Ladenschluss Konterrevolution im Supermarkt

Samstags nur bis sechs: Der Glaubenskampf um gesetzlich geregelte Einkaufszeiten flammt wieder auf. Politiker und Gewerkschafter wollen Nordrhein-Westfalens liberale Regelung zurückdrehen. Die Handelskonzerne sind erbost.

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Die Geschichte des Ladenschlussgesetzes
C&A-Gebäude auf der Berliner Königsstraße 1911 Quelle: C&A
Das Berliner "Kaufhaus des Westens" in der Weimarer Republik Quelle: AP
Düsseldorfer Einkaufsstraße Quelle: C&A
Die Düsseldorfer Filiale von Peek & Cloppenburg Ende der 1940er Jahre. Quelle: Peek&Cloppenburg
Schaufenster von Peek & Cloppenburg in den 1950ern Quelle: Peek&Cloppenburg
Öffnungszeiten Quelle: dpa
Einkaufsstra0e 1956

Köln, abends um halb elf. An zwei Kassen ziehen Mitarbeiter des Rewe-Supermarktes am Zülpicher Platz Lebensmittel über die Registrierkassen. Das Piepen mischt sich mit Robbie Williams, der über die Lautsprecher „Eternity“ schnulzt. 15 Kunden schlendern durch den Laden. Ein älteres Paar verstaut seine Einkäufe in zwei großen Tüten. Eine Kundin versorgt sich mit Bananen, ein junger Mann mit Tiefkühlpizza – ganz ohne Stress. Noch anderthalb Stunden hat die Rewe-City-Filiale im Universitätsviertel geöffnet.

Doch mit dem Shoppen bis Mitternacht könnte bald Schluss sein – in Köln und ganz Nordrhein-Westfalen. Führende Politiker der rot-grünen Koalition wollen das 2006 liberalisierte Gesetz über die Ladenöffnungszeiten zurückdrehen. Nicht mehr die Nachfrage soll bestimmen, wann Supermärkte Feierabend machen. Sondern die Politik.

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Es ist eine alte Schlacht, die neu geschlagen wird. Der Ladenschluss war eines der großen Liberalisierungsthemen der Republik. Es ging nicht bloß um ein Stück Alltagskultur, sondern um ein Symbol der Wirtschaftsordnung. Nach über 20 Jahren Debatte machte die Föderalismusreform 2006 den Ladenschluss zur Ländersache. Seitdem ist er – wie vor 1956 – nicht mehr bundeseinheitlich. Sieben Bundesländer reglementieren die Öffnungszeiten weiterhin, Bayern und das Saarland am restriktivsten (siehe Karte). Neun Länder regeln nur noch die Ladenöffnung an Sonn- und Feiertagen. An den sechs Werktagen können die Händler dort selbst entscheiden, wann es sich rentiert, von der uneingeschränkten Freiheit Gebrauch zu machen. So ist das seit 2006 auch in NRW.

Wie sich die Ladenschluss-Freigabe auswirkte, überprüfte das NRW-Wirtschaftsministerium in einem 2011 vorgelegten Bericht. Die Lage ist eher unspektakulär:

  • Landesweit öffneten 2011 gerade einmal 60 Geschäfte regelmäßig bis 24 Uhr.
  • Andere Händler nutzen ihre Freiheit punktuell: In Einkaufszentren wie am Limbecker Platz in Essen etwa gibt es einmal im Monat ein Mitternachtsshopping.
  • Kein Geschäft hat häufiger als an vier Sonntagen im Jahr offen. Allerdings lässt sich der Sonntagsverkauf auf einzelne Stadtbezirke verteilen. In Köln etwa war 2010 an 24 Sonntagen in irgendeinem Stadtteil das Einkaufen möglich.

Auf Gewerkschaftslinie

Das stört nicht nur die Kirchen. Wegen der „inflationären Zunahme verkaufsoffener Sonntage“ fordert der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), die Sonntags-Regelung solle sich künftig auf ganze Städte beziehen, damit der Schutz der Sonn- und Feiertage gewährleistet werde. Aus diesem eher speziellen Problem hat sich nun eine Debatte entwickelt, die auch die Shopping-Freiheit an Werktagen infrage stellt. Auch diese Ladenöffnungszeiten „müssen dringend angepackt werden“, fordern die Gewerkschaften. Der nordrhein-westfälische DGB-Vorsitzende Andreas Meyer-Lauber will die Ladenöffnung von Montag bis Freitag auf 6 bis 20 Uhr und am Samstag von 6 bis 18 Uhr beschränken. Damit wäre in NRW früher Schluss als in den bisher restriktivsten Ländern – zumal die an der Regierung beteiligte FDP in Bayern gerade eine Liberalisierung versucht.

Daniela Schneckenburger, die wirtschaftspolitische Sprecherin der NRW-Grünen im Landtag, ist auf Gewerkschaftslinie. Die Linke, auf deren Stimmen die rot-grüne NRW-Minderheitsregierung bisweilen angewiesen ist, will samstags sogar eine 16-Uhr-Grenze diktieren. SPD-Arbeitsminister Guntram Schneider kann sich eine Begrenzung auf 22 Uhr an Werktagen vorstellen. Schneider war bis 2009 Vorsitzender des DGB in Nordrhein-Westfalen – und von Beginn an Gegner der Liberalisierung. Während dem wirtschaftsnahen Flügel der SPD leichte Veränderungen am Sonntag reichen, wollen die Gewerkschafter in der Partei das Thema grundsätzlich angehen. Und dieser Flügel hat Gewicht: In der 67-köpfigen SPD-Fraktion gibt es nur 14 Abgeordnete, die nicht Mitglied einer Gewerkschaft sind.

"Wir wollen selbst entscheiden können, wie wir unsere Ressourcen einsetzen."

Grafik: Wie das Shoppen in Deutschland reguliert ist

Wie weit die Einkaufsuhr in NRW wirklich zurückgedreht wird, ist offen. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hält sich bislang bei dem Thema zurück. Am vergangenen Mittwoch legten Vertreter von Handel, Gewerkschaften, Kirchen und anderen Interessengruppen in einer Expertenanhörung im Landtag ihre Positionen dar. In den nächsten Monaten wird an einem Gesetzentwurf gearbeitet. Die Grünen wollen mit einer Online-Umfrage die Wähler in die Debatte einbeziehen.

Verdattert rüsten sich Einzelhandelsunternehmer gegen die Konterrevolution im Supermarkt. Viele der Branchen-Schwergewichte haben ihre Zentralen in NRW. Lovro Mandac etwa, Chef des Warenhauskonzerns Kaufhof in Köln, warnt vor einem „herben Rückschlag für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen“. Werde „aus dem Ladenöffnungsgesetz wieder ein Ladenschlussgesetz“, wäre das eine „unzumutbare Gängelung der Konsumenten“ und angesichts veränderter Lebens- und Konsumgewohnheiten „völlig widersinnig“. Henning Kreke, Vorstandschef der Douglas-Holding aus Hagen, plädiert „ausdrücklich dafür, dass das bestehende Gesetz nicht geändert wird. Wir wollen selbst entscheiden können, wie wir unsere Ressourcen einsetzen.“

Rewe am Stärksten betroffen

Die Kölner Rewe-Gruppe hält sich mit offener Kritik zurück, ist aber der Hauptbetroffene. Die meist selbstständigen Rewe-Händler nutzen die Maximal-Öffnungszeiten so eifrig wie niemand sonst. Von 384 Rewe-Märkten in NRW haben 57 bis 24 Uhr auf. Insgesamt erwirtschaftet die Rewe-Gruppe von 20 bis 24 Uhr zwölf Prozent ihres NRW-Gesamtumsatzes. Allein der Rewe-Markt am Zülpicher Platz in Köln zählte in einer eher ruhigen Woche im Januar zwischen 20 und 24 Uhr 1260 Kunden, berichtet Inhaber Marcel Rahmati.

Insgesamt, konstatiert der Handelsverband NRW, haben die verlängerten Öffnungszeiten allerdings „nicht messbar zu Umsatzsteigerungen geführt“. Und laut Gewerkschaft setzt die Freiheit beim Ladenschluss Klein- und Mittelbetriebe zusätzlich unter Konkurrenzdruck. Liberalisierung heiße, „die Großen fressen die Kleinen“, warnt Ulrich Dalibor, Bundesfachgruppenleiter Einzelhandel beim Verdi-Bundesvorstand. Empirisch belegbar ist das nicht. Laut Evaluierungsbericht haben sich die neuen Öffnungszeiten nicht auf die Einzelhandelsstrukturen ausgewirkt.

Widersprüchliche Zahlen

Bei einer Einschränkung der Ladenöffnungszeiten müssen mehrere Rewe-Mitarbeiter laut dem Unternehmen damit rechnen, ihren Job zu verlieren. Quelle: dpa

Besonders umstritten bleibt die Frage nach den Arbeitsplätzen. Hier widersprechen sich die Expertisen. Laut Evaluierungsbericht des NRW-Wirtschaftsministeriums sind von 2003 bis 2011 im NRW-Handel 15 000 Vollzeitstellen abgebaut und gleichzeitig 15 000 Teilzeitstellen geschaffen worden. Zahlen der Bundesagentur für Arbeit, die nur den engeren Zeitraum seit 2007 erfassen, legen jedoch nahe, dass längere Ladenöffnung durchaus mehr Jobs bedeutet. Danach sind insbesondere im Lebensmittelhandel neue Teil- und Vollzeitstellen entstanden. Seit Inkrafttreten des neuen Ladenöffnungsgesetzes stieg die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisse im NRW-Handel um gut 13 000, die der geringfügig Beschäftigten um 8000.

NRW ist nur die erste Bastion

Im Umkehrschluss heißt das, reduzierte Öffnungszeiten könnten Jobs bedrohen. Im Rewe-Markt am Zülpicher Platz etwa arbeiten fünf Beschäftigte zwischen 22 und 24 Uhr. Sie füllen Regale auf, wischen den Boden, kassieren. Wenn in Zukunft um 20 Uhr Schluss wäre, würden wohl sechs bis acht von insgesamt 64 Mitarbeitern ihren Job verlieren, sagt Inhaber Rahmati. Die Debatte dürfte daher in den kommenden Monaten noch hitziger werden. Kaufhof-Chef Mandac lehnt nicht nur eine Beschränkung der Ladenöffnungszeiten an Werktagen „strikt ab“, sondern bläst zum Gegenangriff: „Langfristig ist auch eine breite Debatte über die Lockerung des Verkaufsverbots an Sonntagen sinnvoll.“ Dies sei der Wunsch vieler Verbraucher.

Für die Gewerkschaften hingegen ist NRW nur die erste Bastion, die sie zurückerobern wollen. Verdi-Funktionär Dalibor: „Die Debatte über kürzere Ladenöffnungszeiten in NRW wird eine Signalwirkung für andere Bundesländer haben.“

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