Luftverschmutzung Deutsche Großstädte verpesten ihre Luft

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Was dem Berliner sein Veggie-Day ist, ist dem Schwaben sein Feinstaubalarm

Wolfgang Arnold kennt sich mit Trittbrettfahrern aus, schon beruflich, Und so wäre er der Erste, der es mitbekommen würde, wenn der Staub der Erkenntnis über das Tal rieseln würde. Arnold ist Chef der örtlichen Verkehrsbetriebe, wenn die Stuttgarter ihre Fortbewegungsart verändern, dann stehen sie sich zwangsläufig bald in Arnolds gelben Wagen auf den Füßen. Denn eine Ausrede muss man den Kesselbewohnern lassen: Das Fahrrad ist hier wirklich keine ernsthafte Alternative. Also bliebe die Straßenbahn. Arnold aber sagt einerseits: „Die Zahl der Fahrgäste steigt in Stuttgart seit Jahren in immer schnellerem Tempo.“ Aber andererseits auch: „Ob wir an Tagen mit Feinstaubalarm mehr Fahrgäste hätten, lässt sich nicht sagen.“ Zumindest augenscheinlich ist es nicht, räumt der Chef selbst ein. Eine erste Zählung im vergangenen Jahr ergab eine nur um drei Prozent höhere Auslastung der Bahnen. Zugleich dürfte sich die insgesamt steigende Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel schlicht dadurch erklären, dass immer mehr Menschen nach Stuttgart ziehen. Ob die Ortsansässigen selbst tatsächlich ihr Verhalten ändern, lässt sich kaum beantworten, die wenigen verfügbaren Zahlen kann man so oder so interpretieren. Straßenbahnchef Arnold stützt sich auf repräsentative Befragungen, die einen höheren Nutzungsanteil der Bahn zeigen, aber auch nur alle paar Jahre durchgeführt werden und eben nur ein paar zufällig ausgewählte und nicht alle Stuttgarter erfassen. Ihm widerspricht der Vergleich mit anderen Städten. So zählen die Verkehrsbetriebe im nahezu gleich großen Düsseldorf pro Jahr fast 20 Prozent mehr Fahrgäste als in Stuttgart. Und schon Düsseldorf gilt nicht gerade als Kapitale der ökologischen Bewegung.

So schwierig es Arnold fällt, das Umdenken in Sachen Mobilität herbeizureden, so geübt ist er darin, andere Schuldige zu benennen. Jahre der Feinstaubdebatte haben die gesamte Stadt in dieser Disziplin zur Meisterschaft getrieben. Die einen benennen die Komfortkamine, deren allein dem Zwecke der Gemütlichkeit dienende Ethanolflamme auch kräftig Feinstaub produziert. Andere erklären die hohe Luftbelastung in der gesamten Region mit der Ehrlichkeit ihrer Verwaltung: Hier messe man eben genauer als anderswo. Belege dafür gibt es keine.

Arnolds Schuldige sitzen ihm deutlich näher: „Damit die Luftbelastung wirklich sinkt, müssten die Menschen im Umland ihr Verhalten ändern.“ Sie trügen den Schmutz in den Kessel rein, ohne selbst darunter zu leiden. Dieses Argument macht sich auch Oberbürgermeister Kuhn zu eigen. Es mag das schlüssigste sein, es ist aber auch das tückischste. Denn so wird aus der Diskussion über Grenzwerte und Ticketpreise eine über Lebensentwürfe: Die fahrradfahrenden Stadtmenschen sind die Zukunft, die Doppelhaushälftenbewohner in der Vorstadt die Vergangenheit. Und aus der gemeinsamen Anstrengung für eine saubere Luft wird die nächste Belehrungskampagne.

Was dem Berliner sein Veggie-Day ist, ist dem Schwaben sein Feinstaubalarm. Von den 17 Tagen, an denen die Stadt Stuttgart im Jahr 2017 den Feinstaubalarm ausgerufen hat, wurde am Ende übrigens 17 Mal der Grenzwert überschritten. Einmal war die Belastung sogar höher als an Silvester. Mit didaktischen Experimenten ist das offenbar so eine Sache, gerade in einer intelligenten Stadt wie Stuttgart.

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