Der Freiburger Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen macht diese über Jahrzehnte praktizierte Besserstellung dafür verantwortlich, dass die Ostrenten im Durchschnitt – trotz der deutlich niedrigen Löhne – inzwischen sogar höher sind als im Westen.
Laut Rentenversicherung liegt die Durchschnittsrente im Westen bei 787 Euro, im Osten aber bei 964 Euro im Monat. Männer erreichen im Osten eine durchschnittliche Altersrente von 1124 Euro. In den alten Ländern sind es nur 1040 Euro. Genau diese Ungleichheit, so die gemeinsame Kritik Raffelhüschens und des CDU-Wirtschaftsrates, wird durch Nahles Reform nicht etwa verkleinert – sie wird im Gegenteil sogar noch vergrößert.
Der Kern der Reform zur Angleichung des Rentenrechts ist nämlich, von 2018 bis 2025 den aktuellen Rentenwert jedes Jahr stärker steigen zu lassen als die Löhne. Dies bedeutet aber, wer heute in den neuen Bundesländern schon eine im Vergleich zum Westen hochgewertete Rente bezieht, darf sich in den kommenden Jahren über weitere außerordentliche Rentenerhöhungen freuen. Dies gilt auch für Versicherte die in dieser Zeit in Rente gehen.
Vorschläge zur Renten-Reform
Rund 536 000 Menschen erhalten Grundsicherung im Alter. Künftig dürfte Altersarmut weiter zunehmen, weil mehr Arbeitnehmer gebrochene Erwerbslaufbahnen haben und nicht durchgängig in die Rentenkasse einzahlen. Auch viele Alleinerziehende und Selbstständige ohne ausreichende Eigenvorsorge sind betroffen. Der Präsident der Deutschen Rentenversicherung Bund, Axel Reimann, fordert, Selbstständige ohne Altersvorsorge sollten obligatorisch in der Rentenversicherung abgesichert werden.
Rund 40 Prozent der Beschäftigten haben keine Betriebsrente. Arbeitgeber könnten - so diskutiert das derzeit die Koalition - verpflichtet werden, den Arbeitnehmern Angebote zu machen. Geringverdiener könnten mit einem Förderbetrag stärker unterstützt werden. Kleinen und mittleren Unternehmen könnten die Risiken mittels kollektiver Haftungslösungen genommen werden. Die Koalition mildert vielleicht auch das Problem doppelter Krankenkassenbeiträge auf Beiträge und Erträge ab.
Erst ab 63 ist die Rente wegen Erwerbsminderung aus gesundheitlichen Gründen ohne Abschläge möglich. Vorher werden bis zu 10,8 Prozent abgezogen. Vielfach führt Erwerbsminderung zu Armut: Knapp 502 000 Menschen mit Erwerbsminderung erhalten Grundsicherung. Die Opposition fordert die Abschaffung der Abschläge.
Wer bereits mit 63 in Teilrente geht, soll laut einem rot-schwarzen Gesetzentwurf mehr vom Zuverdienst behalten können. Bei der Teilrente mit 63 wird die Rente ab einer Zuverdienstgrenze von 450 Euro heute stark gekürzt. Stärker lohnen soll sich aber auch das Arbeiten über die reguläre Altersgrenze hinaus. Dafür sollen die Arbeitnehmer Rentenbeiträge zahlen können, die dann zu einer Steigerung der Rente führen. Heute zahlen Arbeitgeber bei Beschäftigung eines Rentners den Arbeitgeberanteil, ohne dass das die Rente steigen lässt.
Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) will die versprochene Aufwertung kleiner Renten bald auf den Weg bringen. Bis zu fünf Jahre Arbeitslosigkeit sollen angerechnet werden. Eine Krux dabei: Viele Bezieher von Kleinrenten leben in gut situierten Haushalten, etwa wenn der Ehemann gut verdient hat. Deshalb sollen laut Nahles die Partnereinkommen berücksichtigt werden.
Ende 2019 soll die Angleichung der Ost- an die Westrenten kommen. Die Standardrente nach 45 Beitragsjahren mit Durchschnittslohn liegt in den neuen Ländern bei 1217 Euro - 97 Euro unter dem Westwert. Doch käme die Angleichung konsequent, hätte das negative Folgen für die künftigen Ostrentner. Denn bei der Rentenberechnung werden die Ostlöhne heute noch aufgewertet.
Es soll auf 67 bis 2029 steigen. Weil immer weniger Einzahler in die Rentenkasse künftig für immer mehr Rentenbezieher aufkommen müssen, werden Forderungen nach einer Anhebung des Rentenalters immer lauter. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) etwa ist für eine Kopplung des Rentenalters an die steigende Lebenserwartung.
Heute liegt es bei rund 48 Prozent - unter 43 Prozent darf dieses Verhältnis von der Standardrente zum Durchschnittslohn bis 2030 laut Gesetz nicht fallen. Doch das schützt immer weniger vor Altersarmut. Immer mehr Politiker aus allen Parteien fordern eine Stabilisierung, die Linke will mit 53 Prozent hier am meisten.
Gut 16 Millionen Bürger haben einen Riester-Vertrag. In knapp einem Fünftel der Verträge fließt aber kein Geld mehr. Nur gut jeder Zweite schöpft die staatliche Förderung voll aus. Der DGB fordert bereits, die Riesterrente auslaufen zu lassen. Vertrauensschutz würde es nur für laufende Verträge geben. Allerdings dürften die Politik der Eigenvorsorge künftig auf der einen oder anderen Weise eher eine bedeutendere als eine kleinere Rolle zumessen, wie man von Politikern oft hört.
Angesichts der Schwächen von Riester- und Betriebsrenten gewinnt die Vorstellung einer einfacheren zusätzlichen Absicherung mit staatlicher Garantie immer mehr Anhänger. Aus der hessischen Landesregierung kam der Vorstoß für eine Deutschlandrente - ein einfaches Standardprodukt für jedermann. Jeder Arbeitnehmer soll über vom Arbeitgeber abgezwackte Beiträge in einen zentralen Fonds einzahlen - sofern sie gegenüber dem Arbeitgeber nicht aktiv widersprechen.
Am stärksten profitieren unterm Strich Menschen, die bereits zu DDR-Zeiten berufstätig waren. Benachteiligt im Vergleich zum geltenden Recht sind dagegen die Jungen. Sie verlieren nämlich bis 2025 den Höherwertungsfaktor. Raffelhüschens Fazit, dass er bereits vor einigen Tagen in der „Rheinischen Post“ gezogen hat: „Was jetzt als Ost-West-Renten-Angleichung geplant ist, erhöht nicht die Gleichheit. Im Gegenteil: Die Gerechtigkeit wird mit Füßen getreten.“
Das auch, weil die Extra-Rentenerhöhungen für die ostdeutschen Rentner zum allergrößten Teil von Beitragszahlern, also den heute Aktiven gezahlt werden müssen, die deshalb selbst keine höheren Rentenansprüche erhalten sollten. Denn von den über 15 Milliarden Euro, die Nahles’ Reform bis 2025 kosten soll, soll der Steuerzahler über einen höheren Bundeszuschuss an die Rentenversicherung nur etwas mehr als zwei Milliarden Euro übernehmen.
„Nach Rente mit 63 und Mütterrente ist das ein weiteres Draufsatteln und erhöht die Beitragszahlungen mittel- und langfristig. Zusätzliche Belastungen der erwerbstätigen Generation und der Wirtschaft darf es aber nicht geben. Denn spätestens, wenn ab 2020 die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen, lasten die Beiträge ohnehin schwer genug auf den Jungen und unserer Wirtschaftskraft“, meint dazu der Generalsekretär des Wirtschaftsrats, Wolfgang Steiger.
Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles hält ihre Reform gleichwohl für angemessen. Ihr geht es darum, das Versprechen des Koalitionsvertrags einzulösen und ein einheitliches Rentenrecht für West- und Ostdeutschland zu erreichen. Dass die ostdeutschen Rentner dafür ein weiteres Mal begünstigt werden müssen, hält die Ministerin für gerechtfertigt. Die einzige Alternative zu ihrer Reform wäre eine Beibehaltung der aktuellen Rechtslage, heißt es in ihrem Gesetzentwurf. „Hierdurch würden rund 30 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung auf unabsehbare Zeit weiterhin besondere Regelungen für die Rentenberechnung in den neuen Bundesländern gelten.“ Das im Einigungsvertrag vereinbarte Ziel der Angleichung der Renten würde auf „absehbare Zeit“ nicht erreicht, „so dass von dieser Alternative abgesehen wird“.
Nahles macht sich zudem Hoffnungen, dass die Reform am Ende doch nicht so teuer wird. Laut Gesetzentwurf steigen die Mehrausgaben der Rentenversicherung wegen der Sondererhöhungen der Ostrenten ab 2018 von zunächst 600 Millionen Euro pro Jahr auf 3,9 Milliarden Euro ab 2025, wenn nach der siebten außerordentlichen Rentenerhöhung der aktuelle Rentenwert Westniveau erreicht haben wird. Bei dieser Rechnung wird aber davon ausgegangen, dass die Löhne im Osten in Zukunft nicht schneller steigen als im Westen und damit das Lohnniveau bei rund 87 Prozent des Westniveaus stagniert.
Da der Lohnangleichungsprozess zwischen 2000 und 2014 nahezu zum Stillstand gekommen war und erst in den vergangenen Jahren, auch durch die Einführung des Mindestlohns, in Bewegung gekommen ist, ist das eine seriöse Annahme. Sollte sich aber der stärkere Anstieg der Ostlöhne in der jüngsten Vergangenheit weiter fortsetzen, würden die Reformkosten deutlich sinken.