Luftverschmutzung Deutsche Großstädte verpesten ihre Luft

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Abstrakte Gefahr

Dabei sind viele Stuttgarter ja nicht nur Kesseldurchfahrer, sondern auch Kesselbewohner. Es geht also nicht nur um ihre Fortbewegung, sondern auch um ihre Gesundheit. Zu den ersten Feinstaubprotesten, die eine Bürgerinitiative Ende des vergangenen Jahres veranstaltete, kamen trotzdem nur ein paar Hundert Menschen, kaum der Rede wert in einer demonstrationsfreudigen Stadt wie Stuttgart.

Mosernde Minderheit: Nur wenige Stuttgarter protestieren gegen Feinstaub. Quelle: dpa

„Die meisten Menschen sehen Feinstaub nicht als Gefahr, weil sie ihn nicht mit einem konkreten Krankheitsbild verbinden“, sagt Tobias Stöger, Lungenbiologe vom Helmholtzzentrum München. Stöger selbst hat gerade eben eine Studie veröffentlicht, die erstmals genau diesen Zusammenhang aufzeigt. Der Feinstaub, wie ihn Dieselmotoren ausstoßen oder er beim Reifenabrieb aufgewirbelt wird, gelangt vereinfacht gesagt über die Atemwege in die Lunge, lagert sich dort ab und verursacht eine Entzündung. Diese wiederum weckt schlafende, also inaktive Viren zum Beispiel bei Asthmatikern.

So weit der konkrete Zusammenhang zum grundsätzlicheren und schon seit Längerem bekannten Phänomen: Menschen, die viel Feinstaub einatmen, haben ein erhöhtes Risiko für Herzinfarkte.

Dass sich daraus dennoch anders als beim deutlich schlechter erforschten Pflanzengift Glyphosat bis heute keine Feinstaubpanik entwickelt hat, liegt wohl am vermeintlichen Widerspruch zum Alltagsempfinden. „Dieselmotoren stoßen heute nicht mehr die dunklen Wolken aus“, sagt Stöger, „die Abgasbelastung ist deshalb subjektiv gesunken.“

Zehn Fakten über den Dieselmotor
Der erste Direkteinspritzer: Fiat Croma Quelle: Presse
Smart fortwo cdi Quelle: Presse
Mini Cooper D Quelle: Presse
VW Passat 2.0 TDI Biturbo Quelle: Presse
BMW 750d Quelle: Presse
Audi RS5 TDI concept Quelle: Presse
VW Touareg R50 Quelle: Presse

Für die Gesundheitsgefahr aber spielt das nur eine untergeordnete Rolle: „Feinstaub ist nicht per se gefährlich“, sagt Stöger, „es sind vor allem die besonders kleinen Nanopartikel.“

Und von denen gibt es in modernen Dieselmotoren mindestens genauso viele, zum Teil sogar mehr als in den offensichtlichen Stinkern von einst.

Doch anstatt um die eigene Gesundheit drehen sich die Sorgen mancher Stuttgarter nach wie vor um deutlich abstraktere Bedrohungen. „Schon die Diskussion über Fahrverbote führt dazu, dass der Automobilstandort Baden-Württemberg Schaden nimmt“, warnt etwa Thomas Bareiß, Schwabe und energiepolitischer Sprecher der CDU im Bundestag. Er plädiert dafür, an besonders belasteten Kreuzungen Sprinkleranlagen anzubringen, die den Staub binden sollen, die städtische FDP verspricht sich Ähnliches von Moosteppichen an den Hauswänden der Hauptstraßen.

Aus solchen Vorschlägen spricht vor allem ein Wunsch, der dem geneigten Leser aus der Volkswagen-Affäre bekannt vorkommen könnte. Irgendwie den Messwert senken, auf dass die leidige Diskussion endlich wieder dort verschwinde, wo sie eigentlich hingehöre: in die Aktenordner der EU-Bürokraten.

Tal der Trittbrettfahrer

Letztlich führen solche Ablenkungsgefechte aber dazu, dass sich die Bewohner der intelligenten Stadt schlicht irrational verhalten. Man mag der Europäischen Union alles Mögliche unterstellen, Bürokratisches, Überflüssiges, Machtanmaßendes. Im Falle der Luftverschmutzung gilt es nicht. Die definierten Grenzwerte liegen noch deutlich über denen der Weltgesundheitsorganisation, erlauben also deutlich mehr Dreck. Vor allem ist der Nutznießer der Maßnahme ziemlich klar. Wenn die Belastung der Luft in Stuttgart sinkt, dann nutzt das einzig und allein den Stuttgartern selbst. Mit dem Maßstab des in der Ökonomie so beliebten rationalen Nutzenmaximierers betrachtet, wohnen im Tal Hunderttausende Trittbrettfahrer: Für jeden Einzelnen ist es deutlich praktischer, das Auto zu benutzen; denn wenn alle anderen drauf verzichten, sinkt die Luftbelastung auch ohne mich.

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