangenen Jahrhunderten haben die Menschen im Westen sich so sehr an den funktionierenden Staat gewöhnt, dass dessen Scheitern völlig aus dem Erwartungshorizont verschwand. Statt der Hobbes’schen Staatslosigkeit wurde besonders uns Deutschen der übermächtige und schließlich verbrecherische Staat zur prägenden Erfahrung. Die Lehre aus dem europäischen Totalitarismus schien zu sein, dass individuelle und auch unternehmerische Freiheit gegen den Staat erkämpft werden musste. Die Freiheit durch den Staat, also die weitgehende Sicherheit des Lebens und des Eigentums, erschien als selbstverständliche und auf ewig gesicherte zivilisatorische Errungenschaft.

Die Freiheit durch den Staat droht verloren zu gehen

Doch diese Gewissheit beginnt zu wanken. Einerseits durch den Blick nach außen, auf die zunehmende Zahl gescheiterter Staaten, deren Bewohner in wachsender Zahl zu uns drängen – mitsamt ihrer Prägungen aus den heimatlichen Kriegen „eines jeden gegen jeden“. Andererseits aber auch durch immer mehr hautnahe eigene Erfahrungen der Einheimischen mit dem schwächelnden Leviathan.  

Die wichtigsten Fragen rund um Einbrüche

„Die Ereignisse in der Silvesternacht haben gezeigt, was es bedeutet, wenn der Staat zwar präsent ist, aber keine Zähne mehr zeigt", sagt der Historiker und Gewaltforscher Jörg Baberowski. "Wir vertrauen den Institutionen des Staates. Wenn sie aber nicht tun, was wir von ihnen erwarten, sind wir verunsichert und wissen nicht, wie wir mit Gewalt umgehen sollen.“ Das Ergebnis ist die schleichende, noch verhaltene Rückkehr der Angst unserer Vorfahren vor dem Wolf in Menschengestalt.

Sie hat weite Teile der deutschen Gesellschaft bereits ergriffen. Da der Staat „seine Bürger allein“ lässt, wie "Der Spiegel" jüngst feststellte, versuchen diese notgedrungen allein oder in selbst gesuchten Gruppen für ihre Sicherheit zu sorgen: mit Pfefferspray oder durchschlagenderen Waffen, mit Alarmanlagen, durch die Gründung von Bürgerwehren.  

Fataler Verlust an Glaubwürdigkeit

Gleichzeitig erleben dieselben Bürger denselben Staat als ausgesprochen handlungsfreudig, wenn es um die Erhaltung der europäischen Währungsunion durch immer neue „Rettungspakete“ oder um die Alimentierung der Automobilindustrie durch Milliardensubventionen für Elektrofahrzeuge geht. Die Befreiung der Autokonzerne von den Investitionsrisiken beim Übergang in die Elektromobilität scheint, so könnte man meinen, mindestens ebensolche Priorität zu genießen wie die erste und wichtigste Aufgabe des Staates: der Schutz des Bürgers und seines Eigentums. Arnold Gehlen – noch so ein dunkler Denker – sah den Leviathan die „Züge einer Milchkuh“ annehmen.   

Eine Partei der Sicherheit ist gefragt

Der Vertrauensverlust des Staates bedeutet für alle staatstragenden Parteien, die das Mandat zur Führung des Staates beanspruchen, einen Verlust an Legitimität. Besonders leidet darunter die Union. Jahrzehntelang waren die Deutschen überzeugt, dass die beiden Unionsparteien die Aufgabe des Leviathans besonders gut beherrschten. Ein wertvolles Pfund, mit dem die Union jahrzehntelang bei Wahlen sehr erfolgreich wuchern konnte. Mancher Wähler, dem in jungen und relativ besitzarmen Jahren andere politische Akzente wichtiger waren, verschiebt mit fortschreitendem Alter und wachsendem Eigentum seine politischen Prioritäten in Richtung Sicherheit. Das war auch stets ein Grund für den höheren Anteil an Unionswählern unter älteren Bürgern.

Kriminalstatistik

Umso fataler der Verlust an sicherheitspolitischer Glaubwürdigkeit. Bei der Präsentation der Kriminalitätsstatistik versuchte Bundesinnenminister Thomas de Maizière das Zahlenwerk wie eine naturwissenschaftliche Studie zu präsentieren, deren beängstigende Ergebnisse man als unveränderbar zur Kenntnis nehmen muss. Auch die neuen Zahlen der Polizei sind erkennbar durch den Willen zur Beruhigung des verunsicherten Bürgers geprägt. Als ob eine geschickte Kommunikation politische Taten ersetzen könnte!

Die Medien machten zumindest teilweise mit. Die "Tagesschau" etwa will uns weismachen, der Anstieg sei „nur auf den ersten Blick“ einer: „Denn verantwortlich für den Anstieg sind Vergehen, die mit der Sicherheit der Bevölkerung nichts zu tun haben.“ Konkret gemeint sind vor allem die illegale Einreise nach Deutschland oder Verstöße gegen die Residenzpflicht für Flüchtlinge. 

Was ist Organisierte Kriminalität?

Diese Interpretation regten die Autoren des Polizeiberichts schon dadurch an, dass sie erstmals auch die Zahl der Straftaten ohne Verstöße gegen das Ausländerrecht ausweisen. De Maizière selbst gab als Grund dafür an, man wolle vermeiden, dass ein verzerrtes Bild entstehe. Und der Kriminologe Christian Pfeiffer lobte diese Entscheidung, „da es sonst angesichts der gestiegenen Gesamtzahl leicht zu Missverständnissen kommen kann, die dann von rechten Kreisen instrumentalisiert werden." Darum geht es also mal wieder: Die Instrumentalisierung durch „rechte Kreise vermeiden".

Tatsächlich machen die Verstöße gegen das Ausländerrecht einen großen Teil des Anstiegs der Gesamtstraftaten aus. Laut Statistik stieg ihre Zahl auf mehr als 400.000. 2014 waren noch rund 150.000 Fälle registriert worden. Aber warum sollte das irgendjemanden beruhigen? Sind Verstöße gegen das Ausländerrecht keine?

Beruhigungspille, die nicht wirkt

Diese Beruhigungspille ist also nur auf den ersten Blick wirksam. Bei den meisten Menschen, die sich verunsichert fühlen, vermutlich gar nicht. Die Tatsache, dass der deutsche Staat sich selbst für unfähig und/oder unwillig – der Unterschied ist im Kanzleramt nie so recht gemacht worden – erklärt, den illegalen Zuzug und andere Verstöße gegen das Ausländerrecht zu verhindern, ist schließlich gerade eine der Hauptquellen der großen Verunsicherung.

Will man dem Bürger tatsächlich zumuten, keinen Zusammenhang herzustellen zwischen den unkontrollierten Grenzen – Deutschlands oder der EU – und der Feststellung, dass der sprunghafte Anstieg der Einbruchskriminalität vor allem auf speziell zum Zweck des Einbrechens eingereiste Nicht-Deutsche zurückzuführen ist? Glaubt man auch nach den Ereignissen der Silvesternacht immer noch, durch selektive Kommunikationsstrategien eine Instrumentalisierung durch die „Rechte“ vermeiden zu müssen – und zu können?

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Als ob „rechte Kreise“ – man hätte auch gleich „AfD“ sagen können – eine Statistik benötigten! Ängste und Sorgen, auf denen ihre Wahlerfolge beruhen, pflegen nicht aus abstrakten Zahlen hervorzugehen, sondern aus dem, was Menschen erfahren. Niemand benötigt in Deutschland einen Polizeibericht, um mitzubekommen, dass die Einbruchsgefahr in jüngster Zeit extrem zugenommen hat. Die Opfer sind schließlich mitten unter uns. Fast jeder kennt eines. 

Die Kontrolle der Außengrenzen ist die Aufgabe, bei der der Schutz der inneren und der äußeren Sicherheit sich berühren. Wenn Banden völlig ungehindert in die EU, also auch nach Deutschland einreisen können, um zu stehlen, wird klar, dass innere Sicherheit auch mit dem Schutz der Grenzen zu tun hat. Und es wird deutlich, dass die Realisierung der Parole „no borders“ nicht gleichbedeutend mit „alle Menschen werden Brüder“ und „internationaler Solidarität“ ist, sondern die Gefahr der totalen Überforderung der Polizei im Kampf gegen die Kriminalität mit sich bringt. 

Gewaltiger Friedensstifter für liberale Gesellschaft gesucht

Die historische und aktuelle Erfahrung mit schwachen und gescheiterten Staaten bestätigt Hobbes. Der gewaltige Friedensstifter Leviathan ist kein Gegner der liberalen Gesellschaft, sondern im Gegenteil die Voraussetzung für alles, was das lebenswerte Leben des Menschen ermöglicht: für Wohlstand durch eine funktionierende Wirtschaft, die auf dem Schutz des Eigentums beruht, ebenso wie für linke Ziele wie Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität.

Die Union ist auf Grund ihrer Geschichte, ihrer langen und intensiven Regierungserfahrung, eigentlich dafür prädestiniert, den Job als ideologiefreie und nüchterne Partei für Sicherheit zu übernehmen. Aber den Leviathan zu stärken, ist anstrengend, riskant, ja auch gefährlich. Kein Job für Politiker wie Angela Merkel, die ein „freundliches Gesicht“ zu zeigen bevorzugen, um die Sympathien dort zu suchen, wo man nicht in Hobbes‘ Denktradition steht, sondern wie Rousseau den Menschen als von Natur aus gut und friedliebend ansieht.

Die neue Alternative zur Union und den anderen etablierten Parteien wird erst dann wieder überflüssig werden, wenn diese den Leviathan nicht weiter zur Milchkuh degradieren, sondern ihm Hörner wachsen lassen.

 

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