Lange Wartelisten in Deutschland So wollen Ökonomen zur Organspende motivieren

In Deutschland gibt es zu wenig Organspender. Das wird zu einem immer größeren Problem. Wie lassen sich die Menschen besser motivieren, zum Spender zu werden? Ökonomen haben einen Lösungsvorschlag entwickelt.

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Organspendeausweis Quelle: dpa/dpaweb

Die Zahlen sind alarmierend: In Deutschland brauchen mehr als 10.000 Betroffene ein Spenderorgan. Die Wartelisten sind lang, gleichzeitig hat die Zahl der Spender 2016 mit nur 857 Menschen ihren tiefsten Punkt seit der Jahrtausendwende erreicht. Auch in diesem Jahr ist bisher keine Besserung zu erkennen: Im ersten Halbjahr 2017 spendeten 412 Menschen insgesamt 1331 Organe.

Krankenversicherungen, Ärzte und Betroffene engagieren sich dafür, Menschen zur Organspende zu bewegen. Es gibt zahlreiche Aktionen mit Namen wie „Entscheide Dich!“ oder „Jein zählt nicht!“. Und auch Ökonomen forschen mittlerweile nach einer Lösung für den Spendermangel. Annika Herr und Hans-Theo Normann vom Düsseldorfer Institute of Competition Economics (DICE) haben jetzt in einem Laborexperiment untersucht, wie sich die individuelle Bereitschaft erhöhen lässt, im Falle des eigenen Hirntods Organe zu spenden.

Das Experiment wurde in mehreren Runden am Computer mit insgesamt 384 Teilnehmern durchgespielt. Zu  Beginn konnten diese entscheiden, ob sie ihre Organe im Fall eines Hirntods prinzipiell spenden würden. Sollte beim Spieler ein fiktiver Hirntod eintreten, konnte dieser durch den Empfang eines Organs von einem anderen „verstorbenen“ Spieler weiterspielen. Die fiktiven Entscheidungen im Spiel führten zu echten Kosten im Experiment, indem für bestimmte Entscheidungen und Handlungen kleinere Summen von einem Startbetrag abgezogen wurden. Dies sollte die Belastung und den Organisationsaufwand der Spende-Entscheidung im realen Leben simulieren.

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Bei Organversagen mussten Spieler wie im echten Fall auf eine Warteliste. Spieler, die sich zu Beginn des Spiels als Organspender registrierten, erhielten je nach Gruppe verschiedene Prioritätsboni in Form von gutgeschriebenen Warteperioden. Im Experiment wurde eine maximale Wartezeit von fünf Perioden bis zum Tod des Spielers vorausgesetzt. In der ersten Spielrunde registrierten sich ohne Aussicht auf Prioritätsbonus 44 Prozent der Spieler zu Beginn als Organspender. Bei einem Prioritätsbonus von ein und zwei Warteperioden stieg die Zahl auf 70 Prozent, bei Aussicht auf absolute Priorität auf 83 Prozent. In weiteren Spielrunden waren die Effekte weniger stark, blieben über die Zeit aber konstant.

Im Durchschnitt registrierten sich 45 Prozent ohne Bonus als Spender, 53 Prozent bei einem Bonus von einer Warteperiode, 59 Prozent bei einem Bonus von zwei Warteperioden und 68 Prozent bei einem Bonus von drei Warteperioden. Bei absoluter Priorität registrierten sich 69 Prozent als Spender. „Im Experiment führt die Prioritätsregel dazu, dass sich viel mehr Personen registrieren. Auch deshalb, weil die, die sich registrieren, denken, dass sie damit für ihre Bereitschaft belohnt werden“ sagt Annika Herr zum Ergebnis.

Wie können Organspenden realisiert werden?

In der Realität könnte eine Prioritätsregel ergänzend zum bereits bestehenden System wirken. Die Organe werden in Deutschland nach bestimmten Kriterienkatalogen vergeben. Dabei spielen viele verschiedene medizinische Kriterien eine Rolle, die je nach Organ unterschiedliche Gewichtungen haben. Diese Gewichtungen werden verrechnet, sodass am Ende eine Punktzahl entsteht. Zu diesem Wert wollen Herr und Normann Punkte dazu addieren, je nachdem ob eine Person Spender ist oder nicht: „Wenn ich bereit bin, meine Organe zu spenden, ist es gerecht, dass ich davon profitiere, sollte ich selbst eines benötigen. Wenn jemand nicht bereit ist, muss er etwas länger warten“, sagt Herr. Wie viele Zusatzpunkte es für eine Registrierung als Spender geben soll, das sei eine politische Entscheidung.

Laut Umfragen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) haben mittlerweile 32 Prozent der Bundesbürger ihren Willen in einem Organspendeausweis dokumentiert, in 2010 waren es noch 25 Prozent. Über 70 Prozent der Befragten wären laut Umfrage sogar bereit, ihre Organe nach ihrem Tod für schwerkranke Patienten zu spenden.

Birgit Blome, Pressesprecherin der „Deutsche Stiftung Organtransplantation“ (DSO) erklärt, dass die Zahl der gemeldeten Organspender aus den Entnahmekrankenhäusern in den letzten Jahren insgesamt zurückgegangen ist: „Allzu oft wird die Auseinandersetzung mit dem Thema und das tatsächliche Ausfüllen eines Ausweises dann doch vor sich hergeschoben – aus Bequemlichkeit oder weil es  unangenehm ist, sich mit dem eigenen Tod auseinanderzusetzen. Dabei ist es im Akutfall von großer Hilfe, wenn die Angehörigen wissen, wie der Verstorbene über Organspende gedacht hat. Andernfalls bleiben bei den Hinterbliebenen Bedenken, möglicherweise doch die falsche Entscheidung getroffen zu haben - in die eine oder die andere Richtung.“

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Der Nationale Ethikrat Deutschland hatte sich 2007 gegen eine Prioritätsregelung zur Förderung der Organspenden ausgesprochen. Eines der Hauptargumente war, dass Menschen einen Nachteil hätten, die nicht über die Boni informiert würden. „Natürlich muss ausreichend darüber informiert werden“, sagt Herr. Wenn die Dringlichkeit da sei und die anderen Kategorien erfüllt werden, bekämen Nicht-Spender gegebenenfalls immer noch schneller ein Organ als Spender. „Wir wollen nicht, wie in vielen anderen Experimenten getestet, die absolute Priorität“, sagt Herr.

Prioritätsregelungen ähnlich zu denen im Experiment gibt es bereits in Israel, Singapur und Chile. In zahlreichen europäischen Ländern, darunter Österreich, Spanien, Irland und ein Großteil der skandinavischen Länder, gilt die Widerspruchslösung. Hat der Verstorbene in diesen Ländern einer Organentnahme zu Lebzeiten nicht ausdrücklich widersprochen, so können Organe zur Transplantation entnommen werden. In einigen Ländern haben die Angehörigen ein Widerspruchsrecht.

Annika Herr ist vor allem wichtig, dass das Thema Organspende mehr Aufmerksamkeit bekommt: „Wir plädieren für mehr Transparenz und mehr Diskussion über das Thema.“

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