Fast nur Wirtschaft hier, allzu viel Religion dort. Ein größerer Gegensatz scheint kaum vorstellbar. Doch bei näherer Betrachtung wird eine verblüffende Verwandtschaft offenbar zwischen wirtschaftswütigem Abendland und religionsbesoffenem Orient. Die Heilsbotschaft nämlich, die die beiden herrschenden Prinzipien den Menschen verkünden, ist die gleiche: alle menschlichen und irdischen Grenzen könnt ihr überschreiten!
Die Wirtschaftsprediger des Westens versprechen, die Menschen in ein gelobtes Land der immer neuen, unbegrenzten Konsummöglichkeiten zu führen. Dieses Wolkenkuckucksheim der Wachstumsökonomie gibt es in der wirklichen Welt natürlich nicht. Die begrenzte Erde, auf deren Ressourcen alles Leben und Wirtschaften angewiesen ist, zeigt längst unübersehbare Anzeichen der Erschöpfung.
Aber das übersieht man leicht durch die Fixierung aufs Geld. Denn Geld ist, zumindest seit dem endgültigen Ende des Edelmetallstandards 1973, tatsächlich ein grenzenloses Ding mit geradezu göttlichen Eigenschaften: Wenn alle daran glauben und es anbeten, scheint Wolkenkuckucksheim Wirklichkeit zu werden.
Dieser Wahn vom ewigen Wachstum hat religiöse Wurzeln. Die christliche Lehre hatte – das war ihr Erfolgsgeheimnis gegenüber den Kulten der Römer und Germanen – die Überwindung aller irdischen Grenzen versprochen: das ewige Leben in Seligkeit. Die Grenzen sollten allerdings erst im Jenseits fallen. So prägend war dieses Versprechen, dass es den Niedergang des Christentums überlebte. Die Säkularisierung schaffte nicht den Wunsch nach grenzenlosem Heil und endloser Glückseligkeit aus der Welt. Im Gegenteil: jetzt sollte der Himmel schon auf Erden möglich werden. Das Mittel dazu ist nicht mehr göttliche Gnade, sondern die immer weiter anwachsenden Früchte der Arbeit. Heil durch ökonomisches Wachstum.
Jesiden – die verfolgte Minderheit
Die größte Gemeinde gibt es im Irak, nach Angaben der Minderheit leben dort 600.000 Jesiden. Andere Schätzungen gehen von 100.000 aus. In Deutschland lebt die größte Exilgemeinde, hier gehen die Jesiden von 45.000 bis 60.000 Religionsangehörigen aus. In Syrien, der Türkei, Armenien und Georgien leben ebenfalls mehrere tausend Jesiden. Eine offizielle Zählung gibt es nicht.
Als Jeside wird man geboren, konvertieren kann man zu dem Glauben nicht. Die Jesiden-Tradition untersagt Hochzeiten mit Nicht-Jesiden sowie außerhalb der Kaste. Normalerweise geht mit einer Mischhochzeit daher der Austritt aus dem Glauben einher.
Der jesidische Glaube ist eine monotheistische Religion und enstand vor über 4000 Jahren in Mesopotamien. Der Glaube beruht teilweise auf dem altpersischen Kult des Zoroastrismus, im Laufe der Zeit kamen auch islamische und christliche Elemente dazu.
Die meisten Jesiden sind arme Bauern und Hirten. Jesiden beten der Sonne zugewandt zu ihrem Gott und verehren seine sieben Engel. Der wichtigste ist Melek Taus, auch Engel Pfau genannt. Eine feste religiöse Schrift haben die Jesiden nicht, ihre Religion orientiert sich an mündlichen Überlieferungen. Die Jesiden glauben an Seelenwanderung und Wiedergeburt.
Viele strenggläubige Muslime und vor allem auch Islamisten sehen im Engel Pfau eine dämonische Figur und betrachten die Jesiden daher als „Teufelsanbeter“. Auch andere Vorgaben wie zum Beispiel das Verbot, Kopfsalat zu essen oder die Farbe Blau zu tragen, werden von anderen Religionen als satanisch missinterpretiert. Als nichtarabische und nichtmuslimische Iraker wurden die Jesiden schon unter Saddam Hussein im Irak verfolgt und vertrieben. Im August 2007 wurden zwei jesidische Dörfer im Nordirak beinahe vollständig zerstört. Mehr als 400 Jesiden starben. Es war der blutigste Angriff auf die Minderheit seit der US-geführten Invasion im Irak im Jahr 2003.
In der islamischen Welt hingegen ist die Säkularisierung bis auf weiteres abgesagt und damit auch die Diesseitswendung der Heilsbotschaft. Der Koran bleibt Allahs Wort, daran wird nicht gerüttelt. „Alle Fragen der Reform beginnen beim Koran“, schreibt der deutsch-ägyptische Politologe Hamed Abdel-Samad, „und zerbrechen am Ende an diesem erratischen Block der islamischen Kultur.“ Kaum jemand in der Umma traut sich, die göttliche Herkunft des Koran in Frage zu stellen, ihn als historischen Text zu erforschen, wie es christliche Theologen mit der Bibel tun. Wer das als Muslim versucht, wie der Münsteraner Professor Sven Kalisch, gilt als Abtrünniger und braucht fortan Polizeischutz.