Luftverschmutzung Deutsche Großstädte verpesten ihre Luft

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Die Doppelhaltung der Dieselkonzerne

Vom bisherigen Effekt der Kampagne kann Dieter Roßkopf sich mit einem einfachen Blick aus dem Fenster überzeugen. Roßkopf ist Chef des ADAC Württemberg, der wie als ironische Pointe zur ganzen Debatte seinen Sitz ausgerechnet dort hat, wo das Problem seinen Ursprung nimmt: am Neckartor, einem Platz am Rande der Innenstadt, den heute kein Tor mehr ziert, sondern die offizielle Feinstaub-Messstation der Stadt.

Grün, aber hilflos: OB Fritz Kuhn hofft auf Einsicht der Bürger – bisher vergeblich. Quelle: dpa

„Hier ist immer viel los, ob mit Feinstaubalarm oder ohne“, sagt Roßkopf, der das keineswegs als Prognose für den Erfolg des Feinstaubalarms verstanden wissen möchte. Sondern als Hinweis darauf, dass es nicht um einzelne Messwerte geht, sondern um etwas Größeres, ein gesellschaftliches Umdenken. „Selbst passionierte Autofahrer müssen doch erkennen, dass es keinen Sinn macht, mit dem Auto in die Stadt zu fahren“, sagt Roßkopf. Schließlich ist Stuttgart nicht nur Feinstaub-, sondern auch Stauhauptstadt. „Wer im Stau steht, darf sich nicht über die Autos um ihn herum ärgern, sondern muss einsehen: Der Stau, das bin ich selbst!“

Wer Roßkopf so reden hört, der muss sich bei jedem zweiten Satz ein wenig wundern, aber ja, der Mann vertritt tatsächlich den ADAC. Und so sieht er zumindest die Rolle der Autokonzerne in der Stadt so positiv, wie man das erwarten würde: „Die Unternehmen hier vor Ort tun wirklich viel, um ihre Mitarbeiter zum Umsteigen zu bewegen“, sagt Roßkopf.

Das Schweigen der Dieselkonzerne

Eines zumindest tun sie nicht: sich den Fragen der Öffentlichkeit stellen. Sowohl Bosch als auch Daimler, die beiden größten Arbeitgeber, lehnten ein Gespräch zum Thema ab und verschicken stattdessen ihre Pressemitteilungen. Dabei kommt den beiden Konzernen ebenso wie Porsche, dem dritten großen im Bunde, beim Wandel der Mobilität eine entscheidende Rolle zu. Das gilt nicht nur für das große Ganze, die Entwicklung emissionsfreier und bezahlbarer Antriebstechnologien, sondern auch für die konkrete Mobilität rund um Stuttgart. Allein Daimler beschäftigt im Großraum rund 80.000 Menschen in Werken, die fast ausnahmslos nur mit dem Auto halbwegs komfortabel zu erreichen sind, hinzu kommen Tausende Lieferanten, die täglich zwischen den Werken hin und her pendeln, sowie unzählige Testfahrten, die größtenteils auf den öffentlichen Straßen der Umgebung stattfinden. Doch so groß der Anteil der Konzerne am aktuellen Verkehrsaufkommen in der Stadt ist, so überschaubar bleibt ihr Beitrag für die Verringerung dessen.

Daimler-Mitarbeiter können seit Anfang des Jahres einen Zuschuss zum Nahverkehrsabo beantragen, eine Idee, die bei den allermeisten deutschen Großkonzernen längst eine Selbstverständlichkeit ist. Außerdem lässt man das Stadtgebiet Stuttgart bei Testfahrten an diesen Tagen außen vor. Bei Bosch wiederum können Mitarbeiter an den Alarmtagen ihren Firmenausweis als Fahrausweis gebrauchen. Das mag den einen oder anderen Pendler von der Straße locken, lässt dabei aber keine Missverständnisse aufkommen, dass es bitte die Ausnahme bleiben sollte. So nimmt gerade Daimler beim Wandel der städtischen Mobilität eine Doppelhaltung ein, die in ihrer Widersprüchlichkeit die Unentschiedenheit der gesamten Gesellschaft in dieser Frage spiegelt: Auf der einen Seite tut der Konzern gerade über seine Tochterfirmen car2go und Moovel einiges, um an der vernetzten und womöglich emissionsarmen Mobilität mitzuverdienen. Auf der anderen Seite will man diesen Wandel bei den eigenen Mitarbeitern auch nicht zu sehr beschleunigen. Solange der tägliche Pendler der zuverlässigste Kunde des guten alten Verbrennungsmotors ist, soll dessen Ruf auch nicht voreilig ruiniert werden. Oder, wie es ADAC-Mann Roßkopf in einem der seltenen Momente ausdrückt, in denen man ihm dann doch noch anmerkt, wessen Brot er isst: „Der Zweitwagen sollte elektrisch sein, das finde ich eine gute Forderung.“

Die unsichtbare Gefahr

Vor allem aber zeigen solche Abwägungen, dass das Thema Feinstaub in Stuttgart ebenso wie im Rest des Landes stets nur aus einer Perspektive diskutiert wird, nämlich der des Autofahrers oder sonstwie mobilen Menschen, der sich überlegen muss, wie er morgens und abends von und zur Arbeitsstelle kommt.

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