Liberalismus Der Sinn der Freiheit

Die traditionellen Begriffe des Liberalismus haben sich verbraucht: Eigentum muss heute global gedacht, Freiheit als Verantwortung wahrgenommen werden – und Marktwirtschaft das Beste aus den Menschen herausholen.

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Die Freiheitsstatue in New York Quelle: dpa

Seit mehr als 80 Jahren, seit der Weltwirtschaftskrise 1929 ff., liegt der ehemals so stolze Liberalismus nun schon auf der Intensivstation, mehrfach klinisch tot, wieder zurück ins Leben geholt und künstlich beatmet - ein Dauerpatient der Politik- und Wirtschaftstheorie, ständig unterm Messer, laufend notoperiert, anscheinend ohne Aussicht auf Genesung. Seine Freunde haben ihm gleich nach dem Zweiten Weltkrieg ein neues Rückgrat verpasst ("Neoliberalismus") und ihm bis weit in die 1970er Jahre hinein mit semantischen Krücken unter die Arme gegriffen (“wirtschaftsliberal“, “sozialliberal“), sich aber dann von ihm abgewendet, um seine Pflege wirtschaftsmedizinischen Effizienztheoretikern zu überlassen. Diese “Neo-Neo-Liberalen” haben den chronisch Siechen in den 1980er Jahren durch allerlei ideologische Schrumpfkuren (“Thatcherism“, “Reagonomics“) und theoretische Aderlässe (“Liberalisierung der Finanzmärkte”) massiv geschwächt.

Steuern, Mindestlöhne, Krankenversicherung, Mieten: Dem neuen Bundestag fehlt der wirtschaftliche Kompass. Der Liberalismus ist politisch mundtot. Die WirtschaftsWoche bietet der Freiheit ein neues Forum.

Am Ende war der Liberalismus als anspruchsvolle Denkform und Seinsweise so abgemagert und ausgehungert, dass er außer “Privatisierung“, und “Steuersenkung” kein Wort mehr über die Lippen brachte. Heute, angesichts einer “Neuen Sozialen Frage“ in den Industrieländern und kurz vor dem Kollaps des internationalen Staatsschuldenkapitalismus, ist sein Zustand so hoffnungslos, dass er sich nicht einmal mehr der Esoteriker erwehren kann, die an sein Krankenbett eilen, um ihn mit ein bisschen Wärme (“mitfühlender Liberalismus“) endgültig tot zu pflegen.

Dass der Liberalismus zu wichtig ist, um ihn den Liberalen zu überlassen, ist keine neue Erkenntnis. Alfred Müller-Armack etwa fürchtete die Selbstzerstörungskräfte einer liberalen Wirtschaftsordnung beinah’ mehr als ihre erklärten Feinde - und erinnerte bereits 1946 daran, dass “die marktwirtschaftliche Organisationsform ihre Überlegenheit nur dann zu entfalten vermag, wenn ihr aus geistigen und politischen Kräften eine feste äußere Ordnung gegeben wird”. Schon damals hielt der Mitbegründer der Sozialen Marktwirtschaft den in “religiösen Bezirken verankerten Harmonieglauben” der Adam-Smith-Jünger für dringend säkularisationsbedürftig. Es sei eine “unkluge Übertreibung” des Liberalismus gewesen, “die Wettbewerbsform für eine Naturform gehalten” und in der “Tauschgesellschaft” einen “Vollautomaten” gesehen zu haben, der keiner “sinnvollen menschlichen Steuerung” bedürfe. Er selbst habe nicht nur “das Zutrauen in die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft” verloren, sondern vor allem das Zutrauen in eine Marktwirtschaft, die vom Liberalismus “zum Idol seiner Weltanschauung” erhoben werde.

Die Marktwirtschaft, so Müller-Armack, sei kein Selbstzweck, sondern ein “zweckmäßiges Organisationsmittel”, das “im stärksten Maße einer geistigen Formung” bedürfe. Ohne “von außen kommende Prägung” könne sie “auf die Dauer nicht existieren”, weil es ihr “sichtlich an stabilisierenden Kräften” fehle, “um ihre eigene Form” zu schützen. Kurzum: Die Liberalen wollen nicht begreifen, so Müller-Armack, dass die Marktwirtschaft von Voraussetzungen lebt, die sie selbst nicht garantieren kann.

Die Neoliberalen

"Die bitterste Stunde für die Liberalen seit vielen Jahrzehnten"
Der nordrhein-westfälische FDP-Vorsitzende Christian Lindner sprach nach dem Ausgang der Bundestagswahl am Sonntagabend von der „bittersten Stunde für die Liberalen seit vielen Jahrzehnten“. Man habe in der Öffentlichkeit nicht überzeugt. „Da kann es ja überhaupt keinen Zweifel daran geben.“ Die FDP schafft es nach der ersten Hochrechnung nicht mehr in den Bundestag. Auf die Frage, ob die Partei jetzt auseinanderbricht, sagte Lindner, es gebe ausreichend liberales Wählerpotenzial. Das gelte es jetzt abzurufen. Quelle: dpa
Der Kieler FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki kritisierte die Wahlkampfstrategie seiner Partei. „Ich finde das eine beachtliche Leistung, dass man mit fünf Ministern der größten Bundestagsfraktion aller Zeiten innerhalb von vier Jahren die FDP von 14,6 auf 5 Prozent oder darunter bringt“, sagte Kubicki am Sonntag der Nachrichtenagentur dpa. „Eine ordentliche Wahlkampfstrategie mit einem souveränen Auftreten sieht anders aus.“ Quelle: dpa
Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel hat sich hocherfreut über das Ergebnis der Union bei der Bundestagswahl gezeigt. „Das ist ein Superergebnis“, sagte die strahlende CDU-Chefin unter dem Jubel ihrer Anhänger. „Wir werden damit verantwortungsvoll und sorgsam umgehen.“ Neben den CDU-Mitgliedern bedankte sich Merkel besonders bei der CSU und ihrem Vorsitzenden Horst Seehofer vor die Unterstützung. Quelle: dpa
Unionsfraktionschef Volker Kauder sagte in der ARD: „Wir haben einen klaren Auftrag der Wähler, die Regierung zu bilden.“ Das Ergebnis zeige, dass die Wähler wollten, dass Angela Merkel Kanzlerin bleibe. Die Union freue sich riesig. Ein Ergebnis von weit mehr als 40 Prozent habe man für eine Volkspartei schon gar nicht mehr für erreichbar gehalten. Quelle: dapd
Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat sich begeistert vom Wahlerfolg der Union gezeigt. „Das ist fantastisch. So deutlich über 40 Prozent, das haben wir seit über 20 Jahren nicht geschafft“, sagte die stellvertretende CDU-Vorsitzende in der ARD. „Wir hoffen sehr für die FDP, dass die Zahlen im Laufe des Abends noch steigen.“ Zu einer möglichen großen Koalition mit der SPD wollte sich von der Leyen nicht äußern. „Deutschland muss stark bleiben in Europa, das ist das Motto des Abends“, sagte sie. Quelle: dpa
SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles wollte nach dem Ausgang der Bundestagswahl am Sonntagabend in einer ersten Reaktion keine Koalitionsaussage treffen. Dies werde zuerst in den Gremien besprochen. Man habe sich sicherlich einen höheren Zuwachs gewünscht, sagte sie im ZDF. Nun sei die Gewinnerin der Wahl gefragt, CDU-Vorsitzende Kanzlerin Angela Merkel. Quelle: dpa
CDU-Vize Armin Laschet wertete das Ergebnis als Regierungsauftrag für Kanzlerin Angela Merkel. „Die Deutschen wollen, dass sie vier Jahre weiter regiert“, sagte Laschet, der auch CDU-Chef in Nordrhein-Westfalen ist. Das Ergebnis sei „in erster Linie Anerkennung für die Arbeit von Angela Merkel“. Laschet lobte den zurückhaltenden Kurs der Parteivorsitzenden in den vergangenen Wochen ohne starke Angriffe auf den politischen Gegner: „Der Wahlkampf war richtig, die Themen waren richtig, und die Zukunftsidee war richtig.“ Quelle: dpa

Den Neoliberalen ging es in den 1950er Jahren vor allem darum, diese Voraussetzungen sichtbar zu machen - und die Marktwirtschaft in eine “Gesamtlebensordnung” einzubetten, die das freie Spiel von Angebot und Nachfrage dauerhaft sichert. Für Wilhelm Röpke etwa, den schärfsten Denker und größten Stilisten unter ihnen, kommt die Marktwirtschaft erst dann zu sich, wenn sie auch “moralisch jener Mitte entspricht”, die “das alltägliche bürgerliche Leben” kennzeichnet. Selbstdisziplin, Gerechtigkeitssinn, Ehrlichkeit, Fairness, Ritterlichkeit, Gemeinsinn und feste sittliche Normen - das alles sind für Röpke “Dinge, die die Menschen bereits mitbringen müssen, wenn sie auf den Markt gehen und sich im Wettbewerb miteinander messen”.

Röpke hatte nach dem “fast schattenlosen Optimismus des großen liberalen Jahrhunderts von 1814 bis 1914” bereits 1958 nur noch Verachtung übrig für den “Animalismus” einer “Gesellschaft, die ihr Glück in Freizeit, technischen Wundern und ständiger rascher Ortsveränderung auf Zementbahnen sucht”. Er geißelte die “Geist- und Kulturferne der Geschäftswelt“, den “liberalen Anarchismus”, den “Triumph der platten Nützlichkeit”, den “Kult der Produktivität und materiellen Expansion” - und rief seine Leser dazu auf, sich dem “Massenangriff des Betons” mit grünkonservativen Mitteln zu entziehen: Wald, Garten, Hausmusik, Bücher, Kirche, Familie und Kinderaufzucht.

Andere Freigeister, Leopold Kohr vor allem, knüpften lieber an das romantisch-anarchische Erbe des klassischen Liberalismus an, um ihre Selbstbestimmungslust und Lebensgier vor dem sanften Despotismus anonymer Verwaltungsstaaten in Sicherheit zu bringen. Kohr hielt “Größe“ für das schlimmste Krebsgeschwür der Moderne. Er prophezeite die Unregierbarkeit großer politischer Einheiten, warnte vor der Bedrohung individueller Freiheiten durch “Systemzwänge”, machte auf die Relation von Überschaubarkeit und (Eigen-)Verantwortung aufmerksam - und ermunterte seine Leser zur Entdeckung der Langsamkeit in kleinen, fassbaren Lebensräumen.

Die Marktwirtschaft war für die Neoliberalen gleichsam das natürliche Korrelat zu dieser Gesamtlebensordnung: eine “liberale Sozialtechnik”, die Machtdiffusion begünstigt und die Leistungsenergie von Selbstständigen freisetzt, die eine mittelständische Gesellschaft formt, deren Unabhängigkeit vom “Kollossalvormund“ Staat maximal und deren “Gruppenappetit” auf Sicherheit und Genuss sehr mäßig ist (Röpke).

Zu den Vorzügen und Voraussetzungen dieser neoliberalen Marktwirtschaft gehören, so Müller-Armack, eine stabile Währung, also “ein streng gegen allzu große Expansion abgeriegeltes Geld- und Kreditsystem“ und ein “gesunder Betriebsaufbau”, das heißt: eine aktive Wirtschaftspolitik, die mittelständische Firmen fördert, Machtkonzentration verhindert und risikolose Gewinne rigoros abschöpft. Darüber hinaus ist für Müller-Armack selbstverständlich, dass in der Konkurrenzwirtschaft alle Teilnehmer das Prinzip “Eigenverantwortung” beim Wort nehmen und für ihre Verluste geradestehen - und dass Unternehmen ihre Geschäftspolitik nicht an der Maximierung des Gewinnes, sondern an den Bedürfnissen des Konsumenten orientieren. Nur wenn diese Voraussetzungen erfüllt seien, gibt Müller-Armack zu bedenken, könne die Marktwirtschaft ihre doppelte Funktion erfüllen: in ökonomischer Hinsicht als eine Art “Signalapparat”, der Knappheitsverhältnisse anzeigt und das Spiel von Angebot und Nachfrage steuert - und in soziologischer Hinsicht als “Organisationsprinzip”, das analog zu den Zielen des politischen Liberalismus eine “extreme Gewaltenteilung“ begünstigt, weil es “durch verstärkte Konkurrenz” wirtschaftliche Macht verteilt.

Die Krise des Liberalismus

Die Krisen der Freien Demokraten
Retter Brüderle?Als starker Mann in der Partei gilt derzeit Fraktionschef Rainer Brüderle (hier mit dem FDP-Vorsitzenden Philipp Rösler am 17.04.2013 in Berlin während eines Empfangs zum Geburtstag von Dirk Niebel). Die Aufschrei-Affäre um sein angeblich sexistisches Verhalten gegenüber einer Journalistin brachte ihn zwar zu keinem Zeitpunkt ernsthaft in Bedrängnis. Aber peinlich war die Indiskretion für den Spitzenkandidaten in jedem Fall. Zumal sie wohl auch die Erinnerung an seinen alten Ruf als „Weinköniginnenküsser“ beförderte. Brüderle war als rheinland-pfälzischer Wirtschaftsminister auch für den Weinbau zuständig. Und er galt seinerzeit nicht gerade als politisches Schwergewicht. Quelle: dpa
Der Riesenerfolg 2009 - und der steile Absturz danachDer damalige FDP-Bundesvorsitzende Guido Westerwelle, rechts, und der Ehrenvorsitzende Hans-Dietrich Genscher, links, am 3. September 2009 beim Auftakt des bundesweiten Wahlkampfes. Es war das beste Bundestagswahlergebnis aller Zeiten, das die FDP feiern konnte: 14,6 Prozent. Fünf Minister konnte sie im Koalitionsvertrag mit Angela Merkel durchsetzen. Doch schnell stürzte die FDP in den Umfragen auf Minus-Rekorde. Die Kritik an Parteichef Guido Westerwelle spitzte sich nach schwachen Landtagswahlergebnissen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg zu. Aber auch der neue Parteichef Philipp Rösler steht seither unter medialer Dauerkritik. Auch innerhalb der Partei halten ihn viele für  führungsschwach und wenig überzeugend. Quelle: AP
Die PlagiatorinDie einst von Westerwelle protegierte EU-Parlamentarierin Silvana Koch-Mehrin stürzte im Mai 2011, über ihre abgeschriebene Doktorarbeit. Schon vorher hatte sich Koch-Mehrin in Talkshows durch offensichtliche Inkompetenz und in Brüssel durch Abwesenheit bei Sitzungen diskreditiert. Hier ist sie am 16. Mai 2009 vor ihrem Wahlplakat auf dem FDP Bundesparteitag in Hannover zu sehen. Der Doktor-Titel fehlte auf keinem Plakat. Quelle: AP
Der PlagiatorAuch EU-Parlamentarier Jorgo Chatzimarkakis fiel vor allem durch häufige Talkshow-Auftritte (hier bei "Anne Will") und geschwätzige Wortmeldungen auf. Unter anderem schlug er vor, nicht mehr von „Griechenland“ zu sprechen sondern von „Hellas“, um das Image des Landes zu heben. Sein eigenes Image leidet seit Juli 2011 unter dem Entzug des Doktortitels aufgrund der zum größten Teil abgeschriebenen Doktorarbeit.    Quelle: dapd
Möllemann stürzt abJürgen Möllemann war die wohl kontroverseste Persönlichkeit der bisherigen FDP-Geschichte. Der Fallschirmjäger-Oberleutnant. Nach der „Briefbogen-Affäre“ und seinem Rücktritt als Bundeswirtschaftsminister 1993 gelang ihm als Landesvorsitzender in Nordrhein-Westfalen 2000 ein erstaunlicher Wahlerfolg. Möllemann galt als Kopf hinter der Strategie 18. 2002 eskalierte dann ein Konflikt um seine Unterstützung für einen palästinensischen Aktivisten, der Israel einen „Vernichtungskrieg“ vorwarf. Möllemann wurde vom Zentralrat der Juden scharf angegriffen. Hildegard Hamm-Brücher trat seinetwegen aus der FDP aus.  Nach einem Flugblatt mit erneuten Vorwürfen gegen die israelische Regierung drehte sich die Stimmung innerhalb der FDP zuungunsten Möllemanns, der aus der Partei austrat. Am 5. Juni 2003 starb er bei einem Fallschirmabsturz, vermutlich wählte er den Freitod. Quelle: dpa
Projekt 18So nannte die FDP ihre Wahlkampfstrategie zur Bundestagswahl 2002, beschlossen im Mai 2001 auf dem Düsseldorfer Bundesparteitag unter wesentlicher Mitwirkung von Jürgen Möllemann (Bild). Ziel: „mit neuen Formen der Kommunikation und Darstellung … neue Wählerschichten“ für die Partei erschließen und die FDP als eigenständige und unabhängige politische Kraft außerhalb eines vorgegebenen Lagers darstellen. Der Name bezog sich auf das Ziel, den Anteil an den Wählerstimmen von 6 auf 18 Prozent zu verdreifachen. Viele empfanden die Kampagne als Inbegriff einer plakativen Spaß-Politik.
Guido im ContainerEine Aura des Unernsthaftigkeit verpasste sich die FDP-Führung spätestens zu Anfang des neuen Jahrtausends. Als Sinnbild der damals neuen politischen Spaßkultur wurde vor allem der Besuch des damaligen Generalsekretärs Westerwelle im Big-Brother-Container 2000 gesehen. Als Mitbringsel hatte er Alkoholika und Zigaretten dabei. Quelle: dpa

Solange der “Preismechanismus” und das “Konkurrenzprinzip” nicht angetastet würden, so Müller-Armack, seien staatliche Eingriffe in die Marktwirtschaft durchaus kein Problem. Einen “direkten Einkommensausgleich” im Wege der Besteuerung und eine Verteilung der “einlaufenden Beiträge etwa in Form von direkten Kinderbeihilfen [und] Mietzuschüssen“ hält er geradezu für den “Idealfall eines marktgerechten Eingriffs”. Und natürlich hat er auch nichts dagegen, “eine staatliche Mindestlohnhöhe zu normieren…, um willkürliche Einzellohnsenkungen zu vermeiden” - schließlich stören nicht “Ordnungstaxen” den Marktmechanismus, sondern Dumpinglöhne.

Genau 65 Jahre sind vergangen, seit Müller-Armack seine Gedanken zu Papier brachte. Eine lange Zeit. Und doch nur ein Wimpernschlag verglichen mit der Unendlichkeit, die sein Versuch einer Widerbelebung des Liberalismus von der Bonn-Berliner Realpolitik trennt. Die Liberalen haben der Politisierung des Geldes nicht widerstanden und den Respekt vor dem hohen Gut seiner Wertbeständigkeit verloren. Sie haben die Kreditexpansion geduldet, Schulden angehäuft und die Befriedigung eines Kapitalbedarfs gefördert, der sich aus den giftigen Quellen der Inflation und des Steuerzwanges speist. Sie haben durch ostentative ordnungspolitische Passivität den Aufbau eines Bankensektors gefördert, der seine Risiken systematisch auslagert, seine Verluste sozialisiert und alle Haftung beim Steuerzahler ablädt.

Sie haben die Konzentration der Energieversorgung protegiert und die Folgekosten der Atomstromerzeugung dem Staat aufgebürdet. Vor allem aber haben sie willenlos zugesehen, wie sich in Deutschland eine “Angestelltengesellschaft” formiert hat, „deren zentraler Wirtschaftsbegriff das Geldeinkommen und nicht das Eigentum ist“ (Röpke), eine Managerkaste, die ihren Boni mehr Wert beimisst als dem langfristigen Firmenerfolg, eine Unternehmenslandschaft, die vor allem ihrer Eigner (Aktionäre) prämiert und nicht so sehr ihre Mitarbeiter und Kunden - und schließlich: ein ganzes Heer vor Arbeitslosen und Niedriglöhnern, die abhängig sind von der „Stallfütterung“ des Staates. Tatsächlich hat ausgerechnet der Liberalismus mit seiner emphatischen Freiheits- und Eigentumsidee beinah‘ teilnahmslos zugesehen, wie ein neues Dienstleistungsproletariat entstand, das in einem Kreislauf aus „Reservenlosigkeit“, „Wurzellosigkeit“ und „Abhängigkeit“ gefangen ist, ohne “begründete Hoffnung, aus diesem Geleise herauszukommen“, ohne Chance auf wirtschaftliche Unabhängigkeit, ein bisschen Sparvermögen und “bescheidenes, aber Ankerfunktion versehendes Eigentum” - chronisch anfällig für “Mythen, `Programme` und soziale Erlösungslehren“ (Röpke).

Damit nicht genug, sind über die politpraktischen Defizite des Liberalismus hinaus seit Röpkes und Müller-Armacks Tagen auch seine theoretischen Fundamente zunehmend morsch geworden: Der klassische Eigentumsbegriff steht heute genauso in Frage wie das philosophische Konzept einer “negativen” Freiheit, also einer persönlichen Freiheit, die vollkommen unbestimmt ist und ihren Träger (den Menschen) zu nichts verpflichtet.

Der Eigentumsbegriff

Die größten Ökonomen
Adam Smith, Karl Marx, John Maynard Keynes und Milton Friedman: Die größten Wirtschafts-Denker der Neuzeit im Überblick.
Gustav Stolper war Gründer und Herausgeber der Zeitschrift "Der deutsche Volkswirt", dem publizistischen Vorläufer der WirtschaftsWoche. Er schrieb gege die große Depression, kurzsichtige Wirtschaftspolitik, den Versailler Vertrag, gegen die Unheil bringende Sparpolitik des Reichskanzlers Brüning und die Inflationspolitik des John Maynard Keynes, vor allem aber gegen die Nationalsozialisten. Quelle: Bundesarchiv, Bild 146-2006-0113 / CC-BY-SA
Der österreichische Ökonom Ludwig von Mises hat in seinen Arbeiten zur Geld- und Konjunkturtheorie bereits in den Zwanzigerjahren gezeigt, wie eine übermäßige Geld- und Kreditexpansion eine mit Fehlinvestitionen verbundene Blase auslöst, deren Platzen in einen Teufelskreislauf führt. Mises wies nach, dass Änderungen des Geldumlaufs nicht nur – wie die Klassiker behaupteten – die Preise, sondern auch die Umlaufgeschwindigkeit sowie das reale Produktionsvolumen beeinflussen. Zudem reagieren die Preise nicht synchron, sondern in unterschiedlichem Tempo und Ausmaß auf Änderungen der Geldmenge. Das verschiebt die Preisrelationen, beeinträchtigt die Signalfunktion der Preise und führt zu Fehlallokationen. Quelle: Mises Institute, Auburn, Alabama, USA
Gary Becker hat die mikroökonomische Theorie revolutioniert, indem er ihre Grenzen niederriss. In seinen Arbeiten schafft er einen unkonventionellen Brückenschlag zwischen Ökonomie, Psychologie und Soziologie und gilt als einer der wichtigsten Vertreter der „Rational-Choice-Theorie“. Entgegen dem aktuellen volkswirtschaftlichen Mainstream, der den Homo oeconomicus für tot erklärt, glaubt Becker unverdrossen an die Rationalität des Menschen. Seine Grundthese gleicht der von Adam Smith, dem Urvater der Nationalökonomie: Jeder Mensch strebt danach, seinen individuellen Nutzen zu maximieren. Dazu wägt er – oft unbewusst – in jeder Lebens- und Entscheidungssituation ab, welche Alternativen es gibt und welche Nutzen und Kosten diese verursachen. Für Becker gilt dies nicht nur bei wirtschaftlichen Fragen wie einem Jobwechsel oder Hauskauf, sondern gerade auch im zwischenmenschlichen Bereich – Heirat, Scheidung, Ausbildung, Kinderzahl – sowie bei sozialen und gesellschaftlichen Phänomenen wie Diskriminierung, Drogensucht oder Kriminalität. Quelle: dpa
Jeder Student der Volkswirtschaft kommt an Robert Mundell nicht vorbei: Der 79-jährige gehört zu den bedeutendsten Makroökonomen des vergangenen Jahrhunderts. Der Kanadier entwickelte zahlreiche Standardmodelle – unter anderem die Theorie der optimalen Währungsräume -, entwarf für die USA das Wirtschaftsmodell der Reaganomics und gilt als Vordenker der europäischen Währungsunion. 1999 bekam für seine Grundlagenforschung zu Wechselkurssystemen den Nobelpreis. Der exzentrische Ökonom lebt heute in einem abgelegenen Schloss in Italien. Quelle: dpa
Der Ökonom, Historiker und Soziologe Werner Sombart (1863-1941) stand in der Tradition der Historischen Schule (Gustav Schmoller, Karl Bücher) und stellte geschichtliche Erfahrungen, kollektive Bewusstheiten und institutionelle Konstellationen, die den Handlungsspielraum des Menschen bedingen in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. In seinen Schriften versuchte er zu erklären, wie das kapitalistische System  entstanden ist. Mit seinen Gedanken eckte er durchaus an: Seine Verehrung und gleichzeitige Verachtung für Marx, seine widersprüchliche Haltung zum Judentum. Eine seiner großen Stärken war seine erzählerische Kraft. Quelle: dpa
Amartya Sen Quelle: dpa

Tatsächlich scheint der Eigentumsbegriff der Liberalen hoffnungslos veraltet. Entwickelt wurde er im 17. Jahrhundert, als sich die bürgerliche Marktgesellschaft formierte und zunehmend viele Kaufleute und Händler an der Sicherung ihrer Besitzstände interessiert waren. Im Gegensatz zum parasitären Adel, der vom jährlichen Ertrag seiner Ländereien zehrte, entsteht das bürgerliche Eigentum aus Arbeit und Eigenleistung - eine Idee von epochaler Bedeutung, deren Zauber sich seither nur notorische Misanthropen, vulgo: Kommunisten entziehen.

Formuliert hat sie John Locke (1690): “Obwohl die Erde… allen Menschen gemeinsam gehört, so hat doch jeder Mensch ein Eigentum an seiner Person. Auf diese hat niemand ein Recht als nur er allein. Die Arbeit seines Körpers und das Werk seiner Hände sind… im eigentlichen Sinn sein Eigentum.” So weit, so gut. Doch dann geht es weiter: “Was immer er also dem Zustand entrückt, den die Natur vorgesehen und in dem sie es belassen hat”, ist also “das unbestreitbare Eigentum des Arbeiters” und “niemand außer ihm” hat ein Recht darauf - solange “ebenso gutes den anderen gemeinsam verbleibt”.

Lockes Eigentumsbegriff ist in mehrfacher Hinsicht problematisch. Er erzählt noch nichts von einem lohnabhängigen Proletariat, das kein “Eigentum” am Ertrag seiner Arbeit haben wird. Er rechtfertigt allein die Erstaneignung, also die persönliche Inbesitznahme - und sagt nichts aus über die Vererbung von Eigentum.

Vor allem aber geht Locke - 160 Jahre bevor die “frontier” in der Neuen Welt den Mississippi erreicht - von unbegrenzten Ressourcen aus, von Ländereien, die im Überfluss vorhanden sind und nur darauf warten, vom Menschen untertan gemacht zu werden. Davon kann heute erkennbar keine Rede mehr sein - und der Wirtschaftsliberalismus hat lange Zeit nicht mal ansatzweise durchblicken lassen, dass er auf die offene, zunehmend brennende Frage der Nutzung von endlichen oder gefährdeten Gemeingütern (Wald, Klima, Wasser, Öl) eine Antwort weiß.

Erst seit auch Asien lautstark Besitzansprüche anmeldet und beherzt auf Rohstoffe zugreift, reift rund um den Globus die Einsicht, die Erde selbst sei der “Menschheit” Eigentum, also auch derer, die sie von der Gegenwartsgeneration erben. Der “Signalapparat” der Marktwirtschaft leistet dabei wertvolle Unterstützungsarbeit: Die zunehmend knappen Ressourcen verteuern sich. Und auch der zuletzt besitzindividualistisch hoffnungslos trivialisierte Eigentumsbegriff der Liberalen kommt langsam wieder zu sich: Das ihm innewohnende Prinzip der Sorge wird endlich rehabilitiert.

Der Freiheitsbegriff

Reaktionen aus der Wirtschaft auf das Wahlergebnis
Wolfgang Grupp, alleiniger Inhaber und geschäftsführender Gesellschafter der Textilfirma Trigema Quelle: dpa
Otto Kentzler, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks ZDH: "Auf die kommende Bundesregierung warten große Herausforderungen: Die Bewältigung des demografischen Wandels; die Sicherung der wirtschaftlichen und finanziellen Grundlagen; die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands; entschlossenes Handeln hinsichtlich der energiepolitischen Baustellen sowie eine engagierte Bildungspolitik zur Sicherung des Fachkräftebedarfs. Mit Tatkraft muss die Zukunftsfähigkeit Deutschlands abgesichert und weiterentwickelt werden. In diesem Sinne setzen wir auf eine zügige Regierungsbildung." Quelle: Presse
Patrick Engels, Geschäftsführender Gesellschafter der Pöschl Tobacco Group "Die Wahlberechtigten haben sich eindeutig gegen eine Politik der Steuererhöhungen und der Verbote bzw. der Einmischung vermeintlicher Gutmenschen in die Lebensgestaltung mündiger Bürger ausgesprochen. Nun geht es darum, diese Wünsche des Souveräns auf sowohl nationaler wie internationaler Ebene - und hier insbesondere in Brüssel - umzusetzen."
Stephan Koziol, Geschäftsführer Koziol Designprodukte:"Mein Resümee dieser Wahl: Die FDP hat ihren Markenkern komplett verloren, die Grünen haben ihren stark verschliffen. Die Kommunikation des Kundennutzens war bei beiden Parteien im Vorfeld katastrophal. Den restlichen Parteien ist es deutlich besser gelungen, ihre Botschaften an die Wähler zu bringen. Mein Wunsch an die künftige Regierung ist, dass sie so wenig neue Gesetze wie nur irgend möglich erlässt und das Erneuerbare-Energien-Gesetz schnellstens mit Augenmaß und gesundem Menschenverstand für Deutschland erträglich korrigiert." Quelle: Presse
Friedrich von Metzler, Privatbankier Quelle: dpa
Verband der deutschen Unternehmerinnen (VdU), Präsidentin Stephanie Bschorr „Von der neuen Bundesregierung unter CDU-Führung erwarte ich vor allem einen deutlichen Schub für mehr Präsenz von Frauen in den Führungsfunktionen der deutschen Wirtschaft. Die Mitglieder des VdU fordern von der neuen Regierung vor allem eine starke Berücksichtigung der Interessen kleiner und mittelständischer Unternehmen, insbesondere angesichts der Tatsache, dass mit dem Ausscheiden der FDP eine wirtschaftsnahe Partei im Deutschen Bundestag nicht mehr vertreten sein wird." Quelle: Presse
Dieter Kempf, Präsident Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom)„Wir gratulieren Union und SPD zu ihren Wahlerfolgen. Aus Perspektive der Hightech-Wirtschaft muss möglichst schnell eine handlungsfähige Regierung gebildet werden, auch damit in der digitalen Wirtschaftspolitik die notwendigen Akzente gesetzt werden können. Hier sehen wir in erster Linie die beiden großen Volksparteien gefordert. Netzpolitik gehört mit ins Zentrum des nächsten Regierungsprogramms. Sicherheit und Datenschutz, der Aufbau intelligenter Netze u.a. in den Bereichen Energie, Verkehr und Gesundheit, die Modernisierung unseres Bildungswesens oder die Förderung von Start-ups sind Aufgaben, die schnellstmöglich und mit Nachdruck angegangen werden müssen. Netzpolitik muss sowohl im Parlament und als auch auf Seiten der Bundesregierung fest verankert werden. Dazu zählt an erster Stelle die Einrichtung eines ständigen Bundestagsausschusses ‚Internet und digitale Gesellschaft‘.“ Quelle: Presse

Segensreiche Folgen hat das vor allem für den Freiheitsbegriff der Liberalen. Seine klassische Definition stammt von John Stuart Mill (1859) und “lautet: dass der einzige Grund, aus dem die Menschheit… sich in die Handlungsfreiheit eines ihrer Mitglieder einzumengen befugt ist, der ist: sich selbst zu schützen. Dass der einzige Zweck um dessentwillen man Zwang gegen den Willen eines Mitglieds einer zivilisierten Gemeinschaft rechtmäßig ausüben darf, der ist: die Schädigung anderer zu verhüten”.

Mill ging es damals darum, jeder noch so wohlgemeinten Fürsorge einer Regierung möglichst enge Grenzen zu setzen. Er fürchtete um die Freiheitsfähigkeit mündiger Bürger im Schoße eines Nanny-Staates und den Verlust ihrer Tugendhaftigkeit, weil er bezweifelte, “dass mit kleinen Menschen… große Dinge vollbracht werden können”. Freiheit, so Mill, bestehe ganz einfach darin, zu tun was man wolle. Solange zum Beispiel jeder wisse, dass eine Brücke unsicher sei, sei niemand daran zu hindern, sie dennoch zu betreten - im Gegenteil: Erst die Freiheit, das Wagnis einzugehen oder nicht, schärfe den Verstand und erhalte die Wachsamkeit.

Das klingt gut - aber wie lässt sich die liberale Freiheit von Mill mit dem Prinzip der Sorge und Bestandspflege vereinbaren, von dem das liberale Eigentum seit Wilhelm Röpke erzählt? Der Schlüssel liegt im Begriff der Verantwortung. Natürlich kann die “Schädigung anderer”, die nach Mill die Grenze der Freiheit bezeichnet, heute mühelos und aus jedem noch so geringfügigen Anlass nachgewiesen werden - ein Kohlekraftwerk in der Kamschatka zum Beispiel schädigt die Lebensgrundlagen meines nichtgeborenen Enkels - und natürlich marschieren unsere politischen Schutzmächte täglich auf, um erstens Alarmstimmung zu verbreiten und uns zweitens zu retten: vor Klimasündern, Rauchern und Bankberatern, vor Facebook-Parties, Scientology und unfair gehandeltem Kaffee. Die anspruchsvolle Aufgabe des Liberalismus bestünde nun darin, eine qualitative Bestimmung vorzunehmen: Welche Freiheiten schaden wirklich, welche wollen wir dennoch dulden, welche sollen unantastbar sein?

Der kanadische Philosoph Charles Taylor hat zu Recht darauf aufmerksam gemacht, dass der “negative” Freiheitsbegriff der Liberalen nicht aufrechtzuerhalten ist. Freiheit, so Taylor, sei “eine Praxis steuernder Kontrolle über das eigene Leben”, das heißt: Sie ist nicht einfach vorhanden und gleichsam frei verfügbar, sondern eine “Fähigkeit, die wir zu verwirklichen haben”. Sie besteht eben nicht in der Abwesenheit äußerer Hindernisse, sondern darin, dass wir bestimmten Zielen, auf die hin sie ausgerichtet ist, eine größere Bedeutung beimessen als anderen.

Nordkorea zum Beispiel ist nicht deswegen ein liberaleres Land als Frankreich, weil die Freiheit der Autofahrer in Pyöngyang in Ermangelung von Ampeln größer wäre als die der Autofahrer in Paris - denn obwohl die persönliche Freiheit des Autofahrers in Paris täglich vor roten Ampeln kapituliert, nehmen wir ihren Verlust gleichmütiger hin als das Verbot, uns alle 1461 Tage eine neue Regierung wählen zu dürfen. Und so in allem: Es ist nicht egal, ob ich meine musischen Talente sorgsam schule oder bei “Deutschland sucht den Superstar” erprobe. Es ist nicht egal, ob ich bei einem Drogeriemarkt einkaufe, der seine Mitarbeiter anständig bezahlt und behandelt - oder beim Ausbeuter nebenan.

Die dreifache Rolle des Liberalismus

So treffen Sie eine gute Entscheidung
Ein Mann steht vor einer Tafel, auf der Fragezeichen zu sehen sind Quelle: Fotolia
Machen Sie sich Ihren Kopf frei!Lassen Sie sich nicht durch räumlichen Enge vom Denken abhalten! Ein Gang in die Natur kann den Denkprozess beschleunigen. Wissenschaftler brachten die Theorie hervor: Kreativität braucht Raum! Quelle: Blumenbüro Holland/dpa/gms
Bauchgefühl als Mittel zum ErfolgHören Sie öfter auf Ihren Bauch. Studien bestätigen, dass Menschen auf ihre Intuition vertrauen können, wenn sie genug Erfahrung und Vorwissen mitbringen. Dieses ruft das Unterbewusstsein ab und hilft so bei komplexen Problemen weiter. Quelle: Blumenbüro Holland/dpa/gms
Kaugummi kauen macht konzentrierterKaugummi kauen hilft tatsächlich beim Nachdenken. Denn dabei lindern sich Verspannungen der Kiefer-, Gesichts- und Nackenmuskulatur und durch den daraus entstehenden höheren Puls gelangt mehr Sauerstoff in das Gehirn. All das ist denkfördernd und beugt Konzentrationsstörungen und Kopfschmerzen vor. Quelle: AP
Weichen Sie auf eine Fremdsprache aus!Wissenschaftler der University of Chicago haben bewiesen: Das Denken in einer Fremdsprache verhindert Wahrnehmungsfehler. In unserer Muttersprache blockieren unsere Gedanken schnell. Quelle: dpa
Bewusstes Querdenken gegen BlockadenProvozieren Sie in Ihren Gedanken Widersprüche, übertreiben Sie diese, stellen Sie exakt gegenteilige Annahmen und ungewöhnliche Assoziationen auf. Das eröffnet einem neue Perspektiven, auf die man nicht direkt gekommen wäre. Quelle: Fotolia
Bleiben Sie locker!Immer locker bleiben! Laut Wissenschaftlern kann sich schon die Schwerfälligkeit Ihrer Hände negativ auf das Denken auswirken. Lassen Sie in Ihrem Alltag ausreichend Platz für Lockerungsübungen, es kommt dem effizienten Denken zugute! Quelle: Fotolia

Echte Freiheit ist echte Wahlfreiheit. Sie setzt nicht nur Optionen voraus, die ich ergreifen kann oder nicht, sondern die dreifache Fertigkeit, sie zu ergreifen, ihren Wert einzuschätzen - und meiner Entscheidung für die eine oder andere Option einen Sinn beizumischen. Selbst Mill hatte letztlich keinen Zweifel daran, dass Freiheit eine Richtung haben muss - und es ist schlimm, dass so viele seiner “liberalen” Apologeten sich bis heute hartnäckig weigern, das anzuerkennen. Tatsächlich sind “Individualität und Entwicklung” für Mill ein und dasselbe - allein ihre Pflege, schreibt er, bringe “wohl entwickelte menschliche Wesen” hervor. Allen freiheitsfähigen Charakterköpfen rät er, den anderen “ein Beispiel zu geben für aufgeklärte Lebensführung, besseren Geschmack und Sinn im Menschenleben“. Und natürlich hält er “Rat“, “Belehrung”, “Tadel”, ja sogar “Überredung” für geeignete Mittel, um die Denkfaulen, Antriebsarmen und Freiheitsmüden auf Kurs zu bringen.

Entsprechend fällt dem Liberalismus heute die dreifache Rolle zu, das Prinzip des Eigentums global und generationenübergreifend zu denken, das Prinzip der Sorge pädagogisch auf die Spitze zu treiben - und das Prinzip der Freiheit zugleich so entschlossen wie irgend möglich gegen politische Nivellierungsversuche zu verteidigen. Der Liberalismus der Zukunft muss einerseits radikal aufklärerisch sein - und uns in aller Deutlichkeit über den Unterschied informieren, den es für uns und unsere Nachfahren macht, einen 15-Liter-SUV oder einen Drei-Liter-Polo zu fahren. Und er muss andererseits die Freiheit derer schützen, die nicht immer nur Kürbis vom Bio-Bauern nebenan essen wollen, sondern auch mal eine Flugananas - und sei diese Wahl noch so vernunftfrei. Er darf uns jederzeit auf die volkswirtschaftliche Bedeutung eines naturwissenschaftlichen Studiums hinweisen, muss sich aber zugleich seine Sympathie erhalten für all die Träumer und Taugenichtse, die ihr Leben auf eigene Rechnung während eines “ewigen Sonntags” vertändeln (Eichendorff). Es ist am Liberalismus, uns täglich daran zu erinnern, dass jede Einschränkung der individuellen Freiheit gut begründet werden muss - und nicht umgekehrt: dass jede Freiheit, die man sich nimmt, sogleich unter Verdacht gestellt werden darf, andere zu schädigen.

Seiner Pflicht indes, einer umfassend gedachten und verantwortungsvoll ergriffenen Freiheit einen höheren Wert beizumessen als einer an Geld, Genuss oder Zukunftsvergessenheit verschwendeten, ist der Liberalismus damit keineswegs enthoben. Zu Mills Zeiten mochte es wohl sein, dass der “Verlust an Achtung” Strafe genug war für jemanden, der seine Freiheit vergeudete und seiner Verantwortung entfloh. Heute kann sich jeder seinem Achtungsverlust und seiner Haftung entziehen und dabei auf den Beifall seiner peer group zählen - sei es in einer Straßengang oder in einem tropischen Steuerparadies.

Eine liberale Wirtschaftspolitik zeichnet sich deshalb nicht dadurch aus, möglichst viele Anreize zu setzen und möglichst wenig Verbote auszusprechen, sondern dadurch, dass sie gut begründen kann, warum sie sich von Fall zu Fall einmischt. Tabu, wie gesagt, sind allein Maßnahmen der allgemeinen Preis- und Lohnbindung - sie zerstören das Fundament der Marktwirtschaft, deren überragende Vorzüge heute Gott sei Dank so evident sind, dass sie keiner weiteren Erklärung bedürfen.

Zur Sicherung der Freiheit und Marktwirtschaft in der Moderne aber gehört ein Eigentumsbegriff, der auf Erhaltung statt Expansion, auf Sicherung statt Säumigkeit und auf Verantwortung statt Vergeudung setzt, also eine Ordnungspolitik, die uns befähigt, unsere Freiheit dauerhaft, sinnvoll und generationenübergreifend ausüben zu können. Geldwertstabilität, Schuldenabbau, Bildungsgerechtigkeit und Lohnuntergrenzen gehören daher genauso zu ihren Prämissen wie die ein Sozialstaat, der seine Fürsorge auf Härtefälle konzentriert, die konsequente Einrechnung von Umweltkosten - und natürlich die rigorose Durchsetzung des Haftungsprinzips für alle am Markt eingegangenen Risiken. Anders gesagt: Eine liberale Wirtschaftspolitik zeichnet sich nicht dadurch aus, dass sie durch Tatenlosigkeit “Systemrisiken” erzeugt, die politische “Alternativlosigkeiten” zur Folge haben, sondern dadurch, dass sie auf die größtmögliche Abwesenheit von Zwängen besteht - und unseren Nachkommen die Freiheit erhält, sie wahrnehmen zu können.

Wir sind überzeugt, dass die Wahlniederlage der FDP nicht das Ende des politischen Liberalismus bedeuten darf. Die WirtschaftsWoche will darum an dieser Stelle der Freiheit ein Forum geben. Wir werden hier Beiträge unserer Redakteure ebenso veröffentlichen wie solche von Gästen. Wir freuen uns, wenn Sie als mündige, freie Bürger auf unserem Online-Forum öffentlich das Wort ergreifen. Was bedeutet heute Freiheit? Wo ist sie durch den Staat gefährdet? Und wie sollte eine liberale Partei aussehen? Schreiben Sie uns unter www.wiwo.de/forumderfreiheit

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