Fritz Kuhn ist es gewohnt, dass er die Dinge, die er kontrollieren will, auch kontrollieren kann. Also führt er den Journalisten, den er zu einem Interview empfängt, mit klaren Kommandos durch die Flure des Stuttgarter Rathauses. „Da vorne links, nein, nicht diese, die nächste Tür.“ Eintritt ins Vorzimmer, doch für Höflichkeiten lässt Kuhn, Oberbürgermeister dieser Stadt, keinen Raum. „Gerade durch müssen wir, die Türe ist schon offen, ja genau.“ Willkommen im Bürgermeisterbüro. „Sie sitzen hier“, ruft Kuhn und packt den Gast am Arm, eilt dann zu seinem Sprecher, den er ebenfalls einweist. Endlich, als alles unter Kontrolle ist, kommt auch der 61-Jährige etwas zur Ruhe. Gut so, schließlich soll er jetzt erklären, wie ihm das passieren konnte: dass er eine Sache offenbar nicht kontrollieren kann, obwohl er alles dafür tut. Die Sache mit der dreckigen Luft, dem Feinstaub und den Stickoxiden. „Stuttgart“, entfährt es Kuhn, halb Anfeuerungsruf, halb Stoßseufzer, „ist doch eine intelligente Stadt!“
Über die Intelligenz von Städten gibt es leider keine verlässlichen Zahlen, über Luftverschmutzung dafür umso mehr. Und die besagen: Stuttgart ist die Stadt mit der dreckigsten Luft Deutschlands. Sowohl die Menge von Feinstaub als auch die der Stickoxide ist an den Stuttgarter Messstellen höher als an allen anderen im Land. Der von der EU definierte Grenzwert für Feinstaub wurde hier im vergangenen Jahr an 63 Tagen überschritten, als zulässig und damit gesundheitlich gerade noch akzeptabel gelten 35 Tage mit überhöhten Werten.
Es ist nun aber weder Zufall noch der Ausdruck eines ökologischen Begeisterungsschubes, dass Stuttgart und nahezu alle anderen deutschen Großstädte ausgerechnet jetzt anfangen, das Thema ernst zu nehmen. Seit Jahren fordert die EU von Deutschland, endlich etwas gegen die verdreckte Luft zu tun. Doch passiert ist nichts. Von der erhöhten Belastung mit Feinstaub und Stickoxid las man vielleicht in der Presse, doch wahrgenommen wurde das eher als eine unterhaltende Art des Städtevergleichs. Von wegen: Schau mal, in Stuttgart ist die Luft inzwischen dreckiger als im Ruhrgebiet. Interessant, aber letztlich auch irrelevant.
Geändert hat sich das erst, seit die Deutsche Umwelthilfe begann, reihenweise Städte zu verklagen, die den Grenzwert überschritten. Ende des vergangenen Jahres wurde mit Düsseldorf erstmals eine Gemeinde gerichtlich verpflichtet, Fahrverbote anzuordnen, falls sich die Luftqualität nicht verbessern sollte. Jetzt liegt das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht, und auf einmal ist die Nervosität groß: Sollte das Urteil dort Bestand haben, gälte es auch in allen anderen Städten des Landes.
Seitdem ist klar, dass die bis dahin bürokratische Diskussion drastisch konkrete Folgen haben kann. Für Stuttgart, so sagt Oberbürgermeister Kuhn, „ist 2017 die letzte Chance, um zu beweisen, dass wir auch ohne Verbote an unser Ziel kommen“. Sollte auch in diesem Jahr die Zahl der Tage mit erhöhten Feinstaubwerten deutlich über der Marke von 35 liegen, werden Stadt und Land aushandeln müssen, wie die Einhaltung dieser Grenze verbindlich erreicht werden kann. „Dann führt kaum ein Weg an verkehrsbeschänkenden Maßnahmen vorbei.“ Sagt Kuhn. Er und sein parteibefreundeter Ministerpräsident Winfried Kretschmann würden lieber eine blaue Plakette einführen, die nur noch modernste Dieselfahrzeuge in die Stadt ließe. Doch dafür sind sie leider nicht zuständig. Der Bund in Gestalt des Verkehrsministers jedoch sperrt sich.
Welche Schadstoffe im Abgas stecken
Stickoxide (allgemein NOx) gelangen aus Verbrennungsprozessen zunächst meist in Form von Stickstoffmonoxid (NO) in die Atmosphäre. Dort reagieren sie mit dem Luftsauerstoff auch zum giftigeren Stickstoffdioxid (NO2). Die Verbindungen kommen in der Natur selbst nur in Kleinstmengen vor, sie stammen vor allem aus Autos und Kraftwerken. Die Stoffe können Schleimhäute angreifen, zu Atemproblemen oder Augenreizungen führen sowie Herz und Kreislauf beeinträchtigen. Pflanzen werden dreifach geschädigt: NOx sind giftig für Blätter und sie überdüngen und versauern die Böden. Außerdem tragen Stickoxide zur Bildung von Feinstaub und bodennahem Ozon bei.
Kohlendioxid (CO2) ist in nicht zu großen Mengen unschädlich für den Menschen, aber zugleich das bedeutendste Klimagas und zu 76 Prozent für die menschengemachte Erderwärmung verantwortlich. Der Straßenverkehr verursacht laut Umweltbundesamt rund 17 Prozent aller Treibhausgas-Emissionen in Deutschland – hier spielt CO2 die größte Rolle. Es gibt immer sparsamere Motoren, zugleich aber immer größere Autos und mehr Lkw-Transporte. Außerdem mehren sich Hinweise darauf, dass Autobauer nicht nur bei NOx-, sondern auch bei CO2-Angaben jahrelang getrickst haben könnten.
Bei der Treibstoff-Verbrennung in vielen Schiffsmotoren fällt auch giftiges Schwefeldioxid (SO2) an. In Autos und Lkws entsteht dieser Schadstoff aber nicht, was am Kraftstoff selbst liegt: Schiffsdiesel ist deutlich weniger raffiniert als etwa Pkw-Diesel oder Heizöl und enthält somit noch chemische Verbindungen, die bei der Verbrennung in Schadstoffe umgewandelt werden.
Winzige Feinstaub-Partikel entstehen entweder direkt in Automotoren, Kraftwerken und Industrieanlagen oder indirekt durch Stickoxide und andere Gase. Die Teilchen gelangen in die Lunge und dringen in den Blutkreislauf ein. Sie können Entzündungen der Atemwege hervorrufen, außerdem Thrombosen und Herzstörungen. Der Feinstaub-Ausstoß ist in Deutschland seit Mitte der 1980er Jahre deutlich gesunken. Städte haben Umweltzonen eingerichtet, um ihre Feinstaubwerte zu senken.
Feinstaub entsteht aber nicht nur in den Motoren. Auch der Abrieb von Reifen und Bremsen löst sich in feinsten Partikeln. Genauso entstehen im Schienenverkehr bei jedem Anfahren und Bremsen feiner Metallabrieb an den Schienen. All das landet ebenfalls als Feinstaub in der Luft.
Katalysatoren haben die Aufgabe, gefährliche Gase zu anderen Stoffen abzubauen. In Autos wandelt der Drei-Wege-Kat giftiges Kohlenmonoxid (CO) mit Hilfe von Sauerstoff zu CO2, längere Kohlenwasserstoffe zu CO2 und Wasser sowie NO und CO zu Stickstoff und CO2 um. Der sogenannte Oxidations-Kat bei Dieselwagen ermöglicht jedoch nur die ersten beiden Reaktionen, so dass Dieselabgase noch mehr Stickoxide enthalten als Benzinerabgase. Eingespritzter Harnstoff („AdBlue“) kann das Problem entschärfen: Im Abgasstrom bildet sich so zunächst Ammoniak, der anschließend in Stickstoff und Wasser überführt wird.
Welch ein Symbol das wäre: für Stuttgart, die Wiege des Automobilbaus, der Heimat von Bosch und Daimler. Und für Stuttgart, die einzige deutsche Metropole, in der ein Grüner regiert. Aber auch für Deutschland als Ganzes: Im Zentrum der weltweiten Autoindustrie hieße es dann plötzlich für die deutsche Lieblingstechnologie Dieselauto: Wir müssen draußen bleiben.
Die Belastungsgrenze für Feinstaub und Stickoxide wird in keiner einzigen US-Großstadt überschritten. Warum bekommen wir das nicht hin?