Landeschefin wirft hin Streit in der Hamburger FDP eskaliert

Die Hamburger FDP steht ohne Führung da. Nach langen, internen Streitereien wirft Landeschefin Sylvia Canel das Handtuch. Christian Lindner schweigt zu dem Vorfall, Wolfgang Kubicki reagiert mit Spott.

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Lieferten sich heftige Scharmützel – auch öffentlich in sozialen Medien: Die jetzt zurückgetretene Landesvorsitzende der FDP, Sylvia Canel (links), und die FDP-Fraktionsvorsitzende in der Hamburgischen Bürgerschaft, Katja Suding. Quelle: dpa

Hamburg/Berlin Die kalte Dusche für Christian Lindner gibt's bei Facebook. Am Montagabend erfährt der FDP-Chef, dass der Hamburger Landesverband kopflos dasteht. Sylvia Canel, offensichtlich schwer frustriert und zermürbt von einer monatelangen Fehde mit der hanseatischen Vorzeige-Liberalen Katja Suding, schmeißt hin.

Schlimmer noch: Sie tritt aus der FDP aus, eventuell gründet sie mit ein paar Mitstreitern jetzt eine neue Partei. Das wäre die erste Abspaltung nach dem historischen Scheitern der Liberalen bei der Bundestagswahl im vergangenen September. Direkt nach dem Wahldesaster in Sachsen sind das wieder düstere Nachrichten für Lindner, der die FDP 2017 zurück ins Berliner Parlament bringen will.

Ausgerechnet Hamburg: Die Wahl am 15. Februar 2015 in der Hansestadt mit der stolzen, traditionell liberal gesinnten Bürgerschaft haben Lindner und sein Vize Wolfgang Kubicki – nach drohenden weiteren Niederlagen in Thüringen und Brandenburg – zur Riesenchance ausgerufen, um den freien Fall zu stoppen.

Ein Erfolg, vielleicht sogar ein sozialliberales Bündnis mit SPD-Bürgermeister Olaf Scholz, das würde die totgesagte FDP mit einem Schlag als Machtfaktor zurück ins Spiel bringen.

Nun zerlegt sich der Hamburger Landesverband auf offener Bühne, ein knappes halbes Jahr vor der Wahl. Garniert mit scharfen Attacken Canels gegen Lindner. Es gebe einen „falschen Korpsgeist in der FDP“, mit dem jede Diskussion erstickt werde. „Ich habe das Gefühl, dass man innerhalb der FDP nicht mehr frei sagen kann, was man denkt.“

Besonders in Rage hat Canel ein Vorschlag Lindners gebracht, der in seiner Heimat Nordrhein-Westfalen Hartz-IV-Empfängern das Sozialticket für Bus und Bahn streichen würde, um Millionen für den Straßenbau locker zu machen. Man könnte meinen, Hartz-IV-Empfänger seien zum Feindbild der FDP geworden „wie einst die Porschefahrer für die Grünen“, kritisiert sie via Facebook.

Seltsam aber ist, dass sich Canel plötzlich als überzeugte Sozialliberale outet – und Lindner, der sich vehement für ein weltoffen-modernes FDP-Image einsetzt, soziale Kälte unterstellt. In ihrer Zeit als Bundestagsabgeordnete bis 2009 gesellte sich die heute 56-Jährige gerne zum „Euro-Rebellen“ Frank Schäffler, in der Fraktion galt sie als unberechenbar, ohne klaren Kompass.


Attraktive Fraktionschefin im Friesennerz

Der Paukenschlag in Hamburg zeigt aber, dass bei ausbleibendem Erfolg Lindner jederzeit mit Flügelkämpfen und Richtungsdebatten rechnen muss.

Unangenehm für ihn sind die Kabale an der Elbe auch, weil er den Dauerkrach zur Chefsache gemacht hatte. An Pfingsten war Lindner auf Friedensmission in Hamburg. Der Clinch zwischen Suding, der attraktiven Fraktionschefin, die 2011 die FDP im gelben Friesennerz alleine in die Bürgerschaft brachte, und Landeschefin Canel drohte schon damals zu eskalieren.

Lindner erreichte zunächst eine Art Waffenstillstand. Suding wurde zur Spitzenkandidatin – und Canel wurden eigene Bürgerschaftsambitionen ausgeredet. Aber kurz darauf entpuppte sich Lindners parteiinterner Blauhelm-Einsatz als brüchig.

Der Zoff der Frontfrauen ging in sozialen Medien munter weiter. Suding, die Canel nun in dürren Worten dankt, dürfte nun auch den Landesvorsitz übernehmen. Im November gibt es einen Parteitag.

Von Lindner selbst ist am Dienstag nichts zu hören. In seinem Umfeld heißt es, bei Canel habe ein „gekränktes Ego“ eine große Rolle gespielt. Lieber ein Rücktritt jetzt als im Dezember oder Januar, kurz vor der Wahl. Canel antwortet auf den Vorwurf, der schwer angeschlagenen Bundes-FDP mit ihrem Austritt maximalen Schaden zuzufügen: „Es gibt keinen günstigen Zeitpunkt.“

Canel überlegt jetzt, ob sie zusammen mit anderen enttäuschten Hamburger FDP-Kommunalpolitikern Ende September eine neue, sozialliberal ausgerichtete Partei gründet. Ob die schon zur Bürgerschaftswahl antritt, sei offen. Einige rechtliche Hürden sind dafür zu nehmen.

Kommt es soweit, könnte das die FDP Stimmen kosten. Lindners wichtigster Mitstreiter beim Neuaufbau, Wolfgang Kubicki, hält Canel & Co. jedoch für keine Gefahr – und greift zum Spott: „Ich wünsche allen Beteiligten eine gute Reise.“

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