Liberalismus Der Sinn der Freiheit

Die traditionellen Begriffe des Liberalismus haben sich verbraucht: Eigentum muss heute global gedacht, Freiheit als Verantwortung wahrgenommen werden – und Marktwirtschaft das Beste aus den Menschen herausholen.

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Die Freiheitsstatue in New York Quelle: dpa

Seit mehr als 80 Jahren, seit der Weltwirtschaftskrise 1929 ff., liegt der ehemals so stolze Liberalismus nun schon auf der Intensivstation, mehrfach klinisch tot, wieder zurück ins Leben geholt und künstlich beatmet - ein Dauerpatient der Politik- und Wirtschaftstheorie, ständig unterm Messer, laufend notoperiert, anscheinend ohne Aussicht auf Genesung. Seine Freunde haben ihm gleich nach dem Zweiten Weltkrieg ein neues Rückgrat verpasst ("Neoliberalismus") und ihm bis weit in die 1970er Jahre hinein mit semantischen Krücken unter die Arme gegriffen (“wirtschaftsliberal“, “sozialliberal“), sich aber dann von ihm abgewendet, um seine Pflege wirtschaftsmedizinischen Effizienztheoretikern zu überlassen. Diese “Neo-Neo-Liberalen” haben den chronisch Siechen in den 1980er Jahren durch allerlei ideologische Schrumpfkuren (“Thatcherism“, “Reagonomics“) und theoretische Aderlässe (“Liberalisierung der Finanzmärkte”) massiv geschwächt.

Steuern, Mindestlöhne, Krankenversicherung, Mieten: Dem neuen Bundestag fehlt der wirtschaftliche Kompass. Der Liberalismus ist politisch mundtot. Die WirtschaftsWoche bietet der Freiheit ein neues Forum.

Am Ende war der Liberalismus als anspruchsvolle Denkform und Seinsweise so abgemagert und ausgehungert, dass er außer “Privatisierung“, und “Steuersenkung” kein Wort mehr über die Lippen brachte. Heute, angesichts einer “Neuen Sozialen Frage“ in den Industrieländern und kurz vor dem Kollaps des internationalen Staatsschuldenkapitalismus, ist sein Zustand so hoffnungslos, dass er sich nicht einmal mehr der Esoteriker erwehren kann, die an sein Krankenbett eilen, um ihn mit ein bisschen Wärme (“mitfühlender Liberalismus“) endgültig tot zu pflegen.

Dass der Liberalismus zu wichtig ist, um ihn den Liberalen zu überlassen, ist keine neue Erkenntnis. Alfred Müller-Armack etwa fürchtete die Selbstzerstörungskräfte einer liberalen Wirtschaftsordnung beinah’ mehr als ihre erklärten Feinde - und erinnerte bereits 1946 daran, dass “die marktwirtschaftliche Organisationsform ihre Überlegenheit nur dann zu entfalten vermag, wenn ihr aus geistigen und politischen Kräften eine feste äußere Ordnung gegeben wird”. Schon damals hielt der Mitbegründer der Sozialen Marktwirtschaft den in “religiösen Bezirken verankerten Harmonieglauben” der Adam-Smith-Jünger für dringend säkularisationsbedürftig. Es sei eine “unkluge Übertreibung” des Liberalismus gewesen, “die Wettbewerbsform für eine Naturform gehalten” und in der “Tauschgesellschaft” einen “Vollautomaten” gesehen zu haben, der keiner “sinnvollen menschlichen Steuerung” bedürfe. Er selbst habe nicht nur “das Zutrauen in die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft” verloren, sondern vor allem das Zutrauen in eine Marktwirtschaft, die vom Liberalismus “zum Idol seiner Weltanschauung” erhoben werde.

Die Marktwirtschaft, so Müller-Armack, sei kein Selbstzweck, sondern ein “zweckmäßiges Organisationsmittel”, das “im stärksten Maße einer geistigen Formung” bedürfe. Ohne “von außen kommende Prägung” könne sie “auf die Dauer nicht existieren”, weil es ihr “sichtlich an stabilisierenden Kräften” fehle, “um ihre eigene Form” zu schützen. Kurzum: Die Liberalen wollen nicht begreifen, so Müller-Armack, dass die Marktwirtschaft von Voraussetzungen lebt, die sie selbst nicht garantieren kann.

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