Lohnsteigerungen bis 5 Prozent Gysi will mit großem Tarifplus Euro-Krise entschärfen

Die Bundesbank plädiert für Lohnabschlüsse um die 3 Prozent. Gregor Gysi ist das zu wenig. Der Linksfraktionschef fordert einen kräftigeren Schluck aus der Lohnpulle – auch um die Euro-Krise in den Griff zu bekommen.

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Höhere Löhne: Gregor Gysi plädiert für bis zu 5 Prozent Lohnsteigerung. Quelle: dpa

Berlin Dem Vorsitzenden der Linksfraktion im Bundestag, Gregor Gysi, geht das Plädoyer der Bundesbank für Lohnerhöhungen in Deutschland von rund drei Prozent nicht weit genug. „Vier bis fünf Prozent Lohnsteigerungen sind für die nächsten zehn Jahre mindestens notwendig, allein schon um die explosive Gefahr der Euro-Krise zu entschärfen“, sagte Gysi Handelsblatt Online. Zur Begründung fügte er hinzu, dass die Lohnstückkosten in Deutschland seit 2000 um 15 bis 20-Prozentpunkte weniger gestiegen seien als in allen anderen Euro-Ländern. „Dieser unfaire Wettbewerb gegenüber dem Ausland muss zurückgefahren werden.“

Deutschland habe zudem einen beständig viel zu hohen Leistungsbilanzüberschuss, gegenwärtig von mehr als sieben Prozent, sagte Gysi weiter. Dies habe dazu geführt, dass der kumulierte Außenhandelsüberschuss seit 2000 auf 1,6 Billionen Euro angewachsen ist. „Spiegelbildlich führte dies in die Verschuldung der Euro-Krisenstaaten“, meint Gysi und resümiert: „Ohne höhere Löhne in Deutschland wird die Euro-Krise nicht überwunden.“ Gysi ist überzeugt, dass mit deutlichen Lohnerhöhungen endlich die Binnennachfrage und damit die Binnenwirtschaft in Deutschland angekurbelt werden könnten. „Die Absatzchancen für das Ausland bei uns würden verbessert und viele Produkte, die bislang im Ausland abgesetzt wurden, würden wieder in Deutschland verkauft werden“, sagte er.

Kritisch sieht der Linksfraktionschef, dass die Bundesbank ihren Lohn-Appell an den falschen Adressaten, nämlich an die Gewerkschaften, richte. IG Metall und IG BCE wiesen zu Recht darauf hin, dass die Lohnabschlüsse in ihren Branchen zumindest den verteilungsneutralen Spielraum aus Produktivität plus Preissteigerung ausgeschöpft hätten. Mittlerweile, betonte Gysi, arbeiteten aber rund 50 Prozent der Beschäftigten nicht mehr unter dem Schutz eines Flächentarifvertrages. „Für sie sind die Löhne in den letzten zehn Jahren in den freien Fall geraten“, konstatierte er. Es gehe daher auch um soziale Gerechtigkeit. Und Deutschland müsse endlich aufhören, das EU-Mitgliedsland mit dem größten Niedriglohnsektor zu sein.

Der Bundesbank-Chef Jens Weidmann hatte sich für deutliche Lohnerhöhungen von um die 3 Prozent im Rahmen der Summe aus Inflationszielrate und Produktivitätswachstum ausgesprochen. Hinter den auch von der Europäischen Zentralbank (EZB) geteilten Einschätzungen der deutschen Währungshüter steht die Erwartung, dass hohe Lohnabschlüsse in Deutschland die ungewollt niedrigen Verbraucherpreise im Euroraum wieder nach oben treiben könnten. Weidmann hatte aber auch vor Abschlüssen weit oberhalb der Produktivitätszuwächse gewarnt.


Mehrheit der Deutschen steht hinter Weidmanns Vorschlag

Die IG Metall sieht sich in der Diskussion um anstehende Tariferhöhungen durch die Bundesbank bestätigt. „Präsident Jens Weidmann hat exakt die Berechnung des verteilungsneutralen Spielraums beschrieben, an der wir uns auch orientieren“, sagte der Leiter der IG-Metall-Tarifabteilung, Stefan Schaumburg, jüngst der Nachrichtenagentur dpa.

Kritik am Bundesbank-Chef kam vom Chef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther. Durch die Debatte leide die Glaubwürdigkeit der Bundesbank, schrieb Hüther im Magazin „Focus“. Die große Mehrheit der Deutschen steht dagegen laut einer Umfrage für das Magazin „Focus“ hinter Weidmanns Vorschlag.

„Es gibt keinen Grund, der Lohnpolitik eine Abkehr von der Beschäftigungsorientierung anzuraten“, erklärte dagegen Hüther. Angesichts von knapp 2,9 Millionen Arbeitslosen sei es wichtig, den Lohnerhöhungsspielraum nicht auszuschöpfen. Hüther ist der Auffassung, dass die Debatte über höhere Löhne der Notenbank insgesamt geschadet habe: „Am Ende bleibt, dass die Bundesbank als eigentlich erwartungstreue Institution Erwartungen nicht erfüllt. Gelitten hat dabei die wichtigste Währung der Bank: Ihre Glaubwürdigkeit.“

Die Argumente der Bundesbank seien nachvollziehbar, da es ihr ausschließlich um die Geldwertstabilität gehe, sagte Schaumburg. Die IG Metall befürchte zwar aktuell keine Deflation, sehe aber durchaus am Beispiel Japan die Gefahren dauerhaft stagnierender oder gar fallender Preise für eine Industrienation. „Wir haben uns oft genug über die Bundesbank geärgert, wenn sie mal wieder im aus unserer Sicht falschen Moment zur Lohnzurückhaltung aufgerufen hat. Warum sollen wir uns jetzt nicht freuen, wenn sie mal unserer Meinung ist?“

Schaumburg nennt die Reaktion der Arbeitgeber auf Weidmanns Äußerungen unangemessen. Die behaupteten negativen Auswirkungen von Lohnerhöhungen auf den Arbeitsmarkt seien anhand von Daten aus der Vergangenheit nicht belegbar. Dass wegen schrumpfender Gewinne Investitionen ausbleiben könnten, sei ebenfalls nicht nachzuvollziehen. „Es hat auch in den Zeiten sprudelnder Gewinne bei den Unternehmen eine gewisse Investitionszurückhaltung gegeben, die zu Nachholbedarf geführt hat.“

Einer Emnid-Umfrage für den „Focus“ zufolge unterstützen drei Viertel der Deutschen (76 Prozent) Weidmanns Forderung nach höheren Tariflöhnen. 16 Prozent lehnten den Vorschlag ab. Für die Umfrage waren am 30. und 31. Juli 1007 repräsentativ ausgewählte Menschen in Deutschland befragt worden.

Die IG Metall werde ihre Forderung für die Tarifverhandlungen in der Metall- und Elektroindustrie wie angekündigt erst im November beschließen. Dabei würden auch konjunkturelle Einflussfaktoren berücksichtigt. So gebe es einige Unsicherheiten in Bezug auf das Russland-Geschäft einiger Rüstungs- und Maschinenbauunternehmen.

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