KZ Auschwitz SS-Wachmann zu fünf Jahren Haft verurteilt

Vor mehr als 70 Jahre war Reinhold Hanning SS-Wachmann in Auschwitz. Weil er damit zum Teil der Tötungsmaschine wurde, hat ihn das Landgericht Detmold nun der zehntausendfachen Mordbeihilfe für schuldig gesprochen.

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Fünf Jahre Haft: Der ehemalige SS-Wachmann Reinhold Hanning wird im Landgericht Detmold verurteilt. Quelle: dpa

Seine Vergangenheit als Auschwitz-Wachmann hätte Reinhold Hanning am liebsten unter Schweigen begraben. Doch sie hat ihn eingeholt. Mehr als 70 Jahre nach Kriegsende spricht ihn das Landgericht Detmold der Mordbeihilfe in 170 000 Fällen für schuldig, fünf Jahre Freiheitsstrafe lautet das Urteil.

Anders als in den vorangegangenen Prozesstagen, in denen er meist in sich versunken auf den Boden schaute, lauscht der greise Angeklagte im Rollstuhl den Worten der Vorsitzenden Richterin Anke Grudda an diesem Freitag sichtlich aufmerksam. Auch noch am Ende der einstündigen Urteilsbegründung bleibt der 94-Jährige gefasst.

Immer wieder spricht die Richterin den alten Mann direkt an: „Mit Ihrer Wachtätigkeit haben Sie für einen reibungslosen Ablauf der Tötungsmaschinerie gesorgt“, sagt Grudda. Er sei Rädchen in der industriellen Vernichtung gewesen, „Rückgrat der Wachmannschaft“, die jeden Gedanken an Flucht und Widerstand im Keim erstickte.

Er habe den Tod in den Gaskammern, die Erschießungen, das Verhungern lassen und die Misshandlungen der Häftlinge zumindest billigend in Kauf genommen. Als SS-Mann mit Befehlsgewalt sei er an den Verbrechen beteiligt gewesen, nicht bloßer Mitwisser. Während seiner Zeit in Auschwitz sei Hanning mehrfach befördert worden. Das zeige, dass er sich wohl als „willfähriger und effizienter Gefolgsmann bei der Tötungsarbeit“ bewährt habe.

Die Erwartungen an das Urteil waren von Beginn an hoch gewesen, an diesem Tag erfüllen sie sich für die meisten: „Das ein deutsches Gericht seine Schuld anerkennt ist für mich das Ende eines Kapitels, ein wichtiger Schritt für Gerechtigkeit“, sagt William Glied, Jude aus Toronto. Als kleiner Junge entkam er dem KZ nur knapp.

Nebenklägeranwälte nennen das Urteil eine Korrektur jahrzehntelangen Justizversagens. „Endlich wird eine historische Selbstverständlichkeit, nämlich die Mitschuld der Wachleute, auch als solche anerkannt“, sagt Nebenkläger-Anwalt Cornelius Nestler. Staatsanwalt Andreas Brendel spricht von einem „Meilenstein bei der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit“.

Historisch sind Prozess und Urteil auch deshalb, weil in Detmold zahlreiche hochbetagte Überlebende und Nebenkläger die vielleicht letzte Möglichkeit wahrnehmen konnten, vor einem deutschen Gericht Gehör zu finden: „Spät, sehr spät, aber gerade noch rechtzeitig, bevor die lebenden Erinnerungen in überlieferte Erinnerungen übergehen“, wie Richterin Grudda sagt.

Elf Zeitzeugen hatten mit ihren persönlichen Überlebenden-Geschichten dem Horror von Auschwitz Gesicht und Stimme gegeben. Sie schilderten Gewalt und Willkür der SS-Leute. Sie erzählten von der Todesangst, bei jeder Selektion, wenn die Arbeitsfähigen überleben durften und die Schwachen für die Gaskammer ausgewählt wurden. Sie beschrieben ihren Hunger und ihre Verzweiflung, wenn sie von ihren Eltern und Geschwistern getrennt wurden.

Dafür gebe es keine angemessene Strafe, räumt Grudda ein. Dennoch muss sie sich auf ein Strafmaß festlegen, auch wenn niemand wissen kann, ob Hanning gesund genug sein wird, eine Haft anzutreten, wenn das Urteil irgendwann rechtskräftig wird. Das Gesetz hätte ein Strafmaß von drei bis zu 15 Jahren erlaubt. „Wir können und wir dürfen ihn nicht symbolisch für alle Taten des Holocaust zur Rechenschaft ziehen.“ Hanning habe sich entschuldigt, sei geständig, das Verfahren habe ihm zugesetzt, ordnet sie ein.

Eines jedoch muss sich der jetzt Verurteilte vorhalten lassen: „Er hätte reden sollen, so wie wir es tun, über das was in Auschwitz geschehen ist. Diese Chance hat er vertan“, sagt Leon Schwarzbaum. Der 95-Jährige hat im KZ seine Familie verloren, kam dort fast selbst um.

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