Marcus Pretzell Das große AfD-Risiko

Die AfD steuert auf ein großes Problem zu. Parteiinterne Prüfer hegen den Verdacht, dass im NRW-Landesverband rechtswidrig Beschlüsse gefasst wurden. Landeschef Pretzell sei ein Risiko auch für die Bundespartei.

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Der Chef der NRW-AfD steht parteiintern unter großem Druck - für die Bundespartei stellt er laut einem Untersuchungsbericht ein großes Risiko dar. Quelle: dpa

Berlin Der größte Landesverband der Alternative für Deutschland (AfD) in Nordrhein-Westfalen könnte zu einem unkalkulierbaren Risiko für die Bundespartei werden. Zu diesem Ergebnis kommen zwei Sonderermittler, die im Auftrag der Bundesspitze parteiinterne Vorwürfe gegen den NRW-Landeschef Marcus Pretzell untersucht haben.

Ausgelöst wurde die Untersuchung durch die Sperrung der Konten des NRW-Landesverbandes durch das Finanzamt. Der Fiskus hatte dies angeordnet, um Schulden Pretzells zu begleichen. Die Beamten wollten ein mögliches Parteigehalt Pretzells pfänden.

In einem dem Handelsblatt (Online-Ausgabe) vorliegenden Bericht an den Bundesvorstand stellen die Prüfer nun fest, dass Pretzell seine „melderechtliche Wohnsitzlosigkeit“ in NRW und in Deutschland zwar spätestens seit Anfang 2015 gekannt, die AfD und ihre Mitglieder in NRW darüber aber „satzungswidrig“ nicht informiert habe.

Pretzell, der auch Europaabgeordneter ist, war den Angaben zufolge nur in Brüssel gemeldet. „Es besteht hier Anlass zur großen Sorge, dass Marcus Pretzell im Juni 2014 materiell-rechtlich nicht wirksam Landessprecher NRW geworden, also nicht Inhaber des höchsten Parteiamts in NRW ist und dass sämtliche Beschlüsse des Landesvorstands NRW und der Landesparteitage NRW seit Juni 2014 nichtig bzw. anfechtbar sind“, heißt es in dem Bericht.

Fraglich sei zudem, ob auf dem nächsten Landesparteitag „rechtlich wirksam“  NRW-Delegierte für den als Delegiertenparteitag geplanten Bundesparteitag im Juni 2015 gewählt werden könnten. Die Prüfer kommen daher zu dem Schluss, dass sich die derzeit im Landesverband NRW bestehende „große Rechtsunsicherheit“ auch auf den geplanten Bundesparteitag ausdehnen und damit „ein großes rechtliches Risiko für die AfD auch auf Bundesebene auslösen“ könne.

Die Bundesparteispitze informierte in einem am Dienstagnachmittag versandten Schreiben an die Mitglieder des NRW-Verbands über den Vorgang und kündigte an, durch das Landesschiedsgericht feststellen zu lassen, ob Pretzell Mitglied im Landesverband NRW sei.

Zudem teilte der Bundesvorstand mit, dass Pretzell eine Abmahnung erhalte. Zur Begründung hieß es unter anderem, Pretzell habe „mehrfach falsche oder geschönte Darstellung eigener Verfehlungen gegenüber der Mitgliedschaft des Landesverbandes NRW verbreitet“. Konkrete festgelegte Konsequenzen sind mit der Abmahnung nicht verbunden. Für die Abmahnung votierten nur fünf von neun Bundesvorstandsmitgliedern. Nach Informationen des Handelsblatts stimmten die Co-Bundesvorsitzende, Frauke Petry, und der Chef der Brandenburg-AfD, Alexander Gauland, dagegen.


Pretzell sieht sich im Vorteil

Die Kritik an Pretzell lässt sich als indirekte Empfehlung zur Abwahl des Landesvorsitzenden verstehen. Allerdings fällt der für Samstag in Bottrop angesetzte 9. Landesparteitag der NRW-AfD aus. „Das Landesschiedsgericht hat heute (21. April 2015) festgestellt, dass der Landesvorstandsbeschluss „betreffend die Einladung und die Tagesordnung zum 9. Landesparteitag am 25. und 26.04.2015 in Bottrop nichtig ist“, weil zu der Landesvorstandssitzung ohne hinreichenden Grund nicht fristgerecht eingeladen worden war“, teilte dazu der frühere NRW-AfD-Chef Alexander Dilger in seinem Blog mit.

Dilger verband seine Feststellung mit scharfer Kritik an Pretzell: „Der Vorstand und insbesondere Herr Pretzell haben versagt, was die AfD NRW Geld und Reputation kostet und den Delegierten einschließlich mir die eigene zeitliche Planung deutlich erschwert.“

Pretzell, der zu den schärfsten Kritikern des Parteivorsitzenden Bernd Lucke, sieht sich trotz der Vorwürfe gegen ihn im Vorteil, zumal sich der Bundesvorstand schon in seine letzten Sitzung vom vergangenen Freitag nicht dazu durchringen konnte, einer Empfehlung der Prüfer zu folgen und ihn zum Rücktritt aufzufordern. „Da ich davon ausging, dass die Mitglieder des Bundesvorstands die Aufarbeitung (meines Falls; d. Red.) seriös und sachlich betrachten, habe ich nichts anderes erwartet“, sagte Pretzell dem Handelsblatt (Online-Ausgabe). „So verleihe ich meiner Hoffnung Ausdruck, dass die Angelegenheit damit nun auch beendet ist – selbst, wenn der Ausgang meine Gegner schmerzt. Sie sollten die Entscheidung mit Fassung tragen.“

Begründet hatten die Prüfer ihre Rücktritts-Empfehlung mit „privaten chaotischen Zuständen“ im Privatleben von Pretzell. Diese Einschätzung bekräftigten sie in ihrem „Folgebericht“.

Darin heißt es: „Der Eindruck der unabhängigen Sonderprüfer, Marcus Pretzell sei wegen seiner von ihm selbst benannten „privaten chaotischen Zustände“ überfordert, neben seinem Europaabgeordnetenmandat auch noch das Parteiamt des Landessprechers NRW auszufüllen (…), hat sich in den letzten Tagen seit Abgabe des Berichts vom 14. April 2015 verstärkt.“ Und: „Der Bundesvorstand der AfD möge beim zuständigen Schiedsgericht beantragen, die Fähigkeit, ein bestimmtes Parteiamt (etwa Landessprecher NRW) zu bekleiden, bis zur Höchstdauer von zwei Jahren abzuerkennen.“

Doch auch dieser Empfehlung will die Parteispitze nicht folgen. „Der Bundesvorstand nimmt Abstand von der im Fortsetzungsbericht der Sonderprüfer geäußerten Empfehlung, weitreichende Ordnungsmaßnahmen gegen Herrn Pretzell zu beantragen“, heißt es in dem Schreiben an die Mitglieder des NRW-Verbands.

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