Martin Schulz Er! Ist! Hier!

Martin Schulz ist der neue SPD-Parteichef. Die Partei bietet ihm bedingungslose Liebe an. Und er? Erstmal nur große Versprechen.

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Martin Schulz fährt bei seiner Wahl ein historisches Ergebnis ein. Quelle: AP

Vor vielen Jahren hat ein Sozialdemokrat einen berühmten Satz gesagt. Der Mann hieß Oskar Lafontaine, und er ist heute kein Sozialdemokrat mehr. Aber sein Wort aus den Neunzigerjahren, das ist so aktuell wie es seit vielen Jahren nicht mehr war: Nur wenn wir selbst begeistert sind, sagte Lafontaine damals, können wir auch andere begeistern.
Wobei: Begeisterung wirkt eher untertrieben angesichts der geradezu beseelten Euphorie, die Martin Schulz binnen weniger Wochen in der SPD ausgelöst hat.

Nun war die SPD eigentlich immer schon in der Lage, an sich selbst berauscht zu sein, sich mit Stolz und Pathos und ganz viel Lautstärke selbst bis zur Tränenseligkeit anzurühren. Allerdings war diese Fähigkeit - trotz einer aus SPD-Sicht höchst erfolgreichen Regierungsarbeit, was die Sache noch deprimierender machte - ziemlich lange verschüttet.

Bis eben er kam: Martin Schulz.

Als Schulz an diesem Sonntag ans Pult tritt, ist der Boden für diese Begeisterung längst bereitet. Vom scheidenden Parteichef Sigmar Gabriel vor allem, der "das heiße Herz und den kühlen Kopf" seines Nachfolgers lobt. Ein von treibender Rockmusik unterlegtes Video vor Schulz' eigentlichem Auftritt braucht dann am Ende nur noch einen einzigen an die Leinwände geworfenen Satz, um den Saal mit 600 Delegierten zum Toben zu bringen: "Er ist hier."

Es klingt wie: Er! Ist! Hier!

Vielleicht hat der Mann, um den es geht, selbst noch nicht vollkommen begriffen, was da im Land, mit den Umfragewerten und mit der Partei passiert ist. Aber er weiß es bereits trefflich zu nutzen. Schulz merkt, dass es Zeit ist für große Gefühle. Große Worte. Große Versprechen.

Auch wenn Schulz in den ersten Minuten fast schon durch seine Biografie hastet, merkwürdig formelhaft über sein Leben erzählt ("Ich bin das Kind einfacher Leute") - spätestens, als er an August Bebel und Kurt Schumacher, Willy Brandt und das Nein zum Irakkrieg Gerhard Schröders erinnert, hat er die Genossen im Saal für sich gewonnen.

von Konrad Fischer, Simon Book, Marc Etzold, Max Haerder, Katharina Matheis

Respekt. Zusammenhalt. Gerechtigkeit. Mitgefühl. Würde. Und nochmal: Respekt. Das sind die Leitmotive in Schulz' Rede. Er wolle, sagt er, "Bündnispartner" der hart arbeitenden Menschen sein. Derjenige, der alles tut, das Leben vieler "jeden Tag ein bisschen besser zu machen".

Eigentlich sagt er damit nichts, was andere Genossen vor ihm nicht auch gesagt haben. Aber die Art und Weise, wie es bei Schulz ankommt, sagt alles.

Kleinklein, programmatische Details - auf all das verzichtet Schulz mit voller Absicht. Er wiederholt aber ein ausführlich einige der Absichten, die er bereits in der Vergangenheit skizziert hat: Er will Familien entlasten, die Agenda 2010 "weiterentwickeln", Europa stärken, mehr investieren, Bildung für alle ohne Kosten ermöglichen. Und die Rechten und deren Hass bekämpfen. Wie genau - da verweist er einfach auf die Zukunft.

Martin Schulz braucht derzeit kein fein ausgeklügeltes Programm. Er alleine ist das Programm.

Am Ende entfallen 605 der 605 Delegiertenstimmen auf ihn. Ein historisches Ergebnis. Jubel brandet auf. Es sei ein überwältigender Moment, sagt Schulz, als er die Wahl annimmt. Und dann: Dies sei nur der "Auftakt zur Eroberung des Kanzleramtes". Wer es noch nicht wusste, weiß es nun: Bescheidenheit und mangelndes Selbstbewusstsein sind seine Sache nicht.

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