Mächtiger Gewerkschaftsboss Das Netzwerk von Michael Vassiliadis

Der IG-BCE-Vorsitzende Michael Vassiliadis hat sich zu einem zentralen Akteur der deutschen Energiepolitik entwickelt und ein dichtes Netzwerk in Politik, Gewerkschaften und Unternehmen gesponnen. Ein Porträt.

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Kraft und Vassiliadis Quelle: dpa

Der Vorsitzende ist genervt. Seit dem Vorabend hockt Michael Zissis Vassiliadis nun schon in diesem düsteren Tagungshotel am Flughafen von Madrid. Der Chef der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) hat schlecht geschlafen, die Matratze war durchgelegen. Doch er darf jetzt nicht schwächeln, auch wenn die Luft im „Saal Saragossa“ noch so stickig und das Licht noch so schummrig ist. Es tagt der Exekutivausschuss von IndustriALL, des europäischen Dachverbands der Industriegewerkschaften, gut 350 Abgesandte aus mehr als 22 Ländern. Vassiliadis ist ihr Präsident. Er sitzt in der ersten Reihe. Und er soll jetzt eine feurige Rede halten. Dabei hat ihm der Sprechtrainer, den er seit Kurzem aufsucht, geraten, die Stimme zu schonen.

„Ich mache es kurz, weil ja alle lesen können“, sagt er trocken und hält ein Papier zur Reindustrialisierung Europas in die Höhe. Für seine Kernbotschaft („Wir Gewerkschafter müssen uns mit eigenen Ideen einmischen – nicht nur mit Protest“) gibt es nur matten Applaus. Es folgen Wortmeldungen südeuropäischer Kollegen, die zu Co-Referaten ausarten. Als dann auch noch die Dolmetscher im Hotel streiken wollen, weil sie zu wenig sehen, geht Vassiliadis einen Kaffee trinken. Er mag solche Veranstaltungen nicht, auf denen viel palavert und nichts beschlossen wird. Vassiliadis ist ein Freund der Effizienz.

Persönlicher Affront

Während die Veranstaltung weiterläuft, motzt er den Generalsekretär von IndustriAll an, weil der ungefragt einen Herrn der deutschen Linkspartei aufs Podium geladen hat. Dann telefoniert er mit der Staatskanzlei in Nordrhein-Westfalen, um – zack, zack! – einen Termin bei Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) zu vereinbaren. Die nämlich hat ein paar Tage zuvor, ohne sich mit der Gewerkschaft abzustimmen, angekündigt, den Braunkohletagebau Garzweiler zu verkleinern. Die IG BCE ganz allgemein und Michael Vassiliadis ganz persönlich empfinden dies als Affront.

Zwei Tage später. Pressekonferenz in Düsseldorf, Staatskanzlei, 11. Stock. Vassiliadis ist in deutlich besserer Stimmung. Er hat über eine Stunde mit Kraft gesprochen, und beide haben eine Erklärung formuliert, wonach auch nach 2030 „Braunkohleförderung zur Verstromung unter den Gesichtspunkten der Versorgungssicherheit und Preisstabilität notwendig sein wird“. Kraft erweckt den Anschein, das Treffen sei lange geplant gewesen und redet kurz, Vassiliadis deutlich länger. Als die Neugier der Journalisten überwiegend um die Frage kreist, ob die 1512 Einwohner von Holzweiler garantiert nicht umziehen müssen, fährt er den Presseleuten in die Parade. Die IG BCE sei „nicht gegründet worden, um Dörfer umzusiedeln“. Er gebe „jetzt mal Antworten auf Fragen, die Sie nicht gestellt haben“. Dann weist er auf die schwierige Lage der Energiewirtschaft hin. „Die Konzerne sind in Trouble, das darf uns nicht egal sein! Wenn die umfallen oder aufgekauft werden, wird nichts besser in Deutschland! Hier sind hoch qualifizierte Arbeitsplätze in Gefahr!“ Wie es scheint, könnten sich RWE und Co. keinen besseren Botschafter wünschen als Gewerkschaftsboss Michael Vassiliadis.

Wer ist der Mann? Und was will er? Man könnte es so ausdrücken: Vassiliadis ist eine der wichtigen grauen Eminenzen der deutschen Wirtschaftspolitik, gleichermaßen vernetzt und verwoben mit Wirtschaft, Gewerkschaften und Politik, in Arbeitnehmerzirkeln und im Politklüngel an Rhein und Ruhr ebenso präsent wie in Vorstandsetagen von Konzernen und Berliner Hinterzimmerrunden.

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