ENF-Kongress AfD und FN wollen EU abschaffen - Was kommt danach?

Bunte Fahnen, Transparente und die „Ode an die Freude“ haben Demonstranten dem Kongress europäischer Rechtspopulisten in Koblenz entgegengesetzt. Es kamen viel mehr Teilnehmer als erwartet.

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Le Pen: Marine le Pen wirft der Bundesregierung eklatantes Versagen in der Flüchtlingspolitik vor. Quelle: dpa

In der Koblenzer Rhein-Mosel-Halle waren sich alle einig: Die Europäische Union in ihrer jetzigen Form muss zerschlagen werden. Die Vorsitzende des französischen Front National, Marine le Pen, setzte am Samstag den EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker einem Tyrannen gleich. Die EU wurde bei der Veranstaltung der Fraktion "Europa der Nationen und der Freiheit" (ENF) im Europaparlament (EP) als eine Art Krake beschrieben, die den Bürgern die Luft zum Atmen abdrückt, unwillkommenen Fremden Tür und Tor öffnet und einer "neoliberal" geprägten Globalisierung nichts entgegensetzt.

Entsprechend trug der Kongress den Titel "Freiheit für Europa": Die Hauptredner - neben Le Pen AfD-Chefin Frauke Petry, der Chef der niederländischen Freiheitspartei, Geert Wilders, der Vorsitzende der italienischen Lega Nord, Matteo Salvini, und der Generalsekretär der österreichischen FPÖ, Harald Vilimsky - schienen sich selbst als Freiheitskämpfer in einer Form der Diktatur zu verstehen und beschworen ihre Einigkeit im Kampf gegen den gemeinsamen Gegner.

"Wir vertreten das Europa der Bürger und das holen wir uns zurück", rief etwa der FPÖ-Generalsekretär den mehreren Hundert verlesenen Teilnehmern zu. Ähnlich formulierte es Wilder: "Wir sind am Anfang eines patriotischen Frühlings in ganz Europa." Salvini erklärte, die Volkssouveränität sei ein unverhandelbarer Wert.

Alle für den kleinen Mann
Er war hier eigentlich noch nie zu Gast und doch ist er beim Weltwirtschaftsforum 2017 so präsent, wie kein anderer Zeitgenosse: der kleine Mann. Oder genauer: Der weiße Mittelschichtsmann mit mittlerem Berufsabschluss und mittelprächtigem Job. Jener Typ, den der ehemalige US-Präsident Bill Clinton mal als „hart arbeitend, sich an die Regeln haltend“ beschrieb. Dem Unmut dieses kleinen Mannes über die wirtschaftlichen Zustände auf der Welt jedenfalls wird in Davos der Siegeszug der  so genannten Populisten in der Industrieländerwelt zugeschrieben. Oder, anders gesagt: Der kleine Mann hält sich nicht mehr an die ihm gesetzten Regeln. Und das sorgt die Anführer in Wirtschaft und Politik. So einheitlich wie man sie in dieser Sorge ist, desto konfuser sind die genannten Gründe und damit auch die angedachten Lösungen für das Phänomen. Nur, dass es angegangen werden soll, darüber herrscht Einigkeit. Oder, wie Großbritanniens Premierministerin Theresa May am Donnerstagmorgen sagte: „Wir alle, in Wirtschaft und Politik, müssen auf jene eingehen, die glauben, den Anschluss verloren zu haben.“ Sonst drohe eine nicht endende Stärkung der politischen Ränder links und rechts. Nur: Wie soll das gehe. Ein Überblick über die gewichtigsten Positionen. Quelle: REUTERS
Theresa May, Premierministerin Großbritannien"Wir brauchen eine aktive, starke Regierung. Wir können die wirtschaftliche Teilhabe aller nicht den freien Kräften der internationalen Märkte überlassen. Und wir müssen sicherstellen, dass alle nach den gleichen Regeln spielen; Bürger genauso wie multinationale Konzerne – auch beim Bezahlen von Steuern." Quelle: REUTERS
Joseph Stiglitz, Ökonomie-Nobelpreisträger"Wenn es Trump gelingt, in der ersten Phase seiner Amtszeit Erfolge, und seien sie auch nur symbolisch, vorzuweisen, wird sich seine Art des Politikmachens wie eine Seuche in den Industrieländern des Westens ausbreiten.  Politische Ideen überschreiten Grenzen, wenn sie eine kritische Masse an Anhängern erreicht haben. So könnte es auch mit Trumps Lügen-Populismus sein. Zumindest so lange, wie seine Anhänger zu Recht auf Probleme des Wirtschaftssystems hinweisen, die einfach nicht zu leugnen sind: Die wachsende Ungleichheit in allen westlichen Ländern zum Beispiel. Die verheerende Wirkung der Euro-Politik. Oder der fehlende politische Wille, die Digitalisierung zu gestalten. Da hat der Kapitalismus bisher versagt." Quelle: AP
Lawrence Summers, US-Ökonom"Das als reines Problem der Ungleichheit darzustellen ist nicht die ganze Wahrheit. Die Amerikaner haben gerade erst das Symbol schlechthin für einen zur Schau gestellten Konsum zu ihrem Präsidenten gewählt. Eine Menge der Leute, die für Trump und den Brexit gewählt haben, glauben, dass zu viel dafür getan wurde, den Armen zu helfen. Es gibt vor allem einen Wunsch nach mehr nationaler Stärke und Einigkeit." Quelle: REUTERS
Joe Biden, US-Vizepräsident"Die Ängste der Menschen sind legitim. Viele haben nicht mehr das Gefühl, dass sich ihr Leben und das ihrer Kinder verbessern wird. Die Mittelklasse wird ausgehöhlt und die soziale Stabilität gefährdet. Und das oberste eine Prozent der Einkommenspyramide trägt nicht die Lasten,die es tragen könnte." Quelle: AP
Ana Botin, Vorstandschefin Banca Santander"Wenn Europa eine große Reform angehen sollte, dann eine kraftvolle und einheitliche Bildungspolitik. Wir werden den Großteil der Menschen nur in Arbeit bringen, wenn er bestens und besser als bisher ausgebildet ist." Quelle: REUTERS
Pier Carlo Padoan, Finanzminister Italien"Es gibt in Europa praktisch kein Land, in dem nicht eine hohe Unzufriedenheit zu finden ist. Viele Menschen in der Mittelschicht sind desillusioniert über die Zukunft, über die Jobperspektiven für ihre Kinder und die Sicherheit. Das ist bitter, denn eigentlich habe Europas Integration ja mal als die richtige Antwort auf den entfesselten Kapitalismus gegolten." Quelle: dpa

Immer wieder wurde Masseneinwanderung, Brüsseler Regelungswut, Intransparenz der EU-Entscheidungen, der Euro und die Einschränkung nationaler Identitäten angeprangert. Neben Juncker wurde vor allem Bundeskanzlerin Angela Merkel zur Hauptverantwortlichen für die nach ENF-Darstellung katastrophale Entwicklung Europas gemacht.

Unklar blieb in Koblenz, was die Parteien aus dem rechten Spektrum europäischer Staaten außer dem gemeinsam Gegner EU und Euro und der Forderung nach mehr Nationalstaatlichkeit eint. "Wir sagen ja zum Binnenmarkt", sagte etwa der EP-Abgeordnete und Ehemann von Petry, Marcus Pretzell. Le Pen wetterte seinerseits gegen einen von der EU geförderten Liberalismus und bejubelte Handelshemmnisse wie sie der neue US-Präsident Donald Trump mit seiner Losung "Amerika zuerst" angekündigt hat.

Auch beim Euro deuteten sich Differenzen an. Le Pen bekräftigte, aus der Gemeinschaftswährung unbedingt aussteigen zu wollen. Vorsichtiger war Salvini, der - offenbar in Furcht vor den wirtschaftlichen Konsequenzen für Italien - zu einem geplanten Ausstieg aus dem Euro mahnte.

Unterschiedlichen Vorstellungen zum Ausstieg aus EU und Euro und damit mögliche Konfliktpotenziale wiegelte Petry ab. "Wir stehen gemeinsam in der Ansicht, dass jedes Land für sich entscheidet, was für sich selbst gut ist." Gemeinsames Ziel sei ein Europa der freien Vaterländer. "Und wenn sich dann in Einzelheiten Unterschiede ergeben, das ist für uns kein Widerspruch, sondern das ist gelebte Subsidiarität und das ist gelebte Demokratie." Kaum ein Redner verlor ein Wort über mögliche Wirtschaftskrisen infolge der Entflechtung der über Jahre gewachsenen Handelsbeziehungen in der EU.

Zwar warfen alle ENF-Parteien in Koblenz der EU unisono vor, undemokratisch zu sein und kein Mandat der Bürger zu haben. Es blieb jedoch unklar, wie sie es mit der demokratischen Maxime der Pressefreiheit halten wollen. In Koblenz waren Vertreter von ARD und ZDF, des "Spiegel", der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", vom "Handelsblatt" und von "Compact" nicht zur Berichterstattung zugelassen. Pretzell erklärte, 350 Journalisten seien akkreditiert und setzte zur Belustigung der Konferenz-Teilnehmer nach: "Dafür, dass wir alle ausgesperrt haben, ist das eine Menge."

Gründe für den Ausschluss der Vertreter der betroffenen Medien legte Pretzell in seiner Rede nicht dar. Dafür griff der EP-Parlamentarier namentlich einen FAZ-Redakteur an, der eine Berichterstattungsmöglichkeit "sogar einklagen wollte". Der Saal skandierte daraufhin "Lügenpresse, Lügenpresse".

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