Martin Schulz "Wir müssen uns nicht dafür schämen, erfolgreich zu sein"

SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz präsentiert seine Wirtschaftsagenda. Er klingt dabei wie Sigmar Gabriel mit Würselen-Akzent – und liefert eine Distanzierung von Rot-Rot-Grün, die keine ist.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Kanzlerkandidat und SPD-Vorsitzender, Martin Schulz, bei seiner Rede zur Wirtschaftspolitik vor Mitgliedern der Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin. Quelle: dpa

Martin Schulz steht nun schon gut fünfzehn Minuten am Pult, als er seinen beliebtesten Kunstgriff als Redner anwendet. Der SPD-Kanzlerkandidat schöpft oft und gerne aus dem eigenen Erleben, aus ergreifenden Begegnungen und Erinnerungen. Diesmal aber geht es nicht um einen Arbeiter oder einen Altenpfleger, den er auf seiner Deutschlandreise als Wahlkämpfer getroffen hat, es geht – nur um ihn. Genauer gesagt: Um seine Karriere vor der Politik, als er Buchhändler in Würselen war.

„Ich habe erlebt, was es heißt, Unternehmer zu sein“, sagt Schulz. Er erzählt von den Zweifeln, ob man morgen noch öffnen kann, den Sorgen vor drückenden Kredittranchen, vom Glück eines guten Jahresabschlusses, den schlaflosen Nächten. In der Berliner IHK-Zentrale ist es jetzt ganz still. Schulz hat, was er will: die volle Aufmerksamkeit des Saals.

Er wolle, sagt er dann weiter, niemals von sich behaupten, mit der reichen Erfahrung der Anwesenden konkurrieren zu können. Ein doppelt schlauer Satz ist das. Erstens, weil er den SPD-Mann gegen den naheliegenden Vorwurf schützt, er wolle aus seiner analogen Buchhändler-Zeit in den Achtzigern noch Lehren für die globalisierte Wirtschaftswelt des 21. Jahrhunderts ableiten.

Und zweitens, weil er in den Köpfen der Zuhörer trotzdem das Bewusstsein dafür schafft, dass hier tatsächlich einmal jemand, der Bundeskanzler werden will, einer der ihren und unternehmerisch tätig war. Was man schließlich von der amtierenden Bundeskanzlerin nicht sagen kann.

Die Rede vor der Verbandselite in der Hauptstadt an diesem Montag war Schulz` erste große wirtschaftspolitische Rede als Kanzlerkandidat. Sie sollte die Lücken füllen, die der Gerechtigkeits-Genosse Martin bislang offen gelassen hat, und endlich einen Wirtschaftspolitiker Schulz offenbaren, der über die Fähigkeiten verfügt, den Exportweltmeister zu regieren. Es ist nicht zuletzt auch der Tag nach der desaströsen Wahl in Schleswig-Holstein, die jedem in der SPD klar gemacht hat, dass das Schulz-Lüftchen des Frühlings allein sie im September nicht ins Kanzleramt tragen wird.

Martin Schulz wollte im Sturmlauf erst drei Bundesländer erobern und dann das Kanzleramt. Aber der SPD-Star scheitert nicht nur an starker CDU-Verteidigung – er hat sich selbst verdribbelt.
von Gregor Peter Schmitz

„Ich ziehe meinen Hut vor all denen, die Unternehmen gründen“, sagt Schulz bei seinem Auftritt. „Deutschland ist ein starkes Land – durch den Einsatz von Menschen wie Ihnen.“ Er zollt all denen Respekt, „die anpacken“. Hungrige Start-ups, starke Industrien, innovative Mittelständler, tüchtige Handwerker und Selbstständige – Schulz hat sich erkennbar vorgenommen, auch ja keinen Antreiber des deutschen Aufschwungs unadressiert zu lassen. Seine Charmeoffensive gipfelt in einem Satz zur Leistungsbilanzdebatte, den auch ein BDI-Präsident nicht schöner formulieren könnte: „Wir müssen uns nicht dafür schämen, erfolgreich zu sein.“

Bei Schulz‘ Auftritt ist eine Erkenntnis von besonderen Interesse: Was die wirtschaftspolitische Grundhaltung angeht, ist er unüberhörbar bei Vorgänger Sigmar Gabriel in die Lehre gegangen. Wie Schulz sozialdemokratische Politik mit dem Ordoliberalismus der Freiburger Schule zu verknüpfen versucht, wie er die Erkenntnis formuliert, dass es nie um Staat oder Markt, sondern stets um einen freien Markt in einer starken Rechtsordnung  geht, um die Voraussetzungen eines gelingenden Lebens also, die der Markt nicht garantieren kann (Bildung!) – da klingt er ganz wie Gabriel.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%