Kritik am Betreuungsgeld Schwarz-gelbe Familienpolitik unter Beschuss

Jahre lang wurde die Familienförderung analysiert. Der Spielraum für Änderungen ist gering. Mit einer Ausnahme: Aus Expertensicht hat die Koalition beim Betreuungsgeld aufs falsche Pferd gesetzt – in vielerlei Hinsicht.

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Von einer besseren Kinderbetreuung würden Familien, aber auch die Wirtschaft profitieren. Quelle: dpa

Berlin In ihrem Koalitionsvertrag hatten Union und FDP angekündigt, alle familienpolitischen Leistungen des Staates auf den Prüfstand zu stellen - ein hoher Anspruch, den die Bundesregierung nun mit der aufwendigen Gesamtüberprüfung der „ehe- und familienbezogenen Leistungen“ einzulösen versucht. Seit 2006 analysierten weit mehr als 100 Wissenschaftler verschiedener Forschungsinstitute im Regierungsauftrag jeden Euro, den der Staat für Kinder, Ehepaare, Alleinerziehende und Witwen ausgibt.

Das Ergebnis ist ernüchternd – und hätte man wohl auch ohne die Expertise schon  erahnen können. Denn viele – vor allem finanzielle – Leistungen des Staates sind durch die Verfassung und entsprechende Karlsruher Urteile so festgezurrt, dass kaum Spielraum für Neugestaltung bleibt. Das gilt insbesondere für den Kinderfreibetrag bei der Steuer – und damit politisch auch für das Kindergeld. Was erst gar nicht groß thematisiert wird ist das höchst umstrittene Betreuungsgeld, wenngleich diese Leistung von Experten, als wenig gewinnbringend gesehen wird. Im Gegenteil: Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) sieht sich durch die jetzt vorgelegte Untersuchung in seiner Kritik am Betreuungsgeld bestätigt.

„Die Evaluation zeigt, dass direkte monetäre Leistungen nicht unbedingt die erhoffte Wirkung zeigen. Dies stellt auch dem Betreuungsgeld eine ungünstige Prognose aus“, sagte der Leiter des Wissenschaftsbereichs Bildungspolitik und Arbeitsmarktpolitik beim IW, Hans-Peter Klös, Handelsblatt Online. Demgegenüber sei ein weiterer Ausbau der Betreuungsinfrastruktur eine gute Voraussetzung dafür, dass Mütter und in selteneren Fällen auch Väter so viel arbeiten könnten, wie sie es für möglich hielten.

Laut Klös sind entsprechende Betreuungsangebote ein gutes Mittel gegen Fachkräfteengpässe. „Denn nur wenn Eltern den Nachwuchs gut versorgt wissen, können sie dem Arbeitsmarkt mit ihren Qualifikationen zur Verfügung stehen, wenn sie dies wollen“, sagte er. „Gäbe es mehr Kitas und Ganztagsschulen, so stünden dem Arbeitsmarkt nach unseren Berechnungen bereits kurzfristig 240.000 qualifizierte Vollzeitkräfte zusätzlich zur Verfügung.“

Klös‘ Einschätzung ergibt sich auch aus dem Umstand, dass sich viele Eltern laut der Evaluation eine noch bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf wünschen. „Dabei kommt der Kinderbetreuung die wichtigste Rolle zu: 82 Prozent der Eltern mit Kindern unter 18 Jahren im Haushalt sind überzeugt, dass es vor allem die Kinderbetreuung ist, mithilfe derer sich Familie und Beruf besser vereinbaren lassen“, heißt es in dem Bericht für die Bundesregierung.


„Milliarden für das Betreuungsgeld verplempert“

Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) nimmt erst gar nicht zu dem politisch brisanten Betreuungsgeld Stellung. Auch wenn sie in dem Mammutwerk viele Anregungen zum Nachsteuern und zum Bürokratieabbau, auch zur Schaffung von mehr Effizienz findet, fällt das Fazit der Ministerin ziemlich nüchtern aus: Im Grunde genommen sei die deutsche Familienförderung mit ihrer Mischung aus finanzieller Unterstützung und Bereitstellung von Infrastruktur, wie etwa Betreuungsplätzen, in Ordnung. Es gehe um „Wahlfreiheit der Familie“ für ihre jeweilige Lebensform. Schröder: „Einheitsleistungen sind familienpolitisch rückwärtsgewandt.“

Und aus ihrem Hause wird nachgelegt: Die zum Teil durch Vorveröffentlichung aus den Studien vorab publik gewordene Kritik an der deutschen Familienförderung sei überzogen oder aus dem Zusammenhang gerissen. Vieles sei von den Forschern in den Endfassungen der Studien auch wieder revidiert worden.

Sicher, auch Forscher können das Rad nicht neu erfinden, geschweige denn mehr Geld drucken. Doch am Betreuungsgeld scheiden sich die Geister. Ökonomen, Wirtschaft und Gewerkschaften können dieser Leistung nichts Positives abgewinnen. Die Opposition im Bundestag kündigte bereits an, es im Falle eines Regierungswechsels wieder abzuschaffen.

„Die Bundesregierung hat mit dem Betreuungsgeld komplett aufs falsche Pferd gesetzt“, sagte die Familienexpertin der Grünen-Bundestagsfraktion, Katja Dörner, Handelsblatt Online. Die Evaluation der familienpolitischen Leistungen zeige, dass Eltern eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf einforderten. Da wirke eine Prämie, die Kinder aus der Kita und Mütter vom Arbeitsleben fern hielten, kontraproduktiv. „Statt knapp zwei Milliarden Euro für das Betreuungsgeld zu verplempern, muss der Bund sich über 2013 hinaus für den Kita-Ausbau engagieren“, forderte die Grünen-Politikerin und fügte hinzu: „Der Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz und bundesweite Qualitätsstandards stehen jetzt auf der Agenda.“

SPD-Chef Sigmar Gabriel warf der Bundesregierung vor, sie bevorzuge Kinder aus wohlhabenden Elternhäusern. Die SPD werde im Fall eines Wahlsiegs in kostenfreie Ganztags-Kita-Plätze investieren, „statt Steuergeld für das unsinnige Betreuungsgeld zu verplempern“.

Nach derzeitiger Rechtslage wird das Betreuungsgeld gezahlt für Kinder ab dem 15. Lebensmonat, also im Anschluss ans Elterngeld. Die neue Leistung kann maximal 22 Monate bezogen werden und wird längstens bis zum 36. Lebensmonat des Kindes gezahlt. Das Betreuungsgeld beträgt ab August 2013 für jedes Kind zunächst monatlich 100 Euro, ab August 2014 dann 150 Euro. Das Betreuungsgeld wird dann nicht gezahlt, wenn das Kind eine mit öffentlich geförderten Mitteln bezahlte Kindertagesstätte besucht.


Eine neue Familienpolitik bleibt Illusion

Die CSU-Familienexpertin Dorothee Bär verteidigte die Einführung des Betreuungsgelds. Auch für die Familien, in denen ein Elternteil für die Betreuung der Kinder die Erwerbsarbeit länger unterbrechen möchte, gebe es Unterstützungsleistungen, „an denen wir festhalten werden“, sagte sie und nannte das Ehegattensplitting, die beitragsfreie Mitversicherung in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung und das Betreuungsgeld.

Fraglich ist der tatsächlich Nutzen solcher Instrumente. Das hat auch damit zu tun, dass es schwierig ist, Kriterien zu finden, mit denen man die Effizienz von Familienleistungen wirklich messen kann. Deutlich wird dieses Problem beim Elterngeld. Auch nach seiner Einführung ist die seit Jahren vor sich hin dümpelnde Geburtenrate in Deutschland nicht sprunghaft in die Höhe geschnellt. Allerdings ist sie auch nicht weiter gefallen.

In der Bevölkerung gehört das Elterngeld gleich nach dem Kindergeld zu den populärsten familienpolitischen Maßnahmen des Staates. Ein politischer Rückwärtsgang dürfte hier schwer fallen – auch wenn einige Konservative in der Union immer noch gerne am Elterngeld rütteln würden. Schröder: „Für mich steht das Elterngeld nicht zur Disposition.“

Das Ergebnis der Gesamtevaluation hat vor allem die Illusion zerstört, man könnte die gesamte Familienpolitik des Staates völlig neu formieren. Auch Schröder räumte ein, dass von den über 200 Milliarden Euro, die der Staat laut Auflistung für Familien ausgibt, wegen verfassungsrechtlicher Festlegungen allenfalls 55 Milliarden einer politischen Neugestaltung unterliegen – und das nur in Maßen.

So sind in der zunächst wohlklingenden Summe von 200 Milliarden Euro auch Beträge enthalten, die sich auf den ersten Blick nur schwerlich als familienpolitische Wohltat des Staates ausmachen lassen – etwa die Witwenrenten für Staatsdiener. Denn das ist eher eine Folge des besonderen Beschäftigungsverhältnisses der Beamten.

Der Freiraum für eine Neugestaltung der Familienpolitik bleibt unter dem Strich eher klein. Entsprechend vorsichtig fiel deshalb auch der bislang einzige konkrete Vorschlag von Schröder und von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) als Konsequenz aus der Untersuchung aus. Der Kinderfreibetrag bei der Steuer soll von derzeit 7.008 Euro auf das Niveau der Erwachsenen steigen. 2014 sind dies 8.354 Euro. Für einen Normalverdiener-Haushalt mit einem Grenzsteuersatz von 25 Prozent würde dies eine Entlastung von etwa 250 Euro pro Jahr bedeuten, rechnete Schäuble vor.


Linkspartei warnt vor Wahlbetrug

Gleichwohl würde damit die ewige Ungerechtigkeit nicht beseitigt, dass der Staat über die Freibeträge die Kinder von Spitzenverdienern großzügiger fördert als mit dem Kindergeld den Nachwuchs von Normal- oder Geringverdienern. Während letztere zurzeit 184 Euro Kindergeld pro Monat bekommen, macht die Steuerentlastung bei einem Spitzenverdiener heute schon mehr als 250 Euro pro Kind und Monat aus.

Die Linkspartei wittert hinter den Vorschlägen Wahlbetrug. „Die Union muss ihr Familienkonzept mit Zahlen unterlegen und ein Preisschild drauf kleben. Alles andere ist Wahlbetrug auf Raten“, sagte der Wirtschaftsexperte im Kompetenzteam der Linken für Bundestagswahl, Klaus Ernst, Handelsblatt Online.

Wie viel Freibetrag dürfe es denn 2014 sein, fragte Ernst und wies darauf hin, dass der Kinderfreibetrag, solle er wirklich auf Erwachsenenniveau angehoben werden, um rund 1.000 Euro pro Jahr steigen müsse. „Das führt zwingend zu 30 Euro mehr Kindergeld pro Monat und Kind, weil der Bundestag beschlossen hat, dass das Kindergeld prozentual mit dem Kinderfreibetrag steigen muss“, erläuterte der Bundestagsabgeordnete. Das koste allein rund sechs Milliarden Euro pro Jahr.

Hinzu komme, dass das Verfassungsgericht den Kinderfreibetrag an die Hartz-IV-Leistungen für Kinder gekoppelt habe, sagte Ernst weiter. „Wenn man die 1.000 Euro auf 12 Monate aufteilt, kommen pro Kind und Monat rund 80 Euro mehr raus.“ Das Grundgesetz schiebe nicht umsonst einer Familienpolitik, die nur auf Besserverdienende ausgerichtet sei, einen Riegel vor. Über ein Gesamtpaket aus höherem Freibetrag, mehr Kindergeld und Erhöhung der Kinderregelsätze könne man reden, sagte Ernst. Dann müsse man aber auch über die Finanzierung durch höhere Steuern für Reiche sprechen. „Ich sage voraus, dass Wahlversprechen, die nur Besserverdienerfamilien mehr Geld bringen, spätestens vor dem Verfassungsgericht scheitern.“

Mit Material von dpa

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