Länderanalyse Niedersachsen – flaches Land, hoher Schuldenberg

Das flächenmäßig zweitgrößte deutsche Bundesland wählt am 20. Januar ein neues Parlament. Das Votum hat Signalwirkung für Berlin. Doch die Bürger interessiert einzig, wie es mit Niedersachsen weitergeht – schließlich steigen die Schulden sekündlich und Hoffnungsträger wie der Jade-Weser-Port drohen zum Flop zu werden.

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Der Tiefwasserhafen Jade-Weser-Port in Wilhelmshaven droht zum Flop zu werden. Doch vor den Landtagswahlen in Niedersachsen ist in der Politik kein Platz für schlechte Nachrichten. Quelle: dapd

Am Jade-Weser-Port herrscht Ebbe. Tideunabhängig können auch größte Containerschiffe den neuen Tiefwasserhafen an der Nordseeküste anlaufen. Doch die Reedereien meiden nahezu geschlossen das Milliardenprojekt. Die vier Containerbrücken, die 80 Meter hoch bis in die Nebelwolken hineinragen, stehen still. Statt Fracht abzuladen und auf die Güterzüge Richtung Sande zu transportieren, spielen die Kranführer in der Kantine Skat.

Keine zehn Kilometer vom Jade-Weser-Port entfernt, in der Stadthalle Wilhelmshaven, preist der niedersächsische Ministerpräsident David McAllister nichtsdestotrotz den Tiefwasserhafen. „Wir haben neben Bremerhaven und Hamburg ein drittes Tor zur Welt geschaffen“, ruft der CDU-Politiker. Niedersachsen und Deutschland haben bewiesen, dass man große Infrastrukturprojekte umsetzen kann – pünktlich und im Kostenrahmen. „Das unterscheidet uns von anderen!“ Es ist Wahlkampf in Niedersachsen, für schlechte Nachrichten ist kein Platz. Am 20. Januar steht die Landtagswahl an. Sie hat Signalwirkung für den Bund.

Wissenswertes über Niedersachsen

Schaffen nur CDU, SPD und Grüne – wie derzeit die Umfragen vorhersagen – den Einzug in den Landtag, verliert die Union eine weitere Staatskanzlei an die politischen Gegner. Die CDU/ CSU würde dann nur noch in drei westdeutschen Bundesländern (Bayern, Saarland, Hessen) den Landeschef stellen, eine Mehrheit im Bundesrat geriete endgültig aus dem Blickfeld. SPD und Grüne würden neue Hoffnung gewinnen, auch bei den Bundestagswahlen zu triumphieren, die FDP bekäme wohl einen neuen Vorsitzenden.

Wie aber ist die Lage in Niedersachsen so kurz vor der Wahl? Gehört das flächenmäßig zweitgrößte deutsche Flächenland zu den Zugpferden – oder ist das Wappentier längt kein Symbol mehr für den Zustand zwischen Hannover und Papenburg, zwischen Ostfriesland und Harz?

Die Spitzenkandidaten der Wahl

Silke Heider* ist hin- und hergerissen. Die Wilhelmshavenerin ist derzeit arbeitslos, obwohl sie seit der Eröffnung des Jade-Weser-Ports wieder in Lohn und Brot stehen sollte. Im vergangenen Jahr hat Heider auf Anraten der örtlichen Arbeitsagentur eine Umschulung zur Hafenkranführerin gemacht. „Dank des Jade-Weser-Portes hatte ich wieder eine Perspektive“, sagt sie. Doch ihre Anstellung wurde immer wieder verschoben, da die bereits engagierten Kranführer nicht annähernd ausgelastet sind. Zum 1. Februar soll sie nun anfangen. Sie hofft, dass es so kommt. Glauben, tut sie es nicht.

Arbeitslosenquote überdurchschnittlich hoch

In Niedersachsen sind überdurchschnittlich viele Menschen arbeitslos. Politik und Bürger hoffen, dass die Energiewende neue Jobs im Norden schafft. Quelle: dpa

6,4 Prozent der Menschen im arbeitsfähigen Alter sind derzeit in Niedersachsen ohne Job. Das sind 0,6 Prozentpunkte mehr als im Durchschnitt der elf westdeutschen Bundesländer. In Wilhelmshaven liegt die Arbeitslosenquote bei 12,0 Prozent. Gerade bei den Jüngeren gilt: Wer kann, zieht weg. Mehr als drei Viertel der Wilhelmshavener, die um die Jahrtausendwende herum ihr Abitur in der Jadestadt gemacht haben, sind längt in einer Stadt, oft in einem anderen Bundesland, wohnhaft geworden.

„Niedersachsen hatte es in den letzten Jahren nicht immer leicht. Der Strukturwandel dauert an, aber es gibt positive Signale“, sagt Landeschef McAllister. So sei das Land ein Gewinner der Bundeswehrreform. Auch von der Energiewende könne der Flächenstaat profitieren. „Wir sind das führende Land der Erneuerbaren Energien. Niedersachsen handelt, während die anderen Länder zaudern.“

Die größten Anlagenbauer
NordexNach zwei verlustreichen Jahren und vielen Einsparungen lief es 2013 für Nordex wieder besser. Der Windturbinenbauer kehrte in die Gewinnzone zurück. In der Vergangenheit trennte sich Nordex unter anderem verlustreichen Produktionsstätten in den USA und China und konzentrierte sich ganz auf den Bau von Onshore-Anlagen. Mit der Strategie konnte das Unternehmen in Deutschland Marktanteile gewinnen. 2012 kam Nordex auf 3,5 Prozent, 2013 waren es im On- und Offshore-Bereich zusammen bereits sieben Prozent. Auch die Aussichten sind gut: Für 2014 rechnet der Vorstand mit neue Aufträge im Umfang von 1,6 Milliarden Euro. Quelle: dpa
Siemens WindenergiesparteSiemens ist Weltmarktführer bei Offshore-Windrädern und dominiert auch in Deutschland diesen Bereich. Hierzulande kommt das Unternehmen in dem Segment auf 52,1 Prozent Marktanteil. Im On- und Offshore-Bereichen zusammen hatte Siemens Wind Power 2013 einen Anteil von 9,8 Prozent und liegt damit auf Platz vier. Nach dem Verkauf der gefloppten Solarsparte will sich Siemens künftig noch mehr auf die Energie aus Wind und Wasser zu konzentrieren. Das Geschäft lief zuletzt insbesondere im Ausland gut. Im Dezember 2013 erhielt das Unternehmen mehrere Großaufträge in den USA. In Deutschland gibt es aber auch Probleme: Bei der Anbindung von vier Offshore-Windparks in der Nordsee liegt Siemens dem Zeitplan um mehr als ein Jahr hinterher. Die Verzögerungen sollen Siemens bereits mehr als 600 Millionen Euro gekostet haben. Quelle: dpa
SenvionDas Hamburger Unternehmen Senvion (ehemals Repower ) ist eine Tochter des indischen Windkraftkonzerns Suzlon. Wie Nordex ist es auch dem Hamburger Unternehmen gelungen, Marktanteile zu gewinnen. 2013 installierte Senvion Anlagen mit rund 484 Megawatt und nun einen Markanteil von insgesamt 13,5 Prozent. Im Onshore-Bereich sind es sogar 16,2 Prozent. Das sind drei Prozent mehr als im Jahr zuvor. In Deutschland hat das Unternehmen nach eigenen Angaben nun eine Gesamtleistung von 2,8 Gigawatt installiert. Im März 2014 hat Senvion die Schwelle von 10 Gigawatt weltweit installierter Leistung überschritten. In der Vergangenheit hatte das Unternehmen allerdings auch mit deutlichen Umsatzrückgängen zu kämpfen. Quelle: dpa
VestasDer weltgrößte Windturbinenhersteller Vestas hatte in Deutschland 2013 einen Marktanteil von 16,7 Prozent (Onshore 20 Prozent). Damit hat der Anlagenbauer zwar rund sechs Prozent an die kleineren Mitbewerber verloren, liegt aber weiterhin klar auf Platz zwei. Allein 2013 stellte das dänische Unternehmen Anlagen mit einer Leistung von 598,9 Megawatt in Deutschland auf. Wirtschaftlich ist Vestas offenbar auf einem guten Weg: Nach massiven Sparmaßnahmen in den Vorjahren hat das Unternehmen im letzten Quartal 2013 erstmals seit Mitte 2011 wieder einen Gewinn erwirtschaftet. Der Jahresverlust lag bei 82 Millionen Euro, nach 963 Millionen Euro 2012. Quelle: ZB
EnerconDas vom Windpionier Aloys Wobben gegründete Unternehmen ist unangefochtener Marktführer in Deutschland bei Anlagen auf dem Festland (49,6 Prozent Marktanteil). Onshore-Anlagen mit einer Leistung von 1.484,6 Megawatt hat Enercon allein 2013 aufgestellt. Auf dem Gesamtmarkt musste der Windanlagenbauer allerdings Verluste hinnehmen. Lag der Markanteil 2012 bei 54,3 Prozent, betrug er zuletzt noch bei 41,4 Prozent. Weltweit hat das Unternehmen mittlerweile mehr als 20.000 Windenergieanlagen mit einer Gesamtleistung von mehr als 28 Gigawatt installiert. Laut den Wirtschaftsforscher von Globaldata liegt Enercon im globalen Vergleich damit auf Platz. Geschlagen werden die Ostfriesen von der dänische Konkurrenz Vestas. Quelle: dpa

In der Tat findet zwischen Emden und Cuxhaven eine zweite Industrialisierungswelle statt – an Land und auf Wasser. Seit 2009 ist mit dem Offshore-Windpark Borkum West vor der Nordseeküste der erste Komplex dieser Art in Deutschland in Betrieb, weitere sechs Windparks in der Nordsee sind aktuell in Bau. In Aurich, Ostfriesland, beschäftigt Enercon – der größte deutsche Hersteller von Windkraftanlagen – mehr als 3000 Menschen. Dank dieser Entwicklung und der in Niedersachsen sehr präsenten Autoindustrie wuchs das Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2011 um 4,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Nur Berlin wuchs im gleichen Zeitraum noch kräftiger (4,5 Prozent).

Niedersachsen hinkt hinterher

Wahr ist aber auch, dass Niedersachsen in punkto Wirtschaftskraft den anderen Bundesländern noch immer hinterhinkt. Das BIP je Einwohner beläuft sich auf 28.306 Euro. Im Bundesschnitt sind es 31.440 Euro. Niedersachsen liegt hier nur auf Rang 10 - obwohl das Land für die Stärkung seiner Infrastruktur und Wirtschaftskraft seit 1990 aus dem Länderfinanzausgleich rund zehn Milliarden Euro bekommen hat.

Streitthema Bildung - das wollen Niedersachsens Parteien

Auch bei der Ausbildung hapert es. Zwar erklärt die Landesregierung, dass es heute „30 mal mehr Ganztagsschulen gibt“ als zu der Zeit, an der die SPD noch an der Macht war. Dennoch sind die Klassen überdurchschnittlich groß – und der Anteil der Schüler, die Abitur machen, liegt unter dem Bundesdurchschnitt. Das zeigen die Daten des Bundesländerankings von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft und der WirtschaftsWoche.

Größte Herausforderung des Landes bleibt aber die Bekämpfung des hohen Schuldenberges.  

"Schuldenorgie" in Niedersachsen

Die reichsten Bundesländer Deutschlands
Am wenigsten Geld zum Ausgeben haben die 2.313.280 Einwohner Sachsen-Anhalts (auf dem Bild ist Magdeburgs Altstadt zu sehen). Der Kaufkraft-Index liegt bei 82,3 Prozent – oder bei 16.970 Euro. Der deutschlandweite Durchschnitt pro Einwohner liegt bei 20.621 Euro. Damit landet das Bundesland auf Platz 16.Die Angaben beruhen auf einer Untersuchung der GfK GeoMarketing GmbH. Quelle: dpa
Platz 15 für Mecklenburg-Vorpommern. Dort liegt der Kaufkraft-Index bei 82,6 Prozent. Damit gehört das Land auch eher zu den Schlusslichtern. (Bild: die Bootsstege im Müritz-Hafen von Röbel). Quelle: dpa
Auch die Sachsen haben 2013 weniger Geld für Konsum übrig, als der deutschlandweite Schnitt – nämlich 17.179 Euro. (Die Kaufkraft liegt bei 83,3 Prozent) Platz 14 für das Bundesland im Osten. (Bild: Semperoper in Dresden.) Quelle: dpa
Platz 13 für Thüringen. Die 2,2 Millionen Einwohner haben 2013 im Schnitt 17.221 Euro für Konsum zur Verfügung. Auch damit liegt das Land noch weit unter dem Schnitt (Kaufkraftindex: 83,5 Prozent) (Foto: Besucher des Bratwurstmuseums in Holzhausen.) Quelle: dpa
Mit einem Kaufkraftindex von 88,5 und 18.245 Euro Kaufkraft pro Einwohner geht Platz 12 an Brandenburg. (Foto: Die Stadtbrücke, die Frankfurt (Oder) mit dem polnischen Slubice verbindet.) Quelle: dpa
Besser stehen die Berliner da. Platz 11 geht an das Land mit den 3,5 Millionen Einwohnern. Dort haben die Menschen 18.757 Euro pro Einwohner für Konsumausgaben übrig – damit liegt der Index bei 91. Damit geht das Ranking mit einem westdeutschen Land weiter… (Das Foto zeigt das Holocaust-Denkmal in Berlin.) Quelle: dapd
…und zwar mit dem Saarland. Mit 19.251 Euro pro Einwohner und einer Kaufkraft von 93,4 Prozent liegt das Land immer noch unter dem Schnitt: Platz 10. (Foto: Die St. Johann-Basilika in der Altstadt von Saarbrücken.) Quelle: dpa

Sekündlich steigen die Verbindlichkeiten des Landes um 20 Euro. Aktuell beläuft sich der Schuldenberg auf 59,47 Milliarden Euro. Das sind 7500 Euro pro Kopf. „Der Kampf gegen die Schulden ist eine Zukunftsfrage“, sagt David McAllister, der ab 2017 keine neuen Verbindlichkeiten mehr anhäufen will. „Es geht darum, wie viel Geld wir auch morgen und übermorgen in Bildung und Forschung stecken können.“ Im Vergleich zur Vorgänger-Regierung habe man die Aufnahme neuer Schulden drastisch zurückgefahren.

„Das stimmt“, bestätigt Bernhard Zentgraf, Diplom-Volkswirt und Vorstandsvorsitzender des Bunds der Steuerzahler Niedersachsen und Bremen e. V. „Dass weniger neue Schulden aufgenommen werden, liegt aber nicht daran, dass das Land so gut spart, sondern weil sich die Einnahmen so gut entwickelt haben. Niedersachsen ist gut durch die Krise gekommen. Die Landesregierung hatte im vergangenen Jahr 1,7 bis 1,8 Milliarden Euro mehr zur Verfügung als noch 2011.“

Niedersächsische Polit-Prominenz

Bleiben die Einnahmen ähnlich hoch, müsse es schon 2015 möglich sein, einen ausgeglichenen Haushalt zu präsentieren, findet Zentgraf. Umso bedenklicher, dass sich Rot-Grün das wenig ambitionierte Ziel gesetzt hat, erst 2020 keine neuen Schulden mehr aufnehmen zu wollen.

Deutschlands Schuldenkönige

Die Sozialdemokraten festigen so ihren wenig schmeichelhaften Ruf als Schuldenkönige. Schließlich wuchs um die Jahrtausendwende – unter der alleinregierenden SPD des damaligen Ministerpräsidenten und heuten SPD-Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel – die Verschuldung Niedersachsens um sagenhafte 93 Euro pro Sekunde. „Damals gingen die Einnahmen aufgrund der rot-grünen Reform der Körperschaftssteuer massiv zurück. Das kann man der damaligen Landesregierung nicht vorwerfen. Wohl aber, dass die Ausgaben nicht reduziert wurden. Hier wurde die Lücke einfach durch die Aufnahme weiterer Schulden geschlossen“, erklärt Bernhard Zentgraf vom Bund der Steuerzahler.

Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht genüsslich von einer „Schuldenorgie“ unter Sigmar Gabriel und hofft, dass ihre CDU im Wahlkampf 2013 mit einem Spar-Gelöbnis punkten kann. Dass will auch der Koalitionspartner der Union in Niedersachsen und im Bund, die FDP. Die Liberalen konzentrieren sich im Norden fast ausschließlich auf das Haushalts-Thema: Mit dem Wahlkampf-Slogan „Schluss mit Schulden“ will die Partei verhindern, dass es bald heißt: Schluss mit der FDP.

*Name geändert

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