Krisenjahr 2014 Was die Finanzkrise und die des Islam verbindet

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Eine verblüffende Verwandtschaft

Fast nur Wirtschaft hier, allzu viel Religion dort. Ein größerer Gegensatz scheint kaum vorstellbar. Doch bei näherer Betrachtung wird eine verblüffende Verwandtschaft offenbar zwischen wirtschaftswütigem Abendland und religionsbesoffenem Orient. Die Heilsbotschaft nämlich, die die beiden herrschenden Prinzipien den Menschen verkünden, ist die gleiche: alle menschlichen und irdischen Grenzen könnt ihr überschreiten!

Die Wirtschaftsprediger des Westens versprechen, die Menschen in ein gelobtes Land der immer neuen, unbegrenzten Konsummöglichkeiten zu führen. Dieses Wolkenkuckucksheim der Wachstumsökonomie gibt es in der wirklichen Welt natürlich nicht. Die begrenzte Erde, auf deren Ressourcen alles Leben und Wirtschaften angewiesen ist, zeigt längst unübersehbare Anzeichen der Erschöpfung.

Aber das übersieht man leicht durch die Fixierung aufs Geld. Denn Geld ist, zumindest seit dem endgültigen Ende des Edelmetallstandards 1973, tatsächlich ein grenzenloses Ding mit geradezu göttlichen Eigenschaften: Wenn alle daran glauben und es anbeten, scheint Wolkenkuckucksheim Wirklichkeit zu werden.    

Dieser Wahn vom ewigen Wachstum hat religiöse Wurzeln. Die christliche Lehre hatte – das war ihr Erfolgsgeheimnis gegenüber den Kulten der Römer und Germanen – die Überwindung aller irdischen Grenzen versprochen: das ewige Leben in Seligkeit. Die Grenzen sollten allerdings erst im Jenseits fallen. So prägend war dieses Versprechen, dass es den Niedergang des Christentums überlebte. Die Säkularisierung schaffte nicht den Wunsch nach grenzenlosem Heil und endloser Glückseligkeit aus der Welt. Im Gegenteil: jetzt sollte der Himmel schon auf Erden möglich werden. Das Mittel dazu ist nicht mehr göttliche Gnade, sondern die immer weiter anwachsenden Früchte der Arbeit. Heil durch ökonomisches Wachstum.

Jesiden – die verfolgte Minderheit

In der islamischen Welt hingegen ist die Säkularisierung bis auf weiteres abgesagt und damit auch die Diesseitswendung der Heilsbotschaft. Der Koran bleibt Allahs Wort, daran wird nicht gerüttelt. „Alle Fragen der Reform beginnen beim Koran“, schreibt der deutsch-ägyptische Politologe Hamed Abdel-Samad, „und zerbrechen am Ende an diesem erratischen Block der islamischen Kultur.“ Kaum jemand in der Umma traut sich, die göttliche Herkunft des Koran in Frage zu stellen, ihn als historischen Text zu erforschen, wie es christliche Theologen mit der Bibel tun. Wer das als Muslim versucht, wie der Münsteraner Professor Sven Kalisch, gilt als Abtrünniger und braucht fortan Polizeischutz.

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