Maue Wachstumsprognosen Reden wir uns in die nächste Krise?

Seite 3/4

Die Gründe für die Ansteckungsgefahr


Warum die Ansteckungsgefahr im Falle einer sich abzeichnenden Krise so groß ist, erklärt Wirtschaftspsychologe Winfried Neun. „Unser Gehirn hat vor 30.000 Jahren einen Krisenmodus entwickelt, der bis heute funktioniert.“ Wer viel Angst um sich herum erlebe, werde automatisch angesteckt. Das gelte für Konsumenten wie für Produzenten, für Individuen wie für Organisationen.

Laut Aussage von Neun hat die Ansteckung verschiedene Ursachen. Zum einen sei der Mensch ein Nachahmer. Er habe immer Angst, ein Informationsdefizit zu haben. „Wir denken, da weiß jemand mehr, deswegen folgen wir ihm“, sagt Neun. Außerdem ist dieses Verhalten aus evolutionspsychologischer Sicht überlebenswichtig: „Ist ein Vulkan ausgebrochen und die Leute sind weggerannt, ist man mitgerannt.“ Dieser Fluchtmechanismus als Reaktion auf negative Stimmungen funktioniere heute noch genauso.

Winfried Neun ist Wirtschaftspsychologe, Berater für Politik, Wirtschaft und Verbände und Verfasser zahlreicher Bücher. Quelle: Presse

Betroffen davon seien im Moment der Ansteckung Manager und Unternehmer genau so wie der Otto Normalverbraucher. „Erst wenn es an die sogenannte Selbstberuhigung geht, hat der Manager dem Bürger etwas voraus.“ Er jage ein Team von Experten los und lasse Analysen anfertigen, um sich selbst zu beruhigen und sich einen Überblick zu verschaffen. „Deshalb betreiben Firmen in Krisenzeiten viel Controlling“, so Neun. Der normale Bürger muss die Angst alleine ausstehen.  

„Das Stimmungsmanagement der Politik ist desolat“

Erschwerend kommt hinzu, dass der Mensch dazu neigt, grundsätzlich aus Informationen eher die negativen Aspekte zu verinnerlichen. Neun spricht dabei von einem „Soll-ist-Vergleich“. „Wie sollte es eigentlich sein und wie ist es wirklich?“, erklärt der Wirtschaftspsychologe den Mechanismus, der sich in unseren Köpfen abspielt. Wenn dabei etwas nicht in Ordnung ist, schaltet der Mensch in den Krisenmodus.

Die Folgen der Immobilienkrisen ausgewählter Länder

Übermäßig ausgeprägt sei dieser Mechanismus bei den Deutschen. „Historisch bedingt sind die Deutschen besonders ängstlich“, sagt Neun. Die Brüche in der deutschen Geschichte hätten dazu geführt.

Dass eine Krise „herbeigeredet“ werden kann, bezweifelt er aber. „Dann müsste unser Verhalten auf Hysterien fußen – die haben aber psychologisch nicht den notwendigen Einfluss.“ Das ständige Thematisieren des Negativen verstärke lediglich ohnehin latente Negativtrends. „Im Moment sind wir nicht in der Krise“, sagt Neun. „Deswegen muss die Politik die Bürger darauf sensibilisieren, dass unsere Wirtschaft zwar in ein unruhigeres Fahrwasser kommt, nicht aber schwankt.“  

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%