Kriminalität und Innere Sicherheit Der Staat muss wieder lernen, Zähne zu zeigen

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Fataler Verlust an Glaubwürdigkeit

Gleichzeitig erleben dieselben Bürger denselben Staat als ausgesprochen handlungsfreudig, wenn es um die Erhaltung der europäischen Währungsunion durch immer neue „Rettungspakete“ oder um die Alimentierung der Automobilindustrie durch Milliardensubventionen für Elektrofahrzeuge geht. Die Befreiung der Autokonzerne von den Investitionsrisiken beim Übergang in die Elektromobilität scheint, so könnte man meinen, mindestens ebensolche Priorität zu genießen wie die erste und wichtigste Aufgabe des Staates: der Schutz des Bürgers und seines Eigentums. Arnold Gehlen – noch so ein dunkler Denker – sah den Leviathan die „Züge einer Milchkuh“ annehmen.   

Eine Partei der Sicherheit ist gefragt

Der Vertrauensverlust des Staates bedeutet für alle staatstragenden Parteien, die das Mandat zur Führung des Staates beanspruchen, einen Verlust an Legitimität. Besonders leidet darunter die Union. Jahrzehntelang waren die Deutschen überzeugt, dass die beiden Unionsparteien die Aufgabe des Leviathans besonders gut beherrschten. Ein wertvolles Pfund, mit dem die Union jahrzehntelang bei Wahlen sehr erfolgreich wuchern konnte. Mancher Wähler, dem in jungen und relativ besitzarmen Jahren andere politische Akzente wichtiger waren, verschiebt mit fortschreitendem Alter und wachsendem Eigentum seine politischen Prioritäten in Richtung Sicherheit. Das war auch stets ein Grund für den höheren Anteil an Unionswählern unter älteren Bürgern.

Kriminalstatistik

Umso fataler der Verlust an sicherheitspolitischer Glaubwürdigkeit. Bei der Präsentation der Kriminalitätsstatistik versuchte Bundesinnenminister Thomas de Maizière das Zahlenwerk wie eine naturwissenschaftliche Studie zu präsentieren, deren beängstigende Ergebnisse man als unveränderbar zur Kenntnis nehmen muss. Auch die neuen Zahlen der Polizei sind erkennbar durch den Willen zur Beruhigung des verunsicherten Bürgers geprägt. Als ob eine geschickte Kommunikation politische Taten ersetzen könnte!

Die Medien machten zumindest teilweise mit. Die "Tagesschau" etwa will uns weismachen, der Anstieg sei „nur auf den ersten Blick“ einer: „Denn verantwortlich für den Anstieg sind Vergehen, die mit der Sicherheit der Bevölkerung nichts zu tun haben.“ Konkret gemeint sind vor allem die illegale Einreise nach Deutschland oder Verstöße gegen die Residenzpflicht für Flüchtlinge. 

Was ist Organisierte Kriminalität?

Diese Interpretation regten die Autoren des Polizeiberichts schon dadurch an, dass sie erstmals auch die Zahl der Straftaten ohne Verstöße gegen das Ausländerrecht ausweisen. De Maizière selbst gab als Grund dafür an, man wolle vermeiden, dass ein verzerrtes Bild entstehe. Und der Kriminologe Christian Pfeiffer lobte diese Entscheidung, „da es sonst angesichts der gestiegenen Gesamtzahl leicht zu Missverständnissen kommen kann, die dann von rechten Kreisen instrumentalisiert werden." Darum geht es also mal wieder: Die Instrumentalisierung durch „rechte Kreise vermeiden".

Tatsächlich machen die Verstöße gegen das Ausländerrecht einen großen Teil des Anstiegs der Gesamtstraftaten aus. Laut Statistik stieg ihre Zahl auf mehr als 400.000. 2014 waren noch rund 150.000 Fälle registriert worden. Aber warum sollte das irgendjemanden beruhigen? Sind Verstöße gegen das Ausländerrecht keine?

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