Verkehrte Welt: Nicht die oppositionelle Konkurrenz macht den Unions-Parteien Angst, sondern der Wunschpartner FDP. Während der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück zielstrebig auf seinem Linkskurs von Fettnapf zu Fettnapf tapst, zelebrieren die taumelnden Liberalen ihren Führungsstreit – und gefährden damit die Regierungsmacht der CDU in Hannover und Berlin. Die Abstimmung über den Landtag in Hannover am Sonntag stellt die Weichen für das Jahr 2013 und die Bundestagswahl am 22. September.
Scheitert die FDP an der Fünf-Prozent-Hürde, „könnte es schon ganz bald Neuwahlen geben“, fürchtet Präsidiumsmitglied Jörg-Uwe Hahn aus Hessen den Rausschmiss der unsicheren Kantonisten aus der Bundesregierung. Bei so viel Panik spendet selbst die sonst so FDP-skeptische CSU Trost. „Auf solche Gerüchte gebe ich nichts“, sagt Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner. „Dafür gibt es keinen Anlass, und das würden gerade bürgerliche Wähler auch zu Recht nicht akzeptieren.“ Die Koalition arbeite unbeirrt weiter.
Dafür verlangen die Bayern aber noch mehr Einsatz. „Für die großen Themen tariflicher Mindestlohn, Mütterrente und Wohnungsnot sollte die Koalition bis zum Sommer zumindest Grundlinien festlegen“, verlangt der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer. „Das sind wichtige Themen, die nicht in den Wahlkampf gezogen werden dürfen. Da müssen wir vorher Antworten geben.“ Auch bei der Energiepolitik will die CSU noch liefern. „Die Koalition sollte im März bei der Reform des EEG vorankommen, um den Anstieg der Strompreise zu begrenzen“, verlangt der Bayer eine Kürzung bei den erneuerbaren Energien. „Klar ist, dass die Förderung für die bisher schon montierten oder bestellten Anlagen Bestandsschutz behält. Aber maßvolle Veränderungen für künftige Anlagen werden auf Akzeptanz stoßen.“
Auf der anderen Seite des Parteienspektrums sorgen sich auch die Grünen um ihren Wunschpartner. Mit dem Absacken der SPD in den Umfragen schwindet auch die Machtoption der Ökopartei. Richtig gemocht haben die Grünen Steinbrück nie. Ökologisch und sozial habe er kaum Gespür, Themen wie Frauenpolitik seien ihm fremd. Aber er sei ein scharfer und schneller Analytiker, fasst ein Grüner zusammen, der den SPD-Vormann länger kennt.
Die Schwächen des SPD-Kandidaten bringen den Ökos wohl kurzfristig in Niedersachsen ein paar neue Sympathisanten. Bei der Bundestagswahl würden die SPD-Wähler aber eher zu Hause bleiben, ist die einhellige Meinung der Grünen-Bundestagsabgeordneten bei ihrer Klausur in Weimar. Dann reiche es nicht für einen Regierungswechsel in Berlin.
Die Spitzenkandidaten der Wahl
Als erster Ministerpräsident mit doppelter Staatsbürgerschaft liegt der niedersächsische CDU-Spitzenkandidat David McAllister in Umfragen konstant an der Spitze der Wählergunst. Der am 12. Januar 1971 als Sohn einer deutschen Lehrerin und eines schottischen Militärs in Berlin geborene Jurist wurde 2010 Regierungschef in Niedersachsen, als sein Vorgänger Christian Wulff Bundespräsident wurde. Der mit einer Anwältin verheiratete zweifache Vater mit dem charmanten Auftreten hat sich zunächst voll auf die Landespolitik konzentriert. Obwohl er als politischer Ziehsohn von Kanzlerin Angela Merkel gilt, hielt sich der CDU-Landesvorsitzende bisher weitgehend aus der Bundespolitik zurück. Umfragen sehen ihn bisher weit vorne - wegen der Schwäche des Koalitionspartners FDP droht ihm aber eine Wahlschlappe.
Der Sozialdemokrat Stephan Weil gilt als Hoffnungsträger der SPD. Er soll die Sozialdemokraten in Niedersachsen nach zehn Jahren Opposition wieder an die Macht führen. Der 54-Jährige gilt als Mann des Ausgleichs und lässt sich gern als „bürgernah, sachlich, pragmatisch“ porträtieren. Als langjähriger Oberbürgermeister von Hannover hat der in Hamburg geborene Jurist Kompetenz in der Lokalpolitik, als ehemaliger Anwalt, Richter und Staatsanwalt ist er auch in der Welt der Paragrafen zu Hause. Doch dem Hobbykicker mit der randlosen Brille fehlt es über die Stadtgrenzen hinaus noch an Popularität - er selbst ist trotz der Favoritenrolle einer rot-grünen Koalition in Umfragen noch eher unbekannt. Seine Kritiker halten dem verheirateten Vater eines Sohnes vor, zu blass und bieder zu wirken.
Auch wenn Stefan Birkner es nicht gerne hört: Die Geschwindigkeit, mit der seine Karriere in der FDP seit 2011 Fahrt aufgenommen hat, verdankt der 39-Jährige auch der Krise seiner Partei. Am 25. September 2011 wurde der gebürtige Schweizer als Nachfolger von Philipp Rösler Chef der Landes-FDP. Rösler hatte den promovierten Juristen nach dem enttäuschenden Abschneiden der FDP bei der Kommunalwahl 2011 in Niedersachsen selbst als Kandidaten vorgeschlagen. Seit Januar 2012 ist Birkner als Umweltminister Mitglied der Landesregierung. Zuvor hatte der zweifache Vater in dem FDP-geführten Haus vier Jahre lang als Staatssekretär gearbeitet. Die Erwartungen in der Bundespartei an Birkner sind hoch. Der ruhig und ausgeglichen wirkende Politiker ist FDP-Mitglied seit 1991.
Ähnlich wie die Linken treten die Grünen mit einer Doppel-Spitze an. Die gebürtige Lübeckerin Anja Piel (47) wie auch der in Dänemark geborene Göttinger Stefan Wenzel (50) kamen über den Atomprotest zu den Grünen. Während Piel über Zwischenlager-Proteste in Grohnde ihre politische Heimat fand, war es bei Wenzel ein Schock: „Mitglied geworden bin ich am 29. April 1986, drei Tage nach Tschernobyl. Da saßen wir frustriert in der Küche und haben uns überlegt: Was machen wir jetzt?“, berichtet er. Piel tritt im Wahlkampf eher emotional auf, Wenzel kompetent und redegewandt, mitunter aber auch als nüchterner Argumentierer. Wenzel, der über eine jahrelange Erfahrung im Landesparlament verfügt, gilt bei einem rot-grünen Wahlsieg als möglicher Umweltminister, Piel als Fraktionschefin.
Das Spitzenduo der Linkspartei verbindet eine Parallele: Sowohl Manfred Sohn (57) wie auch Ursula Weisser-Roelle (60) haben aus anderen Parteien zur Linken gefunden. Der eloquente Sohn hat dabei den beeindruckendsten Spagat hinter sich: Die politische Karriere des Schülerzeitungsgründers begann bei der FDP, bevor er fünf Jahre später zur Jugendorganisation der SPD wechselte. Der von der französischen Revolution inspirierte Sohn fand seine endgültige politische Heimat, als er sich kritisch mit dem Gedankengut von Karl Marx auseinandersetzte. Auch Weisser-Roelle war lange Jahre SPD-Mitglied und engagierte sich - auch als Betriebsrätin - in der Gewerkschaft. Sie hatte die SPD vor allem auch aus Protest gegen das Reformprogramm „Agenda 2010“ verlassen und trat der Linken bei.
Der vollbärtige Baskenmützenträger Meinhart Ramaswamy (59) ist als Spitzenkandidat der Piratenpartei der schillernde Paradiesvogel unter den antretenden Politikern bei der Landtagswahl. In Wien als Sohn eines indischen Vaters und einer aus Tschechien stammenden Mutter geboren sieht er sich als „Internationalist“. Er schwärmt von der Idee eines Grundeinkommens für alle. Nach dem Studium der Kultur- und Sozialwissenschaften arbeitete der Göttinger als Werbegrafiker, Geschäftsführer einer Waldorf-Schule, Leiter eines anthroposophischen Instituts und Geschäftsführer eines Stadtradios. Der verheiratete Vater von sieben erwachsenen Kindern ist seit 2009 Pirat. Der reisefreudige Theater-Fan setzt sich für freie Bildung und offene Demokratie ein.
„Wenn Schwarz-Gelb rückstandslos abgelöst werden soll durch eine Kombination aus Grün und Rot, dann kommt es auf die Grünen an, damit die Roten nicht auf falsche Gedanken kommen“, sagt Fraktionschefin Renate Künast. Etwas deutlicher wird Kerstin Andreae, die den SPD-Rabauken eigentlich schätzt: „Ich fand ihn den richtigen Kandidaten“, sagt die Wirtschaftsexpertin. Aber die Kommentare über preiswerte Weine oder Kanzlergehälter machten es schwer, glaubwürdig zu bleiben. „Das macht uns nicht glücklich.“
Anders als die meisten auf den prominenten Plätzen der Grünen will Fraktionsvize Andreae nun weg von der Festlegung nur auf Rot-Grün. „Wir werden jetzt einen eigenständigen Wahlkampf machen. Das heißt, wir kämpfen um Inhalte und stellen nicht vorrangig die Schnittmenge mit den Roten in den Vordergrund.“ Doch das ist ein heikler Kurs, der schon manchem grünen Wahlkämpfer geschadet hat. Vielen Alternativ-Wählern ist ein Schielen hin zur CDU immer noch ein Graus.