Über die neuen Parlamentarier von der AfD ist in den vergangenen Tagen viel geschrieben worden – und zugleich auch sehr wenig. Denn meist sind es die gleichen bunten Vögel und rechten Krawallmacher, die dabei ans Licht gezogen werden. Heinrich Fiechtner etwa, der Stuttgarter Stadtrat, der sich im vergangenen Jahr Zugang zu einem Asylbewerberheim verschaffte und die Bewohner ohne Erlaubnis fotografierte. Hans-Thomas Tillschneider, der Islamwissenschaftler aus Sachsen-Anhalt, der mit Verachtung auf sein Forschungsobjekt schaut. Oder André Poggenburg, der Landesvorsitzende mit dem Haftbefehl.
Doch das ganze Bild der neuen Parlamentspartei trifft man kaum, wenn man sich auf diese Handvoll der insgesamt 61 Kandidaten konzentriert, denen die Wähler am vergangenen Sonntag ein Mandat übertragen haben. So entsteht das Bild einer Partei von rechten Krawallmachern und gescheiterten Existenzen. Das trifft zwar auf einen Teil der Abgeordneten zu, stellt aber dennoch nur eine Facette dar.
Erst wenn man sich wirklich alle 61 Parlamentarier anschaut und das mit den Vertretern der etablierten Parteien vergleicht, bekommt man einen vollständigen Blick auf das Personal der AfD. Ihre Altersstruktur, ihre persönlichen und wirtschaftlichen Motive, die Gleichberechtigung der Geschlechter innerhalb der Partei.
Auch über die Unterschiede der AfD in den Bundesländern verraten die empirischen Daten mehr als jede Sprachanalyse von Poggenburg, Björn Höcke und Jörg Meuthen. Wir haben die neuen Parlamentarier, mit denen sich die Zahl der AfD-Mandate in Deutschland auf einen Schlag mehr als verdoppelt, deshalb mit Statistiken über die Abgeordneten im Bundestag und den drei großen Parlamenten in Bayern, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen verglichen, in denen die AfD noch keine Mandate hat:
Kaum politische Erfahrung
Marc Spiegelberg ist zwar erst 24 Jahre alt, mit der politischen Karriere hat er es offenbar trotzdem ziemlich eilig. Und dieses Tempo sorgt kurz nach der Wahl für einige Verwirrung. Auf der Homepage der Jungen Union im Burgenlandkreis im Süden Sachsen-Anhalts wird er als Kreisgeschäftsführer geführt, zugleich aber ist er in eben diesem Kreis direkt ins Parlament gewählt worden – für die AfD. Ein Anruf bei der örtlichen CDU bringt Klärung: „Herr Spiegelberg hat sein Amt erst relativ kurz vor der Wahl, gegen Ende des vergangenen Jahres, niedergelegt“, heißt es dort – zu der Anpassung der Homepage ist man seitdem noch nicht gekommen.
Mit diesem sprunghaften Wechsel ist Spiegelberg jedoch eher eine Ausnahme unter den Parlamentariern. Zwar gibt es einige besonders schillernde Figuren wie Bernd Gögel in Baden-Württemberg, der in den Achtzigerjahren Gründungsmitglied der Grünen war, dann den Landesverband der Freien Wähler anführte. Oder Robert Farle, der bis 1990 den Gladbecker Ortsverein der DKP, einer aus dem Osten gesponserte kommunistische Partei, anführte. Gottfried Backhaus, wie Farle nun Abgeordneter in Sachsen-Anhalt, stand damals auf der entgegengesetzten Seite des politischen Spektrums: 1989 gehörte zu den Gründern des SED-kritischen „Neuen Forums“ in der DDR, aus dem später das Bündnis 90 wurde, das sich dann den Grünen anschloss.
Die meisten anderen Kandidaten aber haben eine ganz andere Gemeinsamkeit: Sie sind politisch völlig unerfahren. Für mehr als 90 Prozent der jetzt gewählten Kandidaten ist das Engagement bei der AfD das erste politische Mandat überhaupt. Einige verweisen zwar auf eine frühere Nähe zur CDU oder FDP, über eine passive Mitgliedschaft ging die aber bei kaum einem hinaus.
Dieses Muster gilt im Prinzip für alle drei Bundesländer. Viele Kandidaten in Sachsen-Anhalt verfügen jedoch bereits deshalb über ein gewisses Maß an politischer Erfahrung, da die AfD hier bereits seit der Kommunalwahl 2014 einige Mandate innehatte.
Die AfD hat ein Frauenproblem
Wenn man die CDU in den Neunzigerjahren als Maßstab nimmt, könnte man sagen: Die AfD erfüllt ihren Anspruch als konservative Partei ziemlich gut. Man kann aber auch sagen: Die AfD hat ein Frauenproblem. Denn in allen drei Landtagsfraktionen werden nur zwei bis drei Frauen vertreten sein, sie sind damit deutlich in der Unterzahl. In Sachsen-Anhalt entspricht das einer Quote von acht Prozent, in Baden-Württemberg sind es mit drei Frauen 13 Prozent. Da die Fraktion in Rheinland-Pfalz deutlich kleiner ist, entsprechen zwei Frauen hier einem Anteil von gut 20 Prozent.
Das ist zwar immer noch ziemlich wenig, vom parlamentarischen Durchschnitt aber nicht mehr allzu weit entfernt. So liegt die Frauenquote in den Landtagen von Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen bei gut 30 Prozent, in Bayern sind es nur 28. Im Bundestag sind immerhin 36 Prozent der Abgeordneten weiblich.
Viel Nachwuchs
In den Gründungstagen repräsentierte das Altmännertrio aus Alexander Gauland, Konrad Adam und Joachim Starbatty hinter Bernd Lucke die AfD perfekt: Rentner mit einem Sinn für Ökonomie, die sich noch mal so richtig laut ärgern wollen. Cord-Sakkos und graue Haare waren zwei Attribute, die bei keiner Parteitagsbeschreibung fehlen durften.
Seitdem sich die passionierten Ökonomen aber fast vollends aus der Partei zurückgezogen haben, wandelt sich das Bild jedoch rapide. Das zeigt auch die Altersstruktur der Abgeordneten in den drei Parlamenten.
Die jüngste Fraktion ist die in Sachsen-Anhalt, hier sind die AfD-Repräsentanten im Durchschnitt gerade einmal 42 Jahre alt. Zum Vergleich: Im Düsseldorfer Landtag sind die Abgeordneten im Durchschnitt 48 Jahre, im Bundestag 50 Jahre alt, in Bayern über 51 und in Niedersachsen gar über 53 Jahre.
Dies sind jeweils Durchschnittswerte zu Anfang der laufenden Legislaturperiode. Deutlich älter als in Sachsen-Anhalt ist die einzige Landtagsfraktion, in der noch ein Wirtschaftsprofessor das Sagen hat: Die Stuttgarter AfD-Abgeordneten bringen es im Durchschnitt auf 53 Jahre. Nah an den üblichen Werten der anderen Parteien ist hingegen die rheinland-pfälzische Fraktion, hier sind die Abgeordneten durchschnittlich 48 Jahre alt.
Politische Karriere auch als wirtschaftlicher Rettungsanker?
Über den beruflichen Hintergrund von Parlamentariern gibt es zwei besonders häufige Vorurteile. Da ist zum einen das Franz-Josef-Strauß-Bonmot „Das Parlament ist mal voller und mal leerer, aber immer voller Lehrer“. Das zweite lautet, in Straußsche Form gebracht: Alles Juristen, außer Mutti.
Für die AfD gelten sie beide nicht. Unter den 61 Abgeordneten finden sich nur drei Lehrer und ein einziger Rechtsanwalt, stattdessen gibt es erstaunliche viele Parlamentariern, die selbstständig Dinge verkaufen oder Dienstleistungen anbieten: Zwei Fahrlehrer, ein Herrenmodeverkäufer, ein Handyladenbesitzer, eine Hundezüchterin, ein Hypnotiseur, ein Kürbisbauer, ein freischaffender Abwasseranalytiker und sogar der Inhaber einer Agentur für Duftmarketing ist darunter.
In etwas grobere Kategorien verpackt bedeutet das Folgendes: Der Anteil von Beschäftigten aus dem öffentlichen Dienst ist bei der AfD deutlich niedriger als im parlamentarischen Durchschnitt, in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt sind es nur 13 Prozent.
Wirtschaftskompetenz der AfD
Nur in Rheinland Pfalz, wo 30 Prozent der AfD-Abgeordneten für den Staat arbeiten, wird der Durchschnitt aus dem Bundestag erreicht, an die Werte aus Niedersachsen (34) und Bayern (38) kommt die AfD hier aber auch nicht heran. Deutlich überdurchschnittlich vertreten sind hingegen die Selbstständigen in der AfD-Fraktion in Baden-Württemberg (26 Prozent) und vor allem in Sachsen-Anhalt (50 Prozent).
In Rheinland-Pfalz sind es hingegen ebenso wie im Bund und den drei anderen untersuchten Ländern weniger als 10 Prozent.
Der Extremwert aus Sachsen lässt nun zwei Deutungen zu. Man könnte der AfD besonders große unternehmerische Erfahrung und damit Wirtschaftskompetenz unterstellen. Dagegen spricht aber die Tatsache, dass ein überwiegender Teil der Selbstständigen bei der AfD Einzelkämpfer oder Kleinstunternehmer mit – auf den ersten Blick – zum Teil sehr fraglichen wirtschaftlichen Perspektiven sind. Hier liegt deshalb die Vermutung nahe, dass die politische Karriere auch als wirtschaftlicher Rettungsanker dient
Auffällig ist zudem, dass es in Baden-Württemberg sehr viele Abgeordnete gibt, die sich selbst als Rentner bezeichnen (17 Prozent). In allen Vergleichsparlamenten und in den anderen AfD-Fraktionen kommt diese Bezeichnung nicht vor.
Rechter Flügel der AfD in Magdeburg
Besonders viel diskutiert worden ist im Vorfeld der Wahl über die Gesinnung der Kandidaten in den einzelnen Bundesländern. Die einfache Zusammenfassung lautete dabei: In Sachsen-Anhalt ist die AfD ein rechter Haufen, im Westen eher friedlich. Schaut man sich nun die gesamte Kandidatenschar an, dann muss das Bild ein Stück weit verändert werden.
So macht der Blick auf die Strukturdaten deutlich, dass die AfD in Rheinland-Pfalz sowohl beim Frauenanteil als auch beim beruflichen Hintergrund und der Altersstruktur am ehesten den etablierten Parteien gleicht. Das legt auch die weitere Recherche nahe.
So gibt es mit Ausnahme des kurzen Abstechers des Spitzenkandidaten Uwe Junge zur Partei „Die Freiheit“ kein Hinweis in den Biografien der Kandidaten, an der demokratischen Ausrichtung zu zweifeln. Nur zwei der 14 Fraktionsmitglieder gehören zudem zu den veröffentlichten Erstunterzeichnern der „Erfurter Resolution“, die im vergangenen Jahr die Spaltung der Partei einläutete und bis heute als Gradmesser dafür gelten kann, wer sich dem rechtsnationalen Flügel zuordnet.
Die Abgeordneten aus Sachsen-Anhalt entsprechen in dieser Hinsicht so sehr dem Klischee, wie sie sich in den Strukturdaten vom Durchschnittsparlamentarier unterscheiden: radikal. 13 Abgeordnete oder 54 Prozent der Fraktion haben sich bereits im vergangenen Jahr zum rechten Flügel der Partei bekannt.
Die Fraktion in Baden-Württemberg ist hingegen die widersprüchlichste der drei. Einerseits überlebt hier mehr alte Anti-Euro-AfD als in den anderen Ländern, zugleich aber gibt es hier auch einige sehr überzeugte Rechtsausleger.
Das zeigt am Anteil der Resolutionsunterzeichner, der mit 39 Prozent deutlich über dem Anteil in Rheinland-Pfalz liegt. Mit der Abgeordneten Christina Baum ist hier zudem eine direkte Höcke-Vertraute Teil der Fraktion, die Zahnärztin sprach sogar schon bei dessen berüchtigten Veranstaltungen in Erfurt.
Neben ihr gibt es eine Handvoll weiterer Abgeordneter, die bereits durch krude Verschwörungswerke aufgefallen sind oder denen zumindest von linksautonomen Kreisen eine große Nähe zu radikalen Splittergruppen wie der Identitären Bewegung nachgesagt wird.
Diese Informationen sind zwar mit Vorsicht zu beurteilen, deuten aber zumindest darauf hin, dass es in dieser Fraktion vielleicht am ehesten zu inneren Konflikten kommen könnte.