Landtagswahlen Kollektive Angst vor der Niedersachsen-Wahl

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Projekt Menschwerdung


Peer Steinbrück hat die Landtagswahl zum Test erkoren. Das könnte sich rächen. Quelle: dapd

Wenn es ganz schlimm kommt, dann könnte Peer Steinbrück immer noch vor die Tür treten und Wilhelmine tätscheln. Pferde sollen ja eine beruhigende Wirkung auf das Nervenkostüm haben. Die kleine Ponystute mit dem großen Namen grast im Streichelzoo neben dem Inselhotel Hermannswerder. Wilhelmine und Esel Fritz gehören zum Wohlfühl-Paket des Vier-Sterne-Hauses für gestresste Großstädter. Und gestresst könnten die Gäste tatsächlich sein, die sich für den 27. und 28. Januar eingemietet haben: Vor den Toren Berlins trifft sich die SPD-Spitze zur Klausur.

Die Tagungsräume mit Blick auf den Templiner See sind schon gebucht, und auch Steinbrück hat seine Einladung längst erhalten. Schließlich geht es um nichts weniger als seine Zukunft: Am Wochenende nach der Niedersachsen-Wahl will der Parteivorstand seine Strategie für 2013 festzurren. Vertraut man den letzten Umfragen, ist die Lage denkbar knapp: Reicht es in Hannover für einen rot-grünen Wahlerfolg, dann werden die Sozialdemokraten das als Signal für die Bundestagswahl bejubeln. Reicht es nicht, dann droht auf Hermannswerder ein echter Krisengipfel.

Steinbrück selbst war es, der die Abstimmung in Niedersachsen zum ersten Test für seine Kanzlerkandidatur erklärt hatte. Eine Strategie, die sich bitter rächen könnte, stolperte er doch nach seiner Nominierung von einem Fettnäpfchen ins andere. Wenn die Deutschen den Kanzler direkt wählen könnten, gäben nur noch 22 Prozent dem SPD-Mann ihre Stimme. Vor Weihnachten waren es noch vier Punkte mehr gewesen. Vor Weihnachten allerdings hatte Steinbrück sich noch nicht über das mickrige Kanzlergehalt und den Frauenbonus der Amtsinhaberin mokiert, vor Weihnachten musste er sich noch nicht gegen Vorwürfe wehren, er habe im ThyssenKrupp-Aufsichtsrat Unterstützung für niedrigere Strompreise versprochen. Vor Weihnachten stellten Sozialdemokraten lediglich fest, ihr Kandidat stecke tief im Schlamassel. Heute benutzen sie meist ein anderes Wort, das mit „Sch“ beginnt.

Diese Regionen drohen zu verarmen
Fireworks are seen at the World Heritage Site 'Zeche Zollverein' in Essen Quelle: REUTERS
Das Gebäude des JenTower in Jena Quelle: dpa
Letzte Restarbeiten werden am 19.12.2012 auf dem Kupferdach des Landtagsneubaus in Potsdam (Brandenburg) durchgeführt. Quelle: dpa
Litfasssaeulen mit ueberdimensionalen Muetzen stehen auf dem Dresdner Postplatz unweit des Zwingers Quelle: dapd
Mit einem speziellen Kommunalfahrzeug wird am 09.12.2012 der Breite Weg in Höhe des Hundertwasserhauses "Grüne Zitadelle" in Magdeburg (Sachsen-Anhalt) von Eis und Schnee befreit. Quelle: dpa
Ein Obdachloser, der die Obdachlosenzeitung "Strassenfeger" verkauft, bittet am 20.12.2012 in Berlin in der Friedrichstraße um Spenden. Quelle: dpa
Mit Mützen und einem Schal ist am 13.12.2012 die Skulptur "Drei schwatzende Weiber" an einem Brunnen der Altstadt von Stralsund (Mecklenburg-Vorpommern) eingekleidet. Quelle: dpa

Vermutlich hat Stephan Weil die eigene Ungeduld schon oft verflucht. Der niedersächsische Spitzenkandidat hatte die Bundes-SPD im vergangenen Jahr gedrängt, ihren Kanzlerkandidaten möglichst schnell zu nominieren. Er hoffte auf etwas Rückenwind und darauf, dass die Berliner Prominenz auf seine eigenen farblosen Auftritte abstrahlen könne. Inzwischen muss Weil, der seine trockene Seriosität zum Markenzeichen ausgebaut hat, vor Journalisten beständig beteuern, die Steinbrück-Debatte habe „keine Bremsspuren“ hinterlassen. Die Strategie sei jetzt eher, eine „Firewall“ um Niedersachsen zu errichten, sagt ein Vertrauter. Oder kurz: irgendwie zu suggerieren, dass man mit denen in Berlin doch nicht ganz so viel zu tun hat.

Niedersächsische Polit-Prominenz

Bei der Abschlusskundgebung in der Stadthalle Braunschweig werden sie am Freitag dennoch alle auf der Bühne stehen: Steinbrück, Weil, Parteichef Sigmar Gabriel und Bundestags-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier. Es soll ein Signal der Geschlossenheit sein. Allerdings muss die SPD sich inzwischen nicht nur hinter Weil stellen, sondern auch hinter Steinbrück.

Der Kanzlerkandidat arbeitet derweil weiter an seiner Menschwerdung. Am vergangenen Dienstag erst hatte das „Handelsblatt“ angedeutet, Steinbrück habe sich als ThyssenKrupp-Aufsichtsrat zum Büttel der Großindustrie gemacht. Noch am selben Tag schoben Mitarbeiter kurzfristig einen neuen Termin in seinen Kalender: einen Besuch in einem Mütterzentrum am Folgetag. Etwas Nähe zum Wähler kann ja nicht schaden. Eine sozialpolitische Empathievermutung auch nicht.

Sehnsucht nach Inhalten

Falls die SPD in Niedersachsen gewinnt, könnte man endlich wieder über Inhalte reden – statt über Steinbrücks Missgeschicke, hoffen die Wahlkampfplaner. Passend dazu hat die Partei nun ein Konzept gegen Mietpreiserhöhungen vorgelegt und vorgeschlagen, das Kindergeld neu zu verteilen: Normalverdiener sollen profitieren, die Einsparungen erbringen die Besserverdienenden. So will sich die SPD ihrer Klientel wieder als Partei der Gerechtigkeit empfehlen.

Gelingt der Regierungswechsel in Niedersachsen aber nicht, muss Steinbrück sich kritische Fragen gefallen lassen. Die SPD-Linke haderte von Anfang an mit ihm. „Partei und Spitzenkandidat müssen sich besser koordinieren. Die Kür des Spitzenkandidaten kam im vergangenen Herbst ja etwas überstürzt“, sagt etwa Klaus Barthel, der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA). Dass es nach der Niedersachsen-Wahl eine ernsthafte Debatte über den Spitzenkandidat gibt, kann er sich aber nicht vorstellen. Da hält er sich an die offizielle Parteilinie: Es seien die Medien, die sich auf Steinbrück einschössen – und die SPD müsse lernen, damit umzugehen. „Es spricht für unsere Professionalität, dass es keine Kandidatendebatte in der Partei gibt“, sagt Barthel.

Ob Steinbrück aber von sich aus entnervt aufgeben könnte? Er selbst sagt dazu: „Niemand macht sich hier vom Acker.“ Ein Kanzlerkandidat, der vor der Wahl hinschmeißt, wäre ein Desaster. „Völlig unvorstellbar“, sagen alle Sozialdemokraten.

„Völlig unvorstellbar“ war bislang allerdings auch, dass ein Kanzlerkandidat einen derartigen Fehlstart hinlegt.

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