Landtagswahl Kommt es in Nordrhein-Westfalen zu Schwarz-Grün?

In Nordrhein-Westfalen könnten die Grünen künftig mit der CDU regieren. Doch inhaltlich haben beide Parteien kaum etwas gemeinsam.

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Grünen-Politiker in Quelle: AP

Sylvia Löhrmann ist dieser Tage eine höchst gefragte Gesprächspartnerin. Die Spitzenkandidatin der Grünen in Nordrhein-Westfalen soll die Partei zurück auf die Regierungsbank führen. Am liebsten mit, aber notfalls auch ohne die SPD. Nach Umfragen hätte Schwarz-Grün derzeit eine Mehrheit, aber auch Rot-Rot-Grün wäre denkbar. So sieht sich Löhrmann mit vielen Fragen konfrontiert: Rot-Grün? Schwarz-Grün? Am Ende vielleicht sogar mit den Linken? Da hilft es wenig, dass Löhrmann immer wieder betont, man sei keine Bindestrich-Partei, sondern kämpfe allein für grüne Politik.

Für die NRW-Grünen ist das Regieren wieder in greifbare Nähe gerückt. Sie profitieren von einer zunehmenden Unzufriedenheit mit der schwarz-gelben Bundespolitik, die sich unmittelbar auf Nordrhein-Westfalen überträgt. In den Wahlumfragen im Land verlieren die Liberalen massiv an Unterstützung, während die SPD sich verbessert. Ginge die Wahl im bevölkerungsreichsten Bundesland ein gutes halbes Jahr nach der Bundestagswahl für Schwarz-Gelb verloren, wäre das für Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Guido Westerwelle (FDP) ein verheerendes Ergebnis. Die Mehrheit im Bundesrat wäre dahin, zähe Gesetzesverhandlungen die Folge. Noch betont NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) die Nähe zum kleinen Koalitionspartner. Doch er könnte nach dem 9. Mai auf die Grünen angewiesen sein, will er weiterregieren und sich nicht in einer großen Koalition wiederfinden.

Hindernisse in der Energiepolitik

Allerdings dürften die Koalitionsverhandlungen für beide Parteien ein hartes Stück Arbeit sein. Besonders bei den zentralen und für das Land bedeutsamen Politikfeldern Energie, Verkehr sowie Bildung und Forschung hakt es gewaltig. Die Grünen wollen neben dem konsequenten Ausstieg aus der Atomenergie auch ein Ende der Kohleverstromung im Land. Die Christdemokraten setzen sich dagegen für den Bau neuer Kohlekraftwerke ein, ändern dafür gar das Landesgesetz. Ende 2009 wurde das Kohlekraftwerk Datteln zum politischen Zankapfel. Der Energieriese E.On baut seit 2007 das neue Werk, bis Anwohner klagten. Das Oberverwaltungsgericht Münster gab den Klägern recht und verhängte den vorläufigen Baustopp. Unter anderem sei der Neubau nicht mit dem Landesentwicklungsprogramm vereinbar, das das Land verpflichtet, bei der Stromerzeugung vorrangig regenerative und einheimische Energieträger einzusetzen. Im Fall Datteln wäre weder das eine noch das andere der Fall, da zum größten Teil Importkohle verstromt werden würde. Die Landesregierung strich daher kurzerhand diese Verpflichtung als nicht mehr zeitgemäß. Bis zum Sommer soll nun ein neues Landesentwicklungsprogramm verabschiedet werden, das die Fertigstellung ermöglichen und etwaigen weiteren Klagen der Kraftwerksgegner den Boden entziehen soll. „Am Ende steht dann ein Gesetz, das auch für die Wirtschaft mehr Planungssicherheit bringt“, sagt Oliver Wittke, Wirtschaftsexperte der CDU-Landtagsfraktion in Düsseldorf.

Für die Grünen ist das kaum hinzunehmen. „Hier werden klimaschutzpolitische Grundsätze über Bord geworfen, um das Kraftwerk in Datteln zu retten“, urteilt Sylvia Löhrmann. Laut Plan sollte das Werk bereits Anfang 2011 ans Netz gehen, das wird nicht einzuhalten sein, auch wenn E.On jetzt zumindest in Teilabschnitten weiterbauen darf. Ende November 2009 stellte E.On bei der Stadt Datteln einen Antrag auf einen neuen Bebauungsplan für zwei der fünf Bauabschnitte. Der wird aber voraussichtlich frühestens Ende 2010 vorliegen. Spätestens dann sollen auch politisch alle Hindernisse ausgeräumt sein. „Wir werden alles dransetzen, um Datteln zu realisieren“, kündigt Oliver Wittke an.

Auch die von der Landesregierung mitgetragene Laufzeitverlängerung der deutschen Atomkraftwerke sorgt bei den Grünen für Unmut. Sie werfen den Christdemokraten vor, durch die Verlängerung und den Bau neuer Kohlekraftwerke den konsequenten Ausbau der erneuerbaren Energien unnötig hinauszuzögern. Eine Kompromisslösung in der Energiepolitik ist schwer vorstellbar.

Die Bildungspolitik dürfte in möglichen Koalitionsverhandlungen ebenfalls zur unüberwindbaren Hürde werden. Die Grünen fordern ein „längeres gemeinsames Lernen bis zum Ende der Pflichtschulzeit“ im Rahmen einer Gemeinschaftsschule. Das dreigliedrige Schulsystem wäre damit passé. An dem aber will die CDU unbedingt festhalten.

Sonntagsfrage zur NRW-Landtagswahl vom 24. Januar

Für eine gemeinsame Regierung ist dies eine denkbar schlechte Basis. „Die CDU mauert sehr stark“, sagt die Grünen-Landtagsabgeordnete Sigrid Beer. „Unter diesen Umständen kann ich mir eine Koalition nicht vorstellen.“ Auch der CDU-Abgeordnete Wittke kann über die Kompromissbereitschaft der Grünen nur mutmaßen. „Menschlich geht das. Aber inhaltlich müssten sie uns schon noch sehr entgegenkommen.“

Genau hier beginnt für die Grünen das Dilemma. Eine Regierungsbeteiligung wäre wohl nur zu dem Preis zu bekommen, gewisse Teile der grünen Wählerschaft zu verlieren. Auch wenn die Grünen-Basis den neuen Pragmatismus mitträgt, viele Wähler fühlen sich ideologisch hintergangen. So zeigte jüngst eine Studie des Meinungsforschungsinstituts TNS Infratest, dass sich nicht mal jeder zehnte Grünen-Wähler ein schwarz-grünes Bündnis vorstellen könnte.

Blick nach Hamburg

Wie eine solche Koalition aussehen könnte, zeigt der Blick nach Hamburg. Hier regiert die erste schwarz-grüne Länderkoalition seit 2008. Doch Zauber und Reiz des Anfangs, als CDU-Bürgermeister Ole von Beust und seine grüne Stellvertreterin Christa Goetsch den Zusammenschluss als logische Konsequenz neu-bürgerlicher Großstadtwirklichkeit feierten, sind längst verflogen.

Zwar hören Hamburger Regierungsvertreter nicht auf, unablässig die vertrauensvolle und respektvolle Zusammenarbeit zu loben. Doch inhaltlich reißen Gräben auf. Gleich zu Amtsbeginn mussten die Grünen einsehen, den Bau eines Vattenfall-Kohlekraftwerks nicht verhindern zu können. Die umstrittene Elbvertiefung kommt ebenso. Zudem nagen Problemfälle wie die HSH Nordbank oder das immer teurere Prestigeprojekt Elbphilharmonie an den Nerven – und kosten Geld, das anderswo fehlt.

Nun droht auch das wichtigste Anliegen der Grünen zu scheitern: die Verlängerung der Grundschule zur sechsjährigen Primarschule. Nicht nur bürgerliche Eltern der Hansestadt laufen Sturm. Ein Bürgerentscheid droht – trotz emsiger Vermittlung des Hamburger Unternehmers Michael Otto zwischen Schulsenatorin Goetsch und der Bürgerinitiative. „Linker und ökologischer“ sei er geworden, hatte Ole von Beust zu Jahresbeginn bekannt und vehement für die wichtige Schulreform geworben. Die Wähler sind ihm und seiner Premieren-Koalition bislang nicht gefolgt.

So könnten auch in NRW die Grünen trotz schwacher FDP und eigener Stärke wieder den Kürzeren ziehen. Womöglich wäre die große Koalition für Rüttgers am Ende doch das kleinere Übel. „Da müsste die CDU sicher weniger Zugeständnisse machen“, sagt Sigrid Beer.

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